Fest der Deutschen Einheit und NRW-Tag in Bonn Fest der Deutschen Einheit und NRW-Tag in Bonn: Zurück zu den Wurzeln

Deutschland feiert die Einheit drei Tage lang in der ehemaligen Bundeshauptstadt am Rhein.

Fest der Deutschen Einheit und NRW-Tag in Bonn: Fest der Deutschen Einheit und NRW-Tag in Bonn: Zurück zu den Wurzeln
Foto: Volker Lannert

Bonn. Was haben wir gelitten, ein halbes Jahrhundert lang. Nicht unter den gefühlten 300 Demos pro Jahr. Auch nicht unter den Sperrungen der Straßen und Brücken bei Staatsbesuchen. Erst recht nicht unter den ewig im Parkverbot parkenden Diplomaten, denen das völlig egal war, wo sie parkten, weil sie die Knöllchen ohnehin nicht bezahlen mussten.

Nein, gelitten haben wir unter der Häme, die uns all die Jahre aus dem Rest der Bundesrepublik entgegenschlug, aus Berlin, München, Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf, Köln. Nur weil wir klein, fein und Bundeshauptstadt waren. Nur weil wir in den Medien fast täglich in einem Atemzug mit Washington, Moskau, Paris, London genannt wurden. Nur weil wir 36 Jahre lang sogar eine supererfolgreiche eigene Fernsehserie hatten: "Bericht aus Bonn". Allein Friedrich Nowottny moderierte unweit der Stelle, wo heute die WCCB-Ruine steht, 571 Folgen: "Guten Abend. Das Wetter."

Nur wenige der deutschen Intellektuellen versagten sich der Häme. Zum Beispiel Heinrich Böll. Der Kölner Literaturnobelpreisträger ließ in "Ansichten eines Clowns" seinen Protagonisten sagen: "Es ist mir unverständlich gewesen, warum jedermann, der für intelligent gehalten werden möchte, sich bemüht, diesen Pflichthass auf Bonn auszudrücken."

Dabei hatten wir uns doch stets große Mühe gegeben, eine ordentliche Hauptstadt abzugeben, uns in rheinischer Toleranz geübt, bei Staatsbesuchen, sogar beim Schah-Besuch, fröhlich Fähnchen geschwenkt statt Steine geworfen und bei Großdemos, die nicht selten mehr Teilnehmer nach Bonn lockten, als unsere kleine Stadt am Rhein Einwohner zählte, junge, rührend rebellische Menschen beherbergt oder bei brüllender Hitze mit Trinkwasser versorgt. Bonner Deeskalation statt Hamburger Kessel. Und unser damaliger Bonner Oberbürgermeister wurde nicht müde, Berlin politisch korrekt als die wahre, die künftige, die einzige Hauptstadt Deutschlands zu preisen. Bis ihn die Geschichte beim Wort nahm.

Vorbei und vergessen. Die Sogkraft der neuen, alten, großen Hauptstadt Berlin hat längst auch jene erfasst, die zuvor von der Bescheidenheit der kleinen Stadt am Rhein profitierten. Film-Hauptstadt München? Film-Hauptstadt Berlin! Popmusik-Hauptstadt Köln? Popmusik-Hauptstadt Berlin! Kunst-Hauptstadt Düsseldorf? Kunst-Hauptstadt Berlin! Von Biolek bis Kerkeling: Alle zogen und ziehen nach Berlin. Auch Bonn-Kämpfer Friedel Drautzburg hatte nichts Besseres zu tun, als rechtzeitig zum Regierungsumzug seine gastronomischen Zelte am Rhein abzubrechen und an der Spree eine "Ständige Vertretung" zu eröffnen. Und während sich die Regierung eine neue Käseglocke, ein neues Treibhaus im Berliner Tiergarten geschaffen hat, tobt das Leben in Friedrichshain.

Vorbei und vergessen. Jetzt wird gefeiert. Und wie! Drei Tage lang, vom 1. bis 3. Oktober. In Bonn. Zurück zu den Wurzeln. Wo alles anfing. Wo Konrad Adenauer das Grundgesetz unterschrieb, wo Willy Brandt mehr Demokratie wagte, wo die Mächtigen dieser Welt Helmut Schmidt huldigten, wo Helmut Kohl in jenem Kanzleramt, dem Schmidt den "Charme einer rheinischen Sparkasse" bescheinigte, die Weichen zur Einheit stellte. Wir sind Deutschland, für drei Tage. Zu Gast bei Freunden? Schwer zu sagen, wie viele sich eingeladen fühlen, das neue Bonn zu besichtigen.

