Zur Not den roten Knopf drücken Zehnjähriges Bestehen der Geburtshilfe auf dem Venusberg

Bonn · Der hebammengeleitete Kreißsaal an der Bonner Uniklinik ist eine zehnjährige Erfolgsgeschichte. Die Geschichte dahinter.

 Begleitung beim Start ins Leben: Hebamme Karin Ballat mit dem vor wenigen Stunden zur Welt gekommenen Kiyan.

Begleitung beim Start ins Leben: Hebamme Karin Ballat mit dem vor wenigen Stunden zur Welt gekommenen Kiyan.

Foto: Stefan Hermes

Für Frauen, die sich eine weitestgehend natürliche Geburt wünschen, gibt es im Bonner Universitätsklinikum (UKB) einen hebammengeleiteten Kreißsaal. Im November konnten Hebammen, Ärzte, Pflege- und Klinikleitung gemeinsam das zehnjährige Bestehen feiern.

Noch zur Zeit der Gründung um das Jahr 2009 gab es fast ausschließlich ärztlich geleitete Geburten, die in einigen Kliniken mit einer hohen Zahl routinemäßiger Interventionen wie Dammschnitten, zügigen Gaben von Anästhesien und Wehenmitteln einhergingen. Dieser Entwicklung sollte der hebammengeleitete Kreißsaal etwas entgegensetzen. Das Ziel: den individuellen Bedürfnissen von gesunden Gebärenden mit unauffälligem Schwangerschaftsverlauf gerecht werden zu können.

„In zwei umfangreichen Vorgesprächen gehen wir seither mit den Frauen ihre bisherige Schwangerschaft durch und nehmen ihre individuellen Bedürfnisse auf“, beschreibt Karin Ballat, Leitende Hebamme der Abteilung für Geburtshilfe und Pränatale Medizin, das Angebot des Kreißsaals. „Das kann beispielsweise der Umgang mit Schmerzen ebenso wie das Interesse an einer Wassergeburt oder die Bedeutung des Bondings mit dem Kind sein. Wenn die Frauen dann zur Geburt auf den Venusberg kommen, können die Hebammen dort den Geburtsprozess sehr individuell gestalten und ohne ärztliche Begleitung betreuen.“

Ärztin oder Arzt können jederzeit hinzugezogen werden

Trotzdem bleibe am UKB jederzeit die Möglichkeit erhalten, bei unvorhergesehenem Geburtsverlauf oder in akuten Krisensituationen eine Ärztin oder einen Arzt aus nahezu allen relevanten Fakultäten hinzuzuziehen. Für Ballat ist der hebammengeleitete Kreißsaal eine Erfolgsgeschichte. Von den rund 2200 Kindern, die im UKB jährlich zur Welt kommen sind es inzwischen etwa 120, bei denen sich die werdenden Mütter mit dem hebammengeleitete Kreißsaal für eine natürliche Geburt ohne Schmerzmittel entschieden haben.

Die Anzahl der Frauen, die bei einem ausführlichen Vorsorgegespräch im ersten Drittel ihrer Schwangerschaft eine natürliche Geburt anstrebten, läge allerdings wesentlich höher als die Zahl derjenigen, die beim Näherrücken des Geburtstermins immer noch auf den Einsatz von schmerzreduzierenden Mitteln verzichten wollten.

So habe sich die Einstellung zur Geburtshilfe in den letzten Jahren dahingehend verändert, so Ballat, dass viele Frauen sagten, ihr Kind wollten sie normal entbinden, aber warum sollten sie im Jahr 2019 dabei noch Schmerzen empfinden müssen. Geburtshilfe sei heute insgesamt sehr „medikamentenbehaftet“, was einer Geburt im hebammengeleiteten Kreißsaal widerspricht. Dort möchte man die Frauen durch eine Eins-zu-eins-Betreuung im Schichtdienstmodell darin bestärken, ihre Kinder aus eigener Kraft heraus zu gebären.

Immer weniger Hebammen

„Das Gute in unserem Kreißsaal ist“, betont Ballat, „dass ich im Fall einer Komplikation nur die Türe aufreißen oder auf den roten Knopf drücken muss, um einen der rund um die Uhr anwesenden Fachärzte zu erreichen.“ Was an der Uniklinik eine Selbstverständlichkeit ist, führt neben einigen weiteren berufspolitisch heiklen Themen dazu, dass sich im Bereich des Hebammen-Nachwuchses eine große Lücke auftut.

„Kaum jemand möchte noch einen 24/7-Job im Schichtdienst machen“, fasst Ballat das Problem des Hebammen-Mangels zusammen. Und sie weiß, wovon sie spricht: Obwohl eine Hebammenschule mit zurzeit 47 in Ausbildung befindlichen Hebammen im UKB angesiedelt ist, kann auch von dort der spezifische Fachkräftemangel nicht behoben werden. „Auch wir sind tendenziell unterbesetzt“, so die Leitende Hebamme, „jedoch können wir mit 15 Kolleginnen den Betrieb sicher aufrechterhalten.“

Bis heute ist der hebammengeleitete Kreißsaal im UKB der einzige, der in einer deutschen Uniklinik zu finden ist. Seit 2003, der Eröffnung des ersten Kreißsaals dieser Art in Bremerhaven, hat sich diese Form der Geburtshilfe allerdings an einigen Krankenhäusern Deutschlands etabliert. Das Konzept des hebammengeleiteten Kreißsaals wird seit 2018 im Auftrag des NRW-Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales wissenschaftlich untersucht. Dabei werden die Entscheidungskriterien der Schwangeren zur Wahl eines Entbindungsmodells, ihre Bewertung der Betreuung und die medizinische Sicherheit in NRW unter die Lupe genommen.

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