Boys’ und Girls‘ Day in Bonn Auf dem Chefsessel der Arbeitsagentur wird viel gequatscht

Duisdorf · Schülerin Selin Ortmann hat für einen Tag die Leitung der Bonner Arbeitsagentur von Geschäftsführer Bernd Lohmüller übernommen. Sie kann sich vorstellen, später selbst ein Unternehmen zu gründen.

 Selin Ortmann in der Chefetage der Bonner Arbeitsagentur. Sie hat für einen Tag den Posten von Geschäftsführer Bernd Lohmüller übernommen.

Selin Ortmann in der Chefetage der Bonner Arbeitsagentur. Sie hat für einen Tag den Posten von Geschäftsführer Bernd Lohmüller übernommen.

Foto: Stefan Knopp

Einen Interviewtermin mit der Presse hatte Selin Ortmann noch nie. Entsprechend aufgeregt saß sie in ihrem Sessel im Besprechungszimmer im achten Stock der Bundesagentur für Arbeit in Bonn und versuchte, sich daran zu erinnern, über was sie mit Bernd Lohmüller vorhin im Auto gesprochen hatte. Aber sie war ja die Chefin, und als solche durfte sie auch delegieren. Also ließ sie Lohmüller antworten, der eigentlich der Geschäftsführer ist, aber am Donnerstag Selin als Hospitant zur Seite stand. Für diesen Tag durfte die 15-Jährige nämlich im Chefsessel der Agentur Platz nehmen, die für die Jobvermittlung in Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis zuständig ist. An Lohmüllers Tür stand ihr Name und auf seinem Schreibtisch auch.

Was also war das Thema, als sie vom Besuch der Firma Kautex in Holzlar zurückfuhren? Es ging darum, warum Netzwerken für seinen Job so wichtig ist. Beim Kunststoffhersteller hatten die beiden sich nicht nur angeschaut, wie dort die Arbeitsabläufe sind, sondern auch Vertreter anderer Institutionen getroffen. Kreishandwerkerschaft, Industrie- und Handelskammer, auch Unternehmer waren dabei. Wichtig sei der Austausch. Zum Beispiel habe er dabei erfahren, dass viele kleinere Handwerksunternehmen die Förderangebote der Agentur gar nicht kennen. Dem muss abgeholfen werden, und dafür muss man miteinander reden.

Schülerin vom Ernst-Kalkuhl-Gymnasium hat viele Fragen

Selins erster Eindruck von dem, was ein Geschäftsführer den ganzen Tag lang so macht: „Viel quatschen.“ Lohmüller schmunzelte vor sich hin, aber sie hatte ja recht. Bei allem, was die Schülerin vom Ernst-Kalkuhl-Gymnasium in Oberkassel an dem Tag mitmachte, ging es um den Austausch, mal im Jour Fixe mit Unternehmern, dann in einer Strategierunde zum Thema Ausbildungsmarkt, später bei Kautex, dann mit der Presse, zuletzt noch beim Meeting mit der erweiterten Geschäftsführung, wo es unter anderem um Personalfragen ging. Selin war überall dabei und stellte Fragen.

Sie war über die Schule und über ihre Mutter auf dieses Angebot aufmerksam geworden, das die Arbeitsagentur ausgeschrieben hatte: Am Boys- und Girls-Day waren 20 Jungen im Haus unterwegs, um sich die Arbeit von Berufsberatern anzuschauen. Aber man wollte auch Mädchen etwas bieten, und da das Ungleichgewicht von Frauen gegenüber Männern in Führungspositionen immer noch Thema ist, wollte man ganz oben ansetzen. Vier Mädchen meldeten sich, das Los fiel auf Selin.

Sie hatte sich beworben, „weil ich großes Interesse habe, später mal ein Unternehmen zu gründen und zu führen“. Die grobe Richtung ist auch klar: Sie möchte nach der Schule Psychologie studieren. „Ich liebe es, das Verhalten von Menschen zu analysieren.“ Wie sie Lohmüller einschätzen würde? „Er ist selbstbewusst und sympathisch“, sagte sie. Direkt an ihn gerichtet: „Ich war überrascht, dass Sie so ein cooler Chef sind. Ich hatte mir vorgestellt, dass man als Chef strenger ist.“ Sie habe schon den Eindruck, dass die lockere Art, mit der er sie durch den Tag führte, sein ganz normales Verhalten sei, nicht aufgesetzt für diesen Tag. Und so eine Art Chef wolle sie auch mal sein.

Bei der Gestaltung ist noch Luft nach oben

Was sie ändern wollen würde, wenn sie wirklich dort Chefin wäre? „Ich würde die Eingangshalle heller und farbenfroher gestalten“, sagte Selin. Zu Arbeitsabläufen konnte sie nach einem halben Tag in der Chefposition nicht viel sagen. Da habe sich durch die Digitalisierung viel verändert, sagte Lohmüller. Jobvermittlung, Jobbörse, Video-Beratungsgespräche – wie überall durch die Corona-Pandemie vorangetrieben –, mobile Daten, Einblick in Berufsfelder per VR-Brille: „Der gesamte Matching-Prozess, wie die Vermittlung heute heißt, wird zunehmend automatisiert.“ Das sei auch so gewünscht. Die Mitarbeiter der Agentur seien aber immer noch beratend eingebunden, auf sie kann man nicht verzichten.

Für einen Tag war die Bonner Arbeitsagentur in Frauenhand. Was die weiblich besetzten Führungspositionen angeht, muss sich die Bundesagentur aber nichts vorwerfen lassen. Vorstandsvorsitzende ist Andrea Nahles, im Vorstand sitzen außerdem Vanessa Ahuja und Katrin Krömer, einziger Mann ist Daniel Terzenbach. Im Jobcenter Rhein-Sieg ist Anja Roth die Frau an der Spitze. Über die Gender Pay Gap müsse man sich im öffentlichen Dienst ohnehin keine Gedanken machen, sagte Lohmüller. Die werde sich rauswachsen, war er überzeugt. „Ich glaube, dass junge Frauen immer selbstbewusster werden.“

Am Donnerstagabend ging der Chefsessel der Bonner Agentur wieder an Lohmüller zurück. Selin war zufrieden. „Alle waren sympathisch und hilfsbereit, sie haben mich nett aufgenommen.“ Sie könne sich vorstellen, auch ein Praktikum dort zu machen. Dann aber wohl nicht im Büro des Geschäftsführers.