Ganz ohne Musik geht's nicht

Stefan Otteni inszeniert in der Halle Beuel Victorien Sardous Sex-and-Crime-Stück "Tosca"

Ganz ohne Musik geht's nicht
Foto: Thilo Beu

Beuel. Wer ist Victorien Sardou? Gut informierte Opernfans kennen ihn gerade noch als Libretto-Lieferanten für Puccinis "Tosca"-Oper; seine vielen melodramatischen Bühnenreißer, von George Bernard Shaw einmal vernichtend als "Sardoodledom" gegeißelt, sind in Vergessenheit geraten. Und doch hat Almuth Voß Sardous Schauspiel "La Tosca" neu übersetzt, hat Stefan Otteni es in der Halle Beuel inszeniert.

Zur Sicherheit mit der Unterstützung durch Puccinis Musik - denn auch wenn "Tosca" zuerst und irgendwann mal ein Schauspiel war, ist es ganz ohne Oper einfach nicht zu denken. So stellt Otteni seiner gefeierten Operndiva Floria Tosca (Philine Bührer) und deren freiheitlich gesinntem Maler-Liebhaber Mario Cavaradossi (Helge Tramsen) zwei Sänger zur Seite, die das Geschehen mit Opernzitaten kommentieren und konterkarieren.

Ausstatter Franz Lehr macht die angstvolle Atmosphäre in Scarpias römischem Polizeistaat greifbar: Die ganze Bühne ist rundum vergittert; im schmalen Gang auf der anderen Seite des Zauns patroullieren Wachen. Hoch oben zeigt ein erleuchtetes Fenster den Polizeichef in seinem Wachturm; hier lauert er wie Saurons Auge in Minas Morgul, alles im Blick, jederzeit bereit, zuzuschlagen. Ein klaustrophobisches Durcheinander von zusammengeschobenen Tischen und Stühlen dient nacheinander als Kirche, Landhaus und Engelsburg.

Hier sitzt Cavaradossi und malt Maria Magdalena - in Bonn eine Kopie von Gerhard Richters "Ema / Akt auf einer Treppe" -, als der verfolgte Revolutionär Angelotti hereinplatzt. Mario versteckt Angelotti, seine vor Eifersucht blinde Floria führt Scarpia unwissentlich zum Unterschlupf, und das Verhängnis nimmt seinen Lauf.

Sardous "Tosca" ist ein drastisches Sex-and-Crime-Stück, und Ottenis Version mit ihrer plakativen Bildsprache ändert kaum etwas daran. Zugegeben: Die neue Übersetzung klingt moderner, cooler, lässiger; zeitweise haben die Dialoge sogar Witz und sorgen für eine ironische Brechung der menschlichen Abgründe.

Auf der anderen Seite bewirken die Alter-Ego-Figuren des Liebespaars mit Arienpassagen und Ausschnitten aus der Oper eine emotionale Vertiefung, die das Stück allein nicht leisten könnte. "Vissi d`arte" und die pianissimo gesungene Tenor-Arie "E lucevan le stelle" sprechen für sich. Doch Márta Rózsa und Fabian Martino, kammermusikalisch begleitet von einem Quartett unter der Leitung von Matthias Flake, singen als Tosca II und Mario II ihren Spiegelbildern nicht nur etwas vor, sondern interagieren mit ihnen, trösten und stützen sie.

Das Spiel mit den gespaltenen Persönlichkeiten funktioniert ebenso gut wie der Einfall, Scarpias Henkersknecht Spoletta in eine Frau zu verwandeln. Susanne Bredehöft spielt die Polizeiagentin ganz zurückgenommen und doch so, dass kein Zweifel bleibt: Spoletta liebt ihren Chef und wird zurückgewiesen; die Motive ihres Handelns sind Einsamkeit, Bitterkeit und Rachsucht.

All diese Bausteine konstituieren eine Inszenierung, die inmitten von Sadismus, Perfidie, Blut und Tränen ihre poetischen Momente hat, aber in zu viele Erzählstile aufsplittert. Die Addition der einzelnen Elemente fügt sich nur zu einem disparaten Ganzen, einem Flickenteppich, der in vielen Farben schillert, aber dem Zuschauer unter den Füßen wegrutscht. Als Rettungsanker bieten sich die Schauspieler an. Raphael Rubino ist ein atemberaubend fürchterlicher Baron Scarpia: Sein Schreckensregime stützt sich nicht auf finstere Blicke und schleichende Heimtücke - er ist tierhaft sinnlich, vergnügt amoralisch und zelebriert eine Bonhomie der Grausamkeit.

Als seine Gegnerin ist Philine Bührers nervtötend naive Tosca nie wirklich ebenbürtig, obwohl sie sich steigert: Zu Beginn wirken die Eifersuchtsanfälle der Diva, die in Puccinis Tonsprache immer noch edel klingen, einfach nur zickig. Als aber das Schicksal in Gestalt des Polizeichefs über sie hereinbricht, kommen neue Facetten ihres Wesens zum Vorschein: Treue, Mut, Widerstandskraft. Um so gemeiner ist es, dass ihr selbstbestimmtes Handeln einem allzu symbolträchtigen Ende zum Opfer fällt.

Auf einen Blick

Das Stück: Sardous reißerische Vorlage zu Puccinis Oper wäre heute ein Horrorfilm.

Die Inszenierung: Trotz der effektvollen Kombination von Schauspiel und Oper: Viele gute Ideen ergeben noch kein überzeugendes Ganzes.

Die Schauspieler: Machen ihre Sache gut. Bestnoten für Philine Bührers schillernde Tosca und Raphael Rubinos monströsen Scarpia.

Die nächsten Vorstellungen: 3., 7., 10., 13., 16., 19, und 23. Dezember

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