Projekt „Meet a Jew“ Bei der Begegnung lernen Nicht-Juden jüdisches Leben kennen

Ückesdorf · Schülerinnen und Schüler des Carl-von-Ossietzky-Gymnasiumauf treffen zwei junge Erwachsene als Botschafter des Judentums. Das Projekt „Meet a Jew“ leistet wichtige Arbeit beim Abbau von Vorurteilen über jüdische Menschen.

 Lehrerin Julia Hadem (links) bedankt sich für das Engagement von Vika und Yotam, die 90 Minuten lang Rede und Antwort standen.

Lehrerin Julia Hadem (links) bedankt sich für das Engagement von Vika und Yotam, die 90 Minuten lang Rede und Antwort standen.

Foto: Stefan Hermes

Er sei sehr aufgeregt, sich für das Projekt „Meet a Jew“ (dt. Begegne einem Juden) zum ersten Mal den Fragen einer Schulklasse zu stellen, sagt Yotam (22). Mit seiner bereits erfahreneren Kollegin Vika (25) - beide möchten lediglich mit ihrem Vornamen genannt werden - wurde er über das Begegnungsprojekt des Zentralrats der Juden von der evangelischen Religionslehrerin Julia Hadem in das Carl-von-Ossietzky-Gymnasium (CvO) eingeladen.

„Das aktuelle jüdische Leben durch in Deutschland lebende jüdische Menschen kennen lernen“, ist die offiziell formulierte und über die Internet-Präsenz verbreitete Idee hinter „Meet a Jew“. Die persönliche Begegnung soll bewirken, „was tausend Bücher nicht leisten können“. Wer Jüdinnen und Juden schon einmal persönlich getroffen habe, sei weniger anfällig für Stereotype und Vorurteile, so die Idee. Zudem gebe es viel mehr Themen als Antisemitismus, die Shoah oder den Nahostkonflikt, über die es zu sprechen gilt.

Begegnung soll gegen Vorurteile helfen

Nach 90 Minuten zunächst zaghaft gestellter Fragen von einigen der 21 anwesenden Schülerinnen und Schülern im Alter von 15 und 16 Jahren der 9. Jahrgangsstufe fasste Lehrerin Hadem zusammen, dass sie es ganz toll finde, „dass es die Möglichkeit zu einer realen Begegnung mit Freiwilligen gibt, die sagen: hier sind wir“. Während der Corona-Pandemie habe sie das Gefühl bekommen, dass sich in der Gesellschaft wieder antisemitische Stereotypen entwickelten.

Als nur eine ihrer Schülerinnen die Frage, wer von ihnen überhaupt jüdische Menschen kenne, bejahen konnte, habe sie den Vorsatz gefasst, sich für eine Begegnung durch Meet a Jew einzusetzen. Ein halbes Jahr musste sie warten, bis der Termin zustande kam. Die Nachfrage scheint groß: Seit Anfang 2020, als das Projekt aus dem Zusammenschluss der Initiativen „Rent a Jew“ und „Likrat – Jugend & Dialog“ entstand (siehe Kasten), hat es schon über 700 bundesweite Begegnungen mit den ehrenamtlich engagierten Jüdinnen und Juden in Schulen, Universitäten, Instituten und Vereinen gegeben.

Einseitiges Bild in Schulbüchern

Dass diese Begegnungen wichtig seien, bestätigte eine Projektverantwortliche gegenüber dem GA. Das Bild, das sich oft in Religionsbüchern finde, sei oftmals sehr einseitig. Man könne dabei zu der Annahme kommen, dass alle Juden auch religiös seien, was für Deutschland nicht zutreffe. Das jüdische Leben sei vielfältig. Dagegen sei das Judentum nicht etwa nur eine Religion, sondern auch ein Volk, zu dem Kultur, Geschichte und Tradition gehörten. Vika und Yotam stellten das im Kreis der CvO-Schülerinnen und -Schüler auf eindrucksvolle Weise dar.

Während beide von ihrem eigenen säkularen Familienhintergrund sprachen, legte Vika Wert darauf, sich als „religiös“ zu bezeichnen. Sie wolle, als Antwort auf die Frage einer Schülerin, auch nur einen jüdischen Partner heiraten. „Man weiß ja nicht, in wen man sich verliebt“, sagte dagegen Yotam. Er möchte sich die Entscheidung offen halten: „Man soll ja auch glücklich sein in der Ehe“. Beide wurden nach den Riten einer jüdischen Hochzeitszeremonie befragt. Statt eines Ja-Wortes im christlichen Ritus steckt der jüdische Mann seiner zukünftigen Frau den Ehering auf ihren Zeigefinger, den sie als Zeichen ihrer Zustimmung auf den Ringfinger wechselt. „Dazwischen wird noch ein Glas zerbrochen, damit man sich auch im schönsten Moment einer Hochzeit noch an die Zerstörung des Tempels erinnert“, sagte Vika.

Jüdisch sein bedeutet mehr als den Gang zur Synagoge

Fragen nach erlebtem Antisemitismus tauchten nur am Rande auf. Yotam, der als Pfleger in Düsseldorf arbeitet, vertraut auf die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland, die ihn als Juden schützt. „Außerdem kennen wir es ja nicht anders“, so Vika, „als mit Polizeischutz groß geworden zu sein.“ Ob vor der jüdischen Schule oder einer Synagoge, das Bild der dort präsenten Polizei sei inzwischen selbstverständlich, sagte auch Yotam.

Der Religionskurs hatte sich auf den Besuch der beiden „Botschafter des Judentums“ gut vorbereitet. So erfuhren die Jugendlichen, dass jüdisch zu sein nicht zwangsläufig bedeutet, jede Woche die Synagoge zu besuchen. Beide Gäste erklärten jedoch, dass ihnen die Einhaltung einiger Riten des am Freitagabend beginnenden Feiertags Schabbat wichtig sind. Sie lernten eine herumgereichte Mesusa kennen - die Kapsel, welche beim Betreten eines jüdischen Hauses berührt wird und das jüdische Glaubensbekenntnis beinhaltet, sowie eine Kippa, die nur von Männern getragen wird.

Die Jugendliche erfuhren auch, dass die in der Ukraine geborene Vika – wenn es ihr Studium der Wirtschaftspsychologie zulässt - am liebsten Tennis spielt, dass Yotam gerne rudert oder Yoga betreibt. Beiden gelang es, das oftmals abstrakte Bild von „den Juden“ aufzubrechen. „Hätte Gott gewollt“, sagte Vika, „dass wir alle gleich wären, dann gebe es auch nicht so viele Religionen.“ Jeder könne sein, was man wolle, solange man die moralischen Grenzen nicht verlasse.

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