Marcin Malik beim Bonn Marathon Der lange Lauf zurück ins Leben

BONN · Der 41-jährige Marcin Malik läuft Marathon, trotz Schwerbehinderung und vieler Krankheiten Als Marcin Malik am 22. April 2012 nach vier Stunden, 15 Minuten und 37 Sekunden beim Bonn Marathon ins Ziel einläuft, da hat er mehr gewonnen als den Kampf gegen Erschöpfung, Bequemlichkeit, Schmerzen und den inneren Schweinehund. Er kann lachen. Und er ist glücklich. "Es war eigenartig, als ich ins Ziel eingelaufen bin", sagt Malik. Er lief wie in Trance, in seiner eigenen Welt.

 Der Bonn Marathon ist geschafft, jetzt hat Marcin Malik neue Ziele: Er will unter anderem beim 100-Kilometer-Lauf im schweizerischen Biel und beim Zugspitzlauf mitmachen.

Der Bonn Marathon ist geschafft, jetzt hat Marcin Malik neue Ziele: Er will unter anderem beim 100-Kilometer-Lauf im schweizerischen Biel und beim Zugspitzlauf mitmachen.

Foto: Barbara Frommann

Aber er bekam mit, wie die Menschen links und rechts jubelten, wie sie applaudierten und wie die Kinder ihm die Hände abklatschten. "Die letzten zwei Kilometer waren ein herrliches Gefühl", sagt der 41-Jährige.

Der Legende nach soll der Soldat, der nach dem Sieg des griechischen Heeres über die Perser bei Marathon nach Athen lief, um den Sieg zu verkünden, nach seiner Ankunft tot umgefallen sein. Als Malik beschloss, den Bonn Marathon zu laufen, hätte er auch nichts gegen dieses Schicksal gehabt. Das war im Jahr 2003. Malik hatte einen guten Freund, Matthias. Der Mann war 26 Jahre alt und wollte bald seine Freundin heiraten. Doch dann kam der Krebs. "Ich habe die Krankheit gesehen", sagt Malik.

Er sagt, dass er sich nicht daran erinnert, wie sein Freund starb. "Ich habe nur das Bild vor Augen, wie er auf dem Stein sitzt und auf mich wartet". Am Grab verspricht Malik seinem Freund, dass er den Bonn Marathon laufen wird. Und zwar bis ins Ziel. Mit dem Laufen fängt Malik 1996 an. 25 Jahre ist der Sohn polnischer Spätaussiedler damals alt.

"Und ich war fett von Cola, Alkohol, Süßigkeiten, Fresssucht und meiner Schilddrüsenunterfunktion." Seine Gesundheit macht Malik zeit seines Lebens zu schaffen. Bei der Geburt, erzählt Malik, wird ein Loch im Herz festgestellt, er hat einen Sprachfehler und muss früh am Gaumen operiert werden, in der Pubertät kommt Inkontinenz dazu.

"Mit Krankheiten schlage ich mich herum, seit ich ein Kind bin." Doch ein Freund überredet Malik zum Laufen. 120 Kilogramm wiegt Malik zu der Zeit. "Wir gingen dreimal in der Woche laufen." Mit der Filmmusik von "Rocky" im Ohr läuft Malik seiner Trägheit davon. "Das hat mich fasziniert, die Bewegung, das Atmen. Beim Laufen kann man nachdenken, man kommt auf andere Gedanken. Es ist ein geiles Gefühl, wenn man läuft und läuft, bis man nicht mehr kann, und immer weiter läuft, bis man in die Endorphinphase kommt." Malik tauscht die Droge Alkohol gegen die Droge Laufen.

Doch seine Gesundheit macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Malik machte zu der Zeit eine Ausbildung. "Es war an einem Freitagnachmittag, da bekam ich auf einmal Kopfschmerzen." Eine nicht ausgeheilte Mittelohrentzündung, die Diagnose: Meningitis. Mehrmals muss der Notarzt Malik in der Nacht reanimieren. "Die Chancen standen fifty-fifty, mein Leben stand auf der Kippe."

Malik überlebt, doch die Krankheit hinterlässt Spuren. Er hat Artikulationsschwierigkeiten, er kann sich nur schwer konzentrieren. Der 41-Jährige besitzt heute einen Schwerbehindertenausweis. Er rappelt sich nach der Hirnhautentzündung auf, trainiert weiter. Doch er ist frustriert. "Ich habe jeden Wettkampf in den Sand gesetzt."

2002 tritt er bei einem Marathon an, muss aber nach 30 Kilometern abbrechen. Dann stirbt Matthias. "Das hat mich umgehauen. Weil er so jung war. Und man ihm nicht helfen konnte." Malik, unzufrieden mit seinen sportlichen Misserfolgen, verspricht dem Freund, der an ihn glaubte, dass er bis ins Ziel läuft. Doch Malik verkraftet den Tod des Freundes nur schwer, denkt an Suizid. "Ich hatte dumme Gedanken." Er fällt in ein tiefes Loch, geht in Behandlung und bekommt einen gesetzlichen Betreuer. Dann wird in der Schilddrüse ein kalter Knoten festgestellt. Malik nimmt wieder zu. 140 Kilogramm wiegt er Anfang 2009. Das Versprechen für Matthias muss warten.

Irgendwann bekommt Malik die Schnürsenkel nicht mehr gebunden, er ist zu dick. "Da hat es Klick gemacht." Er fängt mit dem Radfahren an, dann kommt das Laufen. Er trainiert zwei bis vier Stunden täglich, nimmt in drei Jahren 70 Kilo ab. 2011 läuft er insgesamt 3500 Kilometer und nimmt an 25 Wettkämpfen teil.

Am 11. Dezember läuft der Mann, der von Grundsicherung vom Sozialamt lebt, seinen ersten Marathon. "Direkt einer der schwersten, der Siebengebirgsmarathon." Nach vier Stunden, 42 Minuten und 13 Sekunden läuft Malik ins Ziel. Wenige Monate später löst er sein Versprechen ein. Die "dummen Gedanken" sind weg. "Das Laufen", sagt Malik, "ist meine zweite Chance."

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