Die Bibel in vier Tagen und drei Nächten

Im flackernden Kerzenlicht der Marienforster Kirche liest André Wirth ziemlich Unbekanntes aus der Bibel. Während ein paar Hundert Meter weiter in der Bad Godesberger City die Wochenendeinkäufe getätigt werden, hat hier unter dem großen Holzkreuz knapp ein Dutzend Menschen in Stille zusammengefunden.

 Bibelmarathon im Zeichen der Ökumene: Auch Pfarrer Christian Werner beteiligt sich an der Lese-Staffel, die am Sonntagabend mit einem Gottesdienst in der Marienforster Kirche zu Ende ging.

Bibelmarathon im Zeichen der Ökumene: Auch Pfarrer Christian Werner beteiligt sich an der Lese-Staffel, die am Sonntagabend mit einem Gottesdienst in der Marienforster Kirche zu Ende ging.

Foto: Ronald Friese

Bad Godesberg. Im flackernden Kerzenlicht der Marienforster Kirche liest André Wirth ziemlich Unbekanntes aus der Bibel. Während ein paar Hundert Meter weiter in der Bad Godesberger City die Wochenendeinkäufe getätigt werden, hat hier unter dem großen Holzkreuz knapp ein Dutzend Menschen in Stille zusammengefunden. Nur eine Stimme ist zu hören, die für heutige Ohren Wunderliches von den Frommen und Gottlosen der Gemeinde Gottes vorträgt.

Eine Frau hat die Augen geschlossen und genießt wohl auch die wunderbare Melodie der Sprache. "Es missfällt dem Herrn sehr, dass kein Recht ist", ja, dieser Herr sei gefürchtet, lässt auch Wirths Söhnchen Max in der Bank leicht aufschrecken. Und dann scheint auch der Vorleser selbst erleichtert, endlich wieder auf bekanntes Terrain zu finden: Das beim Propheten Jesaja folgende "Mache dich auf und werde Licht" ist ebenso befreiend wie bekannt als vielgesungene Liedzeile.

"Wir lesen hier seit Donnerstag früh bis zum Sonntagabendgottesdienst die ganze Bibel vor", erklärt Initiatorin Pfarrerin Susanne Schrader, während ihr Gemeindekollege Pfarrer Christian Werner gerade als Profi mit fester Stimme den Stab für die nächste Viertelstunde übernommen hat. Und doch blieben auch für Theologen immer wieder Bibelpassagen gerade des drei Viertel der Zeit füllenden Alten Testaments befremdlich, so Schrader leise.

"Die Gräben der Geschichte und Kultur sind schwer zu überbrücken." Und dann blitze plötzlich etwas unerwartet Wichtiges, Gutes und Schönes auf, das man sich in den Alltag mitnehmen könne. Besonders, weil die Atmosphäre hier in der Marienforster Kirche so wunderschön sei, fügt Mitleser Cord Buschhorn hinzu. "Jeder Text ist eine Knospe für sich", ist Joachim Manthey überzeugt.

Nun ja, man habe sich in der letzten alttestamentarischen Nacht auch schon durch unappetitliche Beschreibungen von Geschlechtskrankheiten, Mord und Totschlag gekämpft, berichten Schrader und Presbyter Wolfgang Bauer. "Die Leser dieser Passagen sind hernach mit roten Ohren hinaus gegangen."

All diese unvorhersehbaren Erfahrungen machten das Projekt aber gerade spannend, erzählt der 14-jährige Paul Blickle, der die vorangegangene Nacht um 2 Uhr an der Reihe war. Er habe unangenehme Verwünschungen und Klagen vortragen müssen. "Aber auch Gottes unendliche Freude an den Menschen." Wichtig für ihn sei, dass die ganze Johannesgemeinde dieses Projekt trage.

202 Leser zwischen neun und 91 Jahren machten mit, bestätigt Schrader. Schüler, Lehrer und Direktoren vieler Schulen träten auf, Bezirksbürgermeisterin Annette Schwolen-Flümann, Superintendent Eberhard Kenntner, Vertreter von Godesheim, Kirchenkreis, Diakonischem Werk, alle hiesigen evangelischen Pfarrer und zahlreiche Katholiken.

"Auch mein indischer Kollege Pater Josey Thamarassery hat schon ein ökumenisches Zeichen gesetzt", freut sich Schrader, die aber auch zugibt, sich nachts immer mal vor Erschöpfung lang in die Kirchenbank legen zu müssen. Man wolle nicht ins Guinness-Buch der Rekorde kommen, sondern zum Reformationstag in einer Art Staffellauf ein Zeichen setzen, meint Pfarrer Werner, der gerade seine Schicht beendet hat.

Letzte Nacht habe man übrigens erschrocken bemerkt, dass man bis zum Sonntagabendgottesdienst eine Stunde zu schnell vorangeschritten war. "Um das wieder auszugleichen, haben sich die Vorleser bei den Psalmen halt ganz viel Zeit genommen", lacht Werner.

Und schaut sich die Wandzeitung mit den Teilnehmerkommentaren im Kaminraum an, wo Küsterin Czilla Janesch Kaffee und Tee bereitgestellt hat. Das "Hier weht ein ökumenischer Geist" und "Macht weiter so" wird ihn am meisten gefreut haben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort