Abneigung gibt es bis heute Deshalb hat ein Bonner Reisebüro nur Angebote für Schwule
Lengsdorf · Rudolf Hermesdorff betreibt in Bonn ein Reisebüro, das ausschließlich Angebote für Schwule hat. Er sagt: In den meisten Hotels sind Homosexuelle heute willkommen, aber nicht in jedem. Und in manchen Ländern kann es für sie sogar gefährlich werden.
In den 1980ern zogen Rudolf Hermesdorff und seine Mitstreiter auch mal ein Kleid an, um die Leute ein bisschen zu schocken. Damals engagierte er sich in der Schwulenbewegung und war gelegentlich bei solchen Aktionen dabei. „Dann hieß es über uns: Diese Schwulen sind schlimm, aber die normalen Schwulen gehen“, erinnert sich der 64-Jährige.
Mit dem, was er heute macht, will er sein Engagement von damals fortsetzen: Sein Unternehmen „männer-natürlich“, bietet Reisen für Schwule an, er spricht von „Gay-Gruppenreisen“. Sein Büro befindet sich in seinem Haus am Ende einer Sackgasse in Lengsdorf. Hermesdorff, gut 1,90 Meter groß, Dreitagebart, Brille, öffnet die Tür und bittet den Besuch herein.
Das Büro befindet sich im ersten Stock. Im Treppenhaus hängen Zeichnungen, etwa von Istanbul. Die türkische Metropole gehörte mal zu den Zielen, die er im Programm hatte. „Damals gab es Badehäuser, Discos, Bars, in denen es sehr verwunschen zuging“, sagt Hermesdorff. Seit Erdogan Präsident in der Türkei ist, hätten Homosexuelle im Land viel Freiheit verloren. Heute bietet er nur noch Segeltörns in der Türkei an.
Dann erzählt er davon, wie alles angefangen hat mit den Gay-Reisen: Vor rund 30 Jahren organisierte er ehrenamtlich eine Wanderung für Schwule. Er bekam so viele Anfragen, dass er direkt eine zweite Wanderung anbot. Damals arbeitet er noch bei einer Versicherung. Nach Feierabend organisierte er weitere Reisen und entschied irgendwann, sich selbstständig zu machen.
Neben den Segeltörns hat er heute hauptsächlich Wanderungen und Ski-Reisen im Angebot – meistens in der Schweiz und in Österreich, gelegentlich in Italien. Braucht es überhaupt ein Angebot, das sich speziell an Schwule richtet? Entsteht so nicht vielleicht sogar der Eindruck, dass es nicht ganz normal ist, schwul zu sein?
Männer verstecken sich über Jahrzehnte
Für Hermesdorff sind die Reisen eher ein Schutzraum. „Viele Teilnehmer wollen mal eine Woche lang nicht erklären, dass sie anders sind“, sagt er. Bei schwulen Pärchen komme es immer noch vor, dass sie im Speisesaal des Hotels schräg angeschaut werden. Was er außerdem oft erlebe: 70 oder 80-Jährige, die nach dem Tod der Partnerin ihre Homosexualität ausleben. „Viele haben Frauen geheiratet, um sich zu schützen und sich zu verstecken“, sagt Hermesdorff.
Und noch etwas passiere, wenn er die Männer auf den Reisen zusammenbringe: Auch die unpolitischen unter ihnen gerieten in Diskussionen. Er beobachtet zudem, dass Leute, die mit ihrer Homosexualität sonst nicht so offen umgehen, freier und mutiger werden.
Ähnlich argumentiert Jürgen Rohrbach vom Bonner Verein r(h)einqueer, der laut seiner Internetseite einen Raum für das Anderssein schaffen will. In seinen Augen bedeutet Hermesdorffs Angebot schon eine gewisse Abgrenzung. Als Schwuler könne er aber heute bei jedem Veranstalter buchen, für ihn sind die Gay-Reisen etwas für „Leute mit einer gewissen Schnittmenge – wie Single- oder Seniorenreisen.“ Er sagt: „Und für Leute, die sich im Alltag vielleicht nicht so frei bewegen können, sind sie ein sicherer Raum.“ Kurzum: Ein spezielles Angebot im normalen Spektrum.
Ein wachsender Markt
Angebote wie das von Hermesdorff scheinen gefragt zu sein. „Der Markt ist gewachsen“, sagt ein Sprecher des Deutschen Reiseverbands. Zahlen dazu lägen aber keine vor. Neben Reisebüros, die sich auf diese Zielgruppe spezialisiert haben, gibt es auch Kreuzfahrten und Hotels, die ausschließlich auf homosexuelle Gäste setzen; so der Sprecher.
Laut Hermesdorff sind Schwule heute in fast jedem Hotel willkommen, aber eben nicht in allen. Er erinnert sich da etwa an eine 75-jährige Hotel-Chefin. Zuerst hatte er per Mail angefragt und es dann noch mal am Telefon versucht. „Als die begriff, was Sache ist, sagte sie: Solche Männer nehmen wir hier nicht“, berichtet er.
In Europa sei es für schwule Männer recht unproblematisch zu verreisen, anders sehe die Lage schon in der arabischen Welt aus. „In Ägypten zum Beispiel werden Schwulen-Partys von der Polizei hochgenommen“, sagt Hermesdorff. „Touristen passiert meist nichts, aber die Einheimischen landen mit Foto in der Zeitung.“ Gewalt gegen Homosexuelle gebe es immer wieder.
Die Einschätzung teilt Rupert Haag, der sich als Ehrenamtlicher bei Amnesty International unter anderem für die Rechte von Homosexuellen einsetzt. Diese Menschen hätten es schwer in der Region – mal abgesehen vom Libanon und von Israel. Haag berichtet von Repressalien durch Geheimdienste, von Verhaftungen und Folter.
Touristen passiere in der Regel nichts, wenn sie sich in der Öffentlichkeit nicht als schwul oder lesbisch zu erkennen geben würden. In der Türkei sei es nicht so schwierig. „Aber ein öffentlich schwules Leben zu führen, das ist nicht so einfach wie in westlichen Ländern“, sagt Haag. In Städten wie Istanbul oder Ankara gehe es liberaler zu, dennoch gebe es homosexuelle Menschen, die von ihren Familien verstoßen oder enterbt würden.
Schwul ist in Deutschland immer noch ein Schimpfwort
Und wie blicken Hermesdorff und Haag von Amnesty International auf die Situation in Deutschland? Viel habe sich verändert, seit der Zeit, in der er sich engagiert hat, findet Hermesdorff. Abneigungen gebe es bis heute, aber sie würden nicht mehr so offen gezeigt. Die Medien hätten zudem dazu beigetragen Homosexualität zu normalisieren. „Wenn man immer wieder sagt, das ist normal, glauben die Leute es irgendwann“, sagt Hermesdorff.
In Bonn geht er mit seinem Freund Hand in Hand, aber nicht in jedem Viertel. Als Schwuler der reiferen Generation sei er so programmiert, dass sein Radar permanent läuft, denn er hat verinnerlicht: „Öffentlichkeit ist gefährlich“.
Dass in den letzten Jahrzehnten viel passiert ist, findet auch Haag: Paragraf 175 abgeschafft, die Ehe für Homosexuelle möglich (siehe Infobox: Gesetze). Allerdings: Es ist erst knapp 30 Jahre her, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Homosexualität von der Liste der psychischen Krankheiten gestrichen hat. Haag weiß auch, dass „schwul“ immer noch als Schimpfwort benutzt wird. Es brauche noch mehr Bildung und Aufklärung. „Es wird besser, wir dürfen die Hände aber nicht in den Schoß legen.“