NRW-Vizemeisterin Friesdorferin wird im Alter zu Superschützin

Bad Godesberg · Die Friesdorferin Renate Hiemke (77) sticht reihenweise Männer am Schießstand aus. Sie kam erst im hohen Alter zum Schießsport und hat es bis zur NRW-Vizemeisterin gebracht.

Es ist eine dieser schier unglaublichen Geschichten, die staunen machen. Angefangen hat sie damit, dass im Februar letzten Jahres die Friesdorferin Renate Hiemke am Klufterplatz einen Aushang des Awo-Nachbarschaftszentrums entdeckt hatte: Der Stadtsportbund und die Sportschützen Ännchen 1957 Bad Godesberg boten den Awo-Senioren einen kostenlosen Schnupperkurs im Luftgewehrschießen für über 55-Jährige an.

„Da ging ich dann eben einfach mal hin“, berichtet Hiemke, eine 77-jährige promovierte Chemikerin, die über viele Jahre im Bundesumweltministerium gearbeitet hatte. Noch nie zuvor hatte sie ein Gewehr in der Handt. Aber sie suchte schon länger eine Sportart, bei der sie ihr rechtes Handgelenk nicht belasten musste. „Tennis ging nicht mehr. Ich wollte sportlich aber was tun“, sagt Hiemke.

Obwohl die tatenlustige Seniorin dann erst in den vorletzten Termin des Schnupperkurses einstieg, räumte sie beim nächsten, dem Abschlusstermin, unter allen Teilnehmern mit 296 Ringen sogar die Bronzemedaille, also den dritten Platz, ab. „Naja, das war wohl einfach nur Zufall“, meint Heimke bescheiden. Blut hatte sie aber sofort für den Schießsport geleckt. „Mir gefällt das: Das Ziel zu erkennen, ruhig zu werden, mich voll zu konzentrieren und genau im richtigen Moment abzudrücken“, erläutert Hiemke.

Das Schieß-Höckerchen gerne angenommen

Alsbald stieg sie ins Training der Ännchen-Sportschützen mit ein, um die Schuss- und Atemtechnik zu lernen, die nötige Kondition zu erlangen und, egal was rundherum passierte, den eigenen Rhythmus zu finden. Nach der dreimonatigen Probezeit konnte sie den Aufnahmeantrag stellen: Ab da war die 77-Jährige im Verein Mitglied.

Das strenge schon ganz schön an, zehn Probeschüsse und danach in Wettkämpfen 30 gewertete Schüsse zu absolvieren, merkte Hiemke bald bei ihren zwei Trainingsterminen die Woche im Schützenzentrum an der Friesdorfer Straße 244a. „Da sagte man irgendwann im Verein zu mir: Du musst in deinem Alter beim Schießen nicht mehr stehen, wir geben dir ein Höckerchen“. Was Hiemke gerne annahm.

Seither schießt die Friesdorferin per Luftgewehr im Sitzen. Und eine ganze Reihe älterer Trainingskollegen, die sich das wohl nicht zu fragen getraut hätten, zielten inzwischen auch vom Höckerchen aus, erzählt Hiemke schmunzelnd. Schon beim Wettkampf der Godesberger Hubertus-Schützen 2017 zeigte die Friesdorferin in ihrer Altersklasse sofort ihr Talent: Sie errang den Sachpreis für die Ännchen-Schützen wie in diesem Jahr gleich wieder.

Gegen diese Frau scheint kein Kraut gewachsen

„Ja, dabei habe ich schon sämtliche Männer meiner Altersklasse hinter mir gelassen“, antwortet Hiemke auf Nachfrage. Und wie haben das die Herren der Schöpfung aufgenommen? „Eine spannende Frage“, antwortet sie lächelnd. Gegen diese Frau sei einfach kein Kraut gewachsen, soll in der Schützenszene über die 77-Jährige schon gemunkelt worden sein. „Ich habe ja nichts zu verlieren. Da gehe ich jedes Mal noch ein wenig lässiger in den Wettkampf“, schildert Hiemke selbst ihr Erfolgsrezept.

Und mit dem startete sie dann im Mai dieses Jahres frischen Mutes auch bei den NRW-Landesmeisterschaften der Senioren in Frechen. Wenn sie vor der Entscheidung dasitze, um in sich zu ruhen, würden die Kollegen flachsen: „Jetzt macht die Renate wieder Tiefenentspannung“, berichtet sie. Mit 307,4 Ringen schaffte die Tiefenentspannte dann gegen die NRW-Konkurrenz aus dem Stand die Vizemeisterschaft der Seniorinnenklasse V – ein grandioser Erfolg.

Den hatte sie übrigens selbst nicht für sich erwartet. Direkt nach dem Wettkampf sei sie nach Hause gefahren, um erst dort von der frohen Botschaft überrascht zu werden. „Die Medaille wird in solchen Fällen nachgeschickt“, meint Hiemke nüchtern. Für die Teilnahme bei der Deutschen Meisterschaft hätten ihr übrigens nur eineinhalb Punkte gefehlt. „Aber kein Problem.“ Hiemke zuckt mit den Achseln. Sie schieße mit Spaß an der Freud' weiter.

Dafür hat sie sogar ihr langjähriges Hobby, die Malerei, an den Nagel gehängt. Hiemkes Erfolg und übrigens auch der Vereinseintritt zweier weiterer Awo-Senioren in den Schützenverein bestätige die gute Zusammenarbeit, freut sich auch Anni Merzbach, Leiterin des Friesdorfer Nachbarschaftszentrums. „Toll, dass der Stadtsportbund Bonn so ein ausgefallenes Angebot finanziell gefördert hat.“ Senioren wollten doch nicht nur Kaffee trinken und Enkel hüten.

Renate Hiemke jedenfalls saust schon wieder los zu den Ännchen-Schützen. Das Training wartet.

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