Mit Kampfsport aus der Sackgasse Fight Academy in Medinghoven hilft Streit auf Straße zu verhindern

Medinghoven. · Kinder und Jugendliche trainieren in der Bonner Fight Academy in Medinghoven. Das hilft, manchen Streit auf der Straße zu verhindern.

 Zusammen mit den Schwestern Melina (v.r.) und Diana trainiert Ibrahim Barakat (l.) die jüngsten Sportler in der Bonner Fight Academy.

Zusammen mit den Schwestern Melina (v.r.) und Diana trainiert Ibrahim Barakat (l.) die jüngsten Sportler in der Bonner Fight Academy.

Foto: Quelle: Oberkasseler Wassersport Verein/Repro: Stefan Hermes

Yazid (37), der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte, lehnt lässig am offenen Eingang der Bonner Fight Academy (BFA) und beobachtet das Treiben um sich herum. Kleine Kinder scheinen Nachlaufen zu spielen. Jugendliche stehen in Gruppen am wasserlosen und vermüllten Brunnen zusammen und sind mit ihren Handys beschäftigt. Junge Erwachsene unterhalten sich auf den Treppen zu einer Shisha-Bar. Es ist heiß, und die autofreie Sackgasse am Europaring scheint nach dem Gespräch mit Yazid auch für manch einen Bewohner des näheren Umfelds eine Sackgasse für das Leben zu bedeuten.

„Für viele ist das hier ein Ghetto“, sagt er. Es gebe kaum Deutsche in den Häusern ringsum. „Die sind da hinten, wo die Einfamilienhäuser stehen, und machen einen Bogen um uns.“ Wenn er von „uns“ spricht, meint er die sich in Arabisch, Kurdisch und Russisch unterhaltenden Menschen im Stadtteil.

„Ich wohne gerne hier“, sagt Marina. Woanders würde sie auch nichts bekommen, fügt sie lachend hinzu. Die Russin ist alleinerziehend und bringt gerade ihren fünfjährigen Sohn Ismael zum Kickboxen. Wie viele seiner Freunde hatte auch er schon sehnsüchtig auf die Wiedereröffnung der Fight Academy gewartet. Vor Corona-Zeiten kamen täglich rund 100 Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer zum Training.

Eröffnung vor drei Jahren

Die Eröffnung des Kickbox-Centers vor drei Jahren scheint überfällig gewesen zu sein. „Bevor wir hier nach Köln unseren zweiten Laden eröffneten, hatten wir uns genau angesehen, was hier los ist“, sagt Ibrahim Barakat, der zusammen mit Rafik Belhadj das Studio in Medinghoven betreibt. Yazid erklärt, was rund um die Academy los ist: „Hier laufen die Kids die Wände hoch“, sagt er. Wie meint er das? „Na ja, die wissen einfach nicht, wohin mit sich und ihrer Kraft. Die langweilen sich und machen Mist.“

Yazid zeigt Verständnis für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen. Er wuchs selbst in ähnlichem Umfeld auf. 2013 kehrte er vorübergehend zurück in seine marokkanische Heimat. Dort leben seine Frau und seine drei Kinder. Lieber heute als morgen möchte er sie nach Deutschland holen. „Wenn du einmal Deutschland kennengelernt hast, kannst du nicht mehr in Unfreiheit leben“, sagt er.

Nach siebenjährigem Versuch, im heimatlichen Nador wieder Fuß zu fassen, sucht er jetzt hier einen Platz für sich und seine Familie. Vorerst hilft er beim BFA aus. Und man kennt ihn dort. Yazid wünscht sich, dass die Politik etwas gegen die Verhältnisse unternimmt. „Wir brauchen hier eine Quote“, sagt er. Migranten und Deutsche müssten zu gleichen Teilen vertreten sein. Marina pflichtet ihm bei. Sie kritisiert, dass selbst in der Kita russisch gesprochen werde. „Wie soll mein Sohn da Deutsch lernen?“, fragt sie akzentfrei.

Manche Rauferei auf der Straße wird verhindert

Manchmal besucht sie einen Spielplatz in Medinghoven, von dem sie weiß, dass dort deutsche Mütter mit ihren Kindern anzutreffen sind. „Aber da macht man einen Bogen um uns“, sagt sie und ist überzeugt davon, dass man dort keinen Wert auf ihre Anwesenheit legt. Hinzu komme, dass Ismaels Vater aus Pakistan kommt und ihr Sohn nicht weiß ist. Was bedeutet das? „Rassismus“, antwortet sie und ist froh, dass sich Ismael beim Training so wohl fühlt.

Barakat ist überzeugt davon, dass das Kampfsportstudio manche Rauferei auf der Straße verhindert: „Wer bei uns auf einen Wettkampf hin trainiert, hat keine Lust mehr, sich auf der Straße zu schlagen.“ In Köln seien schon Erzieher mit ihren Schützlingen zum Training gekommen. „Das hat allen geholfen“, sagt Barakat und lacht. Doch das habe es in Bonn noch nicht gegeben. Sein Eindruck ist, dass sich im Viertel niemand um die Kinder auf der Straße kümmert. „Doch“, fällt ihm Yazid ins Wort und lobt einen pensionierten Soldaten, den alle nur als „Herrn Müller“ kennen. Der kümmere sich um die Jugendlichen und erkundige sich, ob er etwas für sie tun könne.

Die beiden Schwestern Melina (16) und Diana (13), die seit drei Jahren in der Fight Academy trainieren, können nichts Kritisches über ihr Viertel sagen. Sie fühlen sich wohl dort. Und ihr Trainer Barakat ist stolz auf die beiden zierlichen Mädchen, die Teil der BFA Asia-Falken bereits den Titel der K1-Europameisterinnen tragen.

In der Bonner Kampfsportschule leiten sie die Mädchen und Jungen an, die nach der coronabedingten Zwangspause langsam wieder eintreffen. „Wer hier für den Wettkampf trainiert, kommt auf keine dummen Gedanken mehr“, sagt Barakat. Der Sport koste einfach zu viel Kraft. „Die Eltern sind glücklich, dass ihre Kids hier sind“, ist er überzeugt. Die meisten kommen dreimal in der Woche zum Training.

Bonner Fight Academy, Europaring 44, ist unter (0177) 5 49 08 07 zu erreichen.

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