"Wir rechnen mit mehr Besuchern, als Bonn Einwohner hat", versichert Monika Hörig. Die alte Bonner Großdemo-Personalstärke also? "Eine Demonstration der Freude jedenfalls." Die Chefin des städtischen Presseamtes kann sich nicht erinnern, wann Bonn jemals ein Ereignis dieser Dimension erlebte: "Natürlich sind wir es gewöhnt, Massenveranstaltungen zu managen. Aber diese drei Tage im Oktober sind etwas völlig anderes als etwa Rhein in Flammen oder Pützchens Markt, was die Komplexität der Angebote betrifft."

Bonn konnte sich früh rühmen, eine der größten Fußgängerzonen Deutschlands zu besitzen. Vom 1. bis 3. Oktober lädt die Bundesstadt in die vielleicht größte Fußgängerzone der Welt - vom Stadthaus bis zum Post-Tower. Die Augen der Wirtschaftsförderin Victoria Appelbe leuchten, wenn sie vom Fest spricht: "Das wird auch für die Bonner ein ganz besonderes Erlebnis, etwa über die autofreie Adenauerallee zu flanieren. Mancher, der seine Stadt in- und auswendig zu kennen glaubt, wird sich mitunter fragen: Wo bin ich gerade?

Da entstehen vorübergehend neue, mehrstöckige Bebauungen, etwa im Hofgarten. Die Stadt wird sich für drei Tage völlig verändern." Und was könnte Menschen aus, sagen wir, Darmstadt oder Dortmund an diesen Tagen nach Bonn locken? "Die wunderbare Gelegenheit, die Vielfalt unserer Bundesrepublik am Ort ihrer Entstehung zu erleben", schwärmt Monika Hörig.

"Sie können Labskaus am Stand der Hamburger essen und nur wenige Meter weiter die Schönheiten Bayerns kennenlernen. Das Erlebnis beginnt bereits, wenn Sie aus dem Zug steigen: Am Hauptbahnhof werden die eintreffenden Gäste drei Tage lang von Musikchören empfangen. Am dritten Tag sind sämtliche Verfassungsorgane bei uns zu Gast: der Bundespräsident, der Präsident des Deutschen Bundestages, die Bundeskanzlerin, die Vorsitzende des Bundesrates und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Die Kameras sämtlicher großer Fernsehsender werden auf uns gerichtet sein."

Und Victoria Appelbe ergänzt: "Wir versprechen einen Besuch voller Überraschungen. Wir wollen Appetit machen auf Bonn. Die Besucher werden erleben, welchen neuen, modernen Zauber diese Stadt entfaltet, die viele nur noch als politische Kulisse aus der Tagesschau kennen. Das ist eine große Chance für Bonn."

Turnusmäßig richtet das Bundesland, das den Vorsitz im Bundesrat ausübt, die zentralen Feiern zum Tag der Deutschen Einheit aus - bisher immer in der Landeshauptstadt. Umso erstaunter war man in diversen Staatskanzleien, als sich NRW für Bonn entschied. "Inzwischen hat man sich aber an den Gedanken gewöhnt", versichert Pressechefin Monika Hörig. "Schließlich weiß jeder: Bonn war ein ganz besonderer Ort auf dem Weg zur Deutschen Einheit."

Bonn will auch vom 1. bis 3. Oktober ein ganz besonderer Ort sein. Zehn Hauptbühnen sind über das Festgelände verteilt. Auf der Hauptbühne Münsterplatz treten am 1. Oktober die Bläck Fööss auf, am 2. Oktober die Band Juli, und am 3. Oktober gastiert die WDR Big Band zusammen mit Wolfgang Niedecken (BAP) auf dem Münsterplatz.

Zum Abschluss des Festes wollen die weltweit renommierten Jazzmusiker und Grammy-Preisträger aus Köln ihr Bonner Publikum animieren, gemeinsam Beethovens Ode an die Freude zu singen. Deutschland, merke: Sogar die Europa-Hymne stammt aus Bonn.

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