Schuldnerberatung in Hardtberg Soziale Unterschiede wachsen in Bonn

Hardtberg. · Ein Schuldenberg trennt Medinghoven und Finkenhof: Im Schuldner-Atlas der Creditreform Wirtschaftsforschung ist der Bezirk Finkenhof dunkelgrün - Medinghoven knallrot.

 Es hilft alles nichts: Um sich einen Überblick zu verschaffen, müssen alle Rechnungen auf den Tisch.

Es hilft alles nichts: Um sich einen Überblick zu verschaffen, müssen alle Rechnungen auf den Tisch.

Foto: Benjamin Westhoff

Für den Finkenhof wurde 2019 eine Schuldnerquote von 5,1 Prozent ermittelt, für Medinghoven 15,7 Prozent. Damit steht der Stadtteil auf Platz 5 nach Godesberg-Nord (18,7 Prozent), dem statistischen Bezirk Bonn-Güterbahnhof (19,5 Prozent), Neu-Tannenbusch (19,9 Prozent) und Dransdorf mit 22,6 Prozent. Die wenigsten Überschuldungen verzeichnet Ückesdorf mit 3,1 Prozent.

Henning Dimpker bewertet diese Zahlen nicht mit beifälligem Kopfnicken hier und missbilligendem Kopfschütteln da. „Eine solche Schlussfolgerung ist kurzsichtig“, sagt der Leiter der Zentralen Schuldnerberatung Bonn. Er ist besorgt darüber, dass Bonn bei der Verschuldung ein im bundesweiten Vergleich auffällig heterogenes Bild bietet. „Und die Pole spreizen sich weiter auf.“ Aus den Sozialeinrichtungen in Medinghoven beispielsweise gebe es Hinweise, dass immer mehr Einwohner in die Schuldenfalle geraten. Dabei seien die Auswirkungen der aktuellen Corona-Krise auf die finanzielle Situation der Haushalte noch gar nicht absehbar.

Ende 2017 bezogen in Medinghoven 552 Personen je 1000 Einwohner Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II; im Bonner Durchschnitt waren es 149 Leistungsempfänger je 1000 Einwohner. Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund liegt bei 54 Prozent (in Bonn Rang 3). Die Zahl der Haushalte mit Kindern ist hoch; die Zahl der Alleinerziehenden steigt. Aber auch zunehmende Altersarmut ist ein Punkt.

Pfändungsbescheide, Wohnung gekündigt

Fatal ist der schleichende Einstieg in eine Schuldenspirale. Auslöser können etwa Erkrankung, Sucht oder Unfall, irrationales Konsumverhalten sein und: längerfristiges Niedrigeinkommen. „Besser ist, dass es erst gar nicht zum katastrophalen Showdown kommt“, würde sich Dimpker wünschen. Kein Geld für ein Brot, kein Pfennig im Portemonnaie, Konto gesperrt, Pfändungsbescheide, offene Rechnungen, Wohnung gekündigt – nichts geht mehr. Vor allem zwischen den Feiertagen ist ein Notruf bei der Schuldnerberatung eingerichtet. Da meldet sich beispielsweise nach Weihnachten ein Klient, der nicht mehr ein noch aus weiß. Wie soll er - völlig mittellos – Lebensmittel für seine Familie bekommen? Die schnelle Hilfe sieht so aus, dass er bei der Freistellung des nichtpfändbaren Betrages auf seinem Konto unterstützt wird, um zumindest Geld für den Einkauf von Essen abheben zu können.

 Henning Dimpker, Leiter der Zentralen Schuldnerberatung Bonn

Henning Dimpker, Leiter der Zentralen Schuldnerberatung Bonn

Foto: privat

„Viele überschuldete Menschen bemerken erst sehr spät, dass sich ihre Schulden trotz jahrelanger Ratenzahlungen und unter Aufwendung eines Großteils ihres Einkommens nicht reduzieren lassen und unter Umständen neue hinzukommen“, berichtet Dimpker aus der Praxis.

Die Schuldenlast führe oftmals auch zu einer starken seelischen Belastung, die krank mache. Erster Schritt der Beratung ist, die Unterlagen zu sortieren und sich einen Überblick über die finanzielle Situation zu verschaffen. Rund 1200 Bonner nehmen jedes Jahr Kontakt mit der Schuldnerberatung auf. 600 nehmen das Angebot eines konsequenten Entschuldungsprogramms an.

„Da steckt auch viel Scham dahinter“

Schuldnerberatung sollte nach Dimpkers Einschätzung präventiv einsetzen, „damit es gar nicht erst zum Knall kommt“. Aber das ist schwierig, denn lange werde die Fassade aufrechterhalten. Außerdem will man es nicht wahrhaben. „Wer mag seinen Bekannten offenbaren, dass er wegen Geldnot das Auto abschaffen muss? Da steckt auch Scham dahinter.“ Stattