Der Dialog hat begonnen

Vielversprechender Auftakt der Diskussionsreihe über das Doku-Theaterstück "Zwei Welten"

Der Dialog hat begonnen
Foto: Barbara Frommann

Bad Godesberg. Die Stimmung ist schon vorher geladen. Das Thema Jugendgewalt sei topaktuell und spannend, sagen vor den Kammerspielen Niko, Svenja und Clarissa vom Konrad-Adenauer-Gymnasium. Aber so schlimm wie in "Zwei Welten" sei es in Godesberg wirklich nicht. "Da pauschaliert das Stück." Sie sehen ihre Schule in die Täterrolle gezwängt, klagen Casimir und Nils, Schülersprecher des Päda. "Was soll das, dass wir nur die Bösen sind?"

Das Doku-Stück "Zwei Welten" schafft es an diesem Abend, dass im Theaterfoyer zahlreiche weitere Stühle aufgestellt werden müssen. Ein Raunen geht durch die Reihen, als Autorin und Moderatorin Ingrid Müller-Münch entgegen der Ankündigung eine hochbrisante Podiumszusammensetzung präsentiert.

Denn neben Filmemacher Peter Schran haben Michele und Abdul, zwei Medinghovener Ex-Gang-Mitglieder, Sozialarbeiter Karaca Koca und als Kontrapunkt Pater Theo Schneider und Christine, Ako-Rektor und -Schülerin, Platz genommen.

Meinung Lesen Sie dazu auch den Kommentar " Erste Fäden sind geknüpft"Müller-Münch heizt, gemäß ihrer dem Stück zugrunde gelegten Interviewsammlung, mit klarer Täter-Opfer-Zuweisung an, zieht forsche Parallelen zu Berlin-Neukölln, dekuvriert die selbsternannte Gymnasiasten-Elite. Das Publikum wittert Eskalation. Dialog kann man das nicht nennen. In sich zu ruhen scheinen eigentlich nur die zwei Jungs, indem sie sich überraschend kategorisch von ihrer gewaltbesetzten Vergangenheit distanzieren. "Da haben wir nicht nachgedacht, haben Mist gebaut", sagt Abdul, "ich schäme mich dafür", Michele. Und schwimmt sich auch weiter von den auf Konfrontation gebürsteten Fragen frei.

Die platten "Wir verprügeln die Gymnasiasten, weil sie uns keine Chance im Leben lassen"-Buben wollen die beiden nicht geben. Auch Ako-Schülerin Christine verwahrt sich dagegen, dass ihr Leben im Gegensatz zu Hartz-IV-Jugendlichen nur aus Schule und ein paar netten Hobbys bestehe. Selbst Pater Schneider kommt bald aus der Defensive, bringt im Gespräch sogar plötzlich die erlösende Wende.

Es brauche im Leben jedes Jugendlichen mindestens einen Menschen, der wirklich an ihn glaube, berichtet der Jesuit aus eigener Erfahrung. "Ganz starke Pädagogen. Menschen wie Sie", wendet sich der Ako-Rektor an den Sozialpädagogen Koca, der in Medinghoven mit Abdul und Michele arbeitete. Und der sich jetzt zur Überraschung des Publikums als einer der zwei neuen Godesberger Streetworker entpuppt, die einmal pro Woche für die Jugendhilfe Godesheim unterwegs sind.

Koca steht persönlich für eine der Lehren, die der Stadtteil aus der Jugendgewaltwelle von 2007 gezogen hat. Und er bringt die Diskussion endlich in die zukunftsweisende Phase. Durch einseitige Wohnbelegung habe die Stadt selbst für sozialen Sprengstoff gesorgt, prangert Koca an. "Und es muss endlich mehr Gelder für unsere Arbeit geben. Und mehr Migranten, die wie ich in die Jugendsozialarbeit gehen", sagt er in Richtung Michele und Abdul.

Die haben ebenfalls praktische Ratschläge bereit. "Jugendzentren dürfen nicht um 20 Uhr schließen", fordert Michele. So kämen auch die Jüngeren ganz schnell auf die schiefe Bahn. "Ich bin sehr stolz auf euch. Mein Herz schlägt für die Jungs", freut sich im Publikum die Medinghovener Jugendpflegerin und bietet Abdul und Michele unter großem Applaus eine bezahlte Mitarbeit an.

Diesen Anfang des Dialogs aber jetzt nicht nach der Methode "Wir haben uns alle lieb" abzuhaken, fordern darauf der Filmemacher und einige Zuhörer ein. Es dürfe beim Thema Jugendgewalt nicht nur um die Entwicklung von Betreuungsoffensiven gehen. Junge Menschen müssten Aufgaben gestellt und, egal welcher Herkunft, eine Lebenschance bekommen. "Und wir Erwachsenen müssen endlich weitergeben, dass Anerkennung nicht über Luxusgüter läuft", schlägt ein Mann aus Tannenbusch vor.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort