Berlin/Bonn-Gesetz Gutachter sieht eindeutigen Rechtsbruch

Bonn · Immer mehr ministeriale Posten in Berlin: Bonn und Region setzen auf moralischen Anspruch.

Jürgen Pföhler kann sich noch gut an manche skeptische Bemerkung von Bundestagsabgeordneten erinnern, als am 26. April 1994 das Gesetz zur Umsetzung des Berlin/Bonn-Beschlusses des Deutschen Bundestags vom 20. Juni 1991 auf den Weg gebracht wurde. "Viele haben sich gefragt, wie lange das wohl halten werde", sagte der Landrat des Kreises Ahrweiler am Montag bei der Präsentation eines Gutachtens zum Berlin/Bonn Gesetz im Alten Rathaus, das die Stadt Bonn sowie die Kreise Rhein-Sieg und Ahrweiler in Auftrag geben hatten. Denn: Die Skepsis von einst war berechtigt.

Der Bund höhlt das Gesetz mehr und mehr aus, von einer fairen Arbeitsteilung, nach der die Mehrzahl der Ministerialarbeitsplätze in Bonn angesiedelt sein müssen, kann längst keine Rede mehr sein. Weniger als 50 Prozent der Ministeriumsposten befinden sich inzwischen nur noch in Bonn. So kommt denn auch der Gutachter, der renommierte Berliner Rechtswissenschaftler und Staatsrechtler Markus Heintzen unterm Strich zu dem Ergebnis: Der Bund verhält sich eindeutig rechtswidrig.

Doch große Chancen, dass die Stadt Bonn juristisch dagegen vorgehen könne, sehe er nicht. Weil, so führt er in seinem 37 Seiten starken Gutachten aus, die Bundesstadt Bonn "als juristische Person des öffentlichen Rechts grundrechtsunfähig ist". Und auch dem Rhein-Sieg-Kreis, dem Kreis Ahrweiler und dem Land NRW fehlten eine rechtliche Handhabe, weil sie nur mittelbar betroffen seien.

Allerdings habe die Region Bonn einen politisch-moralischen Anspruch , dass das Gesetz eingehalten und gelebt wird. Und den wollen, so machten Bonns Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch sowie die Landräte Frithjof Kühn (Rein-Sieg-Kreis) und Pföhler am Montag unmissverständlich deutlich, gegenüber dem Bund einfordern.

"Darüber müssen wir mit dem Bund reden. Dafür ist der Zeitpunkt ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl gut", sagte Nimptsch. Seine Forderung: Im nächsten Koalitionsvertrag müsse deutlich mehr als bisher festgehalten werden, wie denn die Bundesregierung ihre Verantwortung für die Bundes- und UN-Stadt Bonn sowie für die ganze Region in Zukunft wahrnehmen wolle. Woraufhin Kühn sich beeilte zu erklären, dass man bei aller Gesprächsbereitschaft nicht zulassen werde, dass das Gesetz weiterhin permanent in Frage gestellt werde.

Eine Möglichkeit wäre aber auch, dass das Gesetz geändert oder aufgehoben werde, machte Heintzen klar. Doch die Latte dafür liege sehr hoch. Denn dann stellten sich erneut Fragen des Vertrauensschutzes zugunsten der Region Bonn. Und damit auch die Frage, was der Bund der Bundesstadt Bonn, deren Bezeichnung ja kein Etikett sei, das man aufkleben und wieder abziehen könne, als Ausgleich zu bieten habe.

Beispiel Hardthöhe: 360 Dienstposten sind verlagert:
Das Verteidigungsministerium hat zum 1. September 360 Dienstposten von der Hardthöhe nach Berlin verlagert. Die personelle Besetzung soll bis Jahresende abgeschlossen sein. Sieben von neun Abteilungsleitern des Ministeriums arbeiten nun in Berlin. Wie viele Personen aus Bonn gewechselt sind, konnte die Pressestelle am Montag nicht sagen.

Um das Personal an der Spree unterzubringen, nutzt das Verteidigungsministerium das "Shell-Haus" (Miete für fünf Jahre: 20 Millionen Euro). Seit der Verlagerung hat es rund 900 Posten in Berlin und 1100 in Bonn. Weitere Verlagerungen nach Berlin sollen intern geplant sein - das wird bisher aber dementiert. Auch Gutachter Heintzen schreibt vom geplanten Ausbau in Berlin auf 1250 Posten. (bau)

Aus dem Gutachten:
"Gemäß Paragraf 4 Absatz 4 Berlin/Bonn-Gesetz muss die Mehrzahl der Ministerialarbeitsplätze (50 Prozent plus ein Arbeitsplatz) in Bonn angesiedelt sein. In Bezug auf diese Untergrenze ist Paragraf 4 Absatz 4 Berlin/Bonn-Gesetz trotz Verwendung des Wortes "sollen" eine "muss"-Vorschrift. Seit etwa vier Jahren entspricht die Realität der Arbeitsteilung zwischen Berlin und Bonn dieser gesetzlichen Vorgabe in Paragraf 4 Absatz 4 Berlin/Bonn-Gesetz nicht mehr. Das ist objektiv rechtswidrig und verletzt möglicherweise subjektive Rechte der Bundesstadt Bonn. Ein Konflikt zwischen Gesetz und Realität kann auch zugunsten der Realität gelöst werden, indem das Gesetz entsprechend angepasst wird. In jedem Fall sollte in einem Rechtsstaat auf Gesetzesehrlichkeit Wert gelegt werden."

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