Der große Grenzverkehr zwischen Oberkassel und Römlinghoven

Wie zwei gelbe Ortsschilder die Bewohner einer Straße trennen und einen können. Die von einer Stadtgrenze zerschnittene Straße hat zwei Namen: Bonner Straße und Römlinghovener Straße.

Der große Grenzverkehr zwischen Oberkassel und Römlinghoven
Foto: Frank Homann

Beuel/Königswinter. Wer die Grenze vom grenzenlosen Weltraum aus ansteuern möchte: Auf dem Planeten Erde ist sie bei exakt 7 Grad, 10 Minuten, 48 Sekunden östlicher Länge und 50 Grad, 42 Minuten, 30 Sekunden nördlicher Breite zu finden.

Das Problem für die Anwohner dieser Grenze sind aber nicht außerirdische Raumschiffe, sondern gewöhnliche, durchreisende Autofahrer, die täglich, von morgens bis abends, die Stadtgrenze an dieser Stelle passieren, um sich den kurzen Umweg über die Königswinterer Straße zu ersparen.

Die von einer Stadtgrenze zerschnittene Straße hat zwei Namen: Bonner Straße und Römlinghovener Straße. Als Sigrid Kramny hierher zog, vor 55 Jahren, da waren die Bewohner der schmalen, beschaulichen Wohnstraße noch vereint. Sie gehörten alle zum "Amt Oberkassel", einer eineinhalb Jahrhunderte existierenden eigenständigen Gemeinde, die aus den Dörfern Oberkassel, Römlinghoven, Niederdollendorf, Oberdollendorf und Heisterbacherrott bestand. Als die heute 76-Jährige hierher zog, hieß die Straße noch einheitlich Wiesenstraße, und Sigrid Kramnys Kinder konnten getrost auf der Straße spielen.

1969 wurde die Gemeinde im Rahmen der NRW-Gebietsreform aufgelöst, Oberkassel der Stadt Bonn zugeschlagen, der Rest gehörte fortan zur Stadt Königswinter. Seither hat die Straße auch ihre zwei Namen: Auf Bonner Seite heißt sie Römlinghovener Straße, auf Königswinterer Seite wurde sie in Bonner Straße umbenannt.

Zwei gelbe Ortsschilder am Gehweg markieren die seit 1969 zwischen Häusern und Gärten verlaufende Stadtgrenze. Die Bonner Müllwerker rücken freitags an, um die graue Tonne zu leeren, beim Nachbarn fährt der Müllwagen montags vor. Diesseits gibt es gelbe Säcke, jenseits gelbe Tonnen, und weil es außerdem noch Biomüll, Papiermüll und Sperrmüll gibt, ist eigentlich immer irgendeine Müllabfuhr in der Straße unterwegs.

Da gibt es unmittelbare Nachbarn mit den Hausnummern 16 und 50 beziehungsweise 17 und 39, und auch über die Belastung der Geldbörse entscheidet die Grenze maßgeblich: Am Gartenzaun könnten sich zwei Hunde beschnuppern, für die ihre Besitzer ganz unterschiedliche Steuern zahlen müssen: nördlich des Zauns 150 Euro, südlich des Zauns nur 90 Euro.

Was aber die Bewohner diesseits und jenseits der Grenze eint, ist der Ärger über den ständig wachsenden Autoverkehr in der Wohnstraße: Berufspendler zwischen den Königswinterer Berggemeinden und den Arbeitsplätzen in Bonn, zunehmend auch Lastwagen auf dem Weg in die Gewerbegebiete.

"Hier musste erst ein Kind angefahren werden, bevor etwas geändert wurde", erinnert sich Sigrid Kramny. Jetzt gilt Tempo 30 diesseits und jenseits der Grenze, und wechselseitige Parkinseln wurden zur Verkehrsberuhigung auf den Asphalt gepinselt. Die haben zur Folge, dass Transitreisende ganz dreist auf die Bürgersteige ausweichen, um dem Gegenverkehr auszuweichen. Hauptsache, sie müssen keine Sekunde warten.

Vor wenigen Tagen noch wäre die ehemalige Telekom-Beschäftigte um ein Haar selbst Opfer eines besonders eiligen Autofahrers geworden. "Die einzige Lösung wäre die Ausweisung als Einbahnstraße."

Das sieht auch ihr Nachbar Bernardo Salvati so. 1964 zog der heute 64-Jährige als 16-jähriger Gastarbeiter aus dem süditalienischen Kalabrien ins "Amt Oberkassel". Ursprünglich wollte er nur ein Jahr bleiben. Heute fühlt er sich "als Deutscher und als Italiener - sogar beim Fußball".

Seine beiden erwachsenen Kinder sind im Rheinland verwurzelt. "Die Grenze hier auf der Straße existiert für uns Nachbarn gar nicht", versichert er. "Im Vergleich dazu gab es früher, als ich aus Italien kam, zwischen Niederdollendorf und Oberdollendorf eine regelrechte Kulturgrenze. Da ging man nicht auf die Kirmes des anderen."

Seit Anbeginn arbeitet Bernardo Salvati bei Dinova in Oberdollendorf. Er gerät ins Schwärmen über "seine" Fabrik: "Wir machen die besten Farben der Welt. Nächstes Jahr gehe ich zwar in Rente - aber ein Dinovaner bleibt man ein Leben lang", sagt er stolz.

Salvati fühlt sich wohl, auch weil "das Rheinland vom Lebensgefühl meinem Heimatland so sehr ähnelt". An Deutschland schätzt er "die Sicherheit und Verlässlichkeit. Nur die Sauberkeit der Städte nimmt leider immer mehr ab. Außerdem zahlt man immer mehr Steuern und Abgaben für immer weniger Gegenleistung."

Ansonsten ist er rundum zufrieden mit seinem Leben - wäre da nicht der Verkehr vor seiner Haustür. "Wenn man unsere Straße zur Einbahnstraße erklärte und im Gegenzug das Ende der Cäsariusstraße aufmachte, dann wäre das Problem gelöst."

Doch das Ende der Cäsariusstraße liegt als schmaler Fußweg auf Bonner Stadtgebiet, die Verbreiterung zugunsten der kleineren Nachbarstadt würde Geld kosten, das der großen Bundesstadt ohnehin an allen Ecken und Enden fehlt. Da macht sich dann doch die Grenze bemerkbar.

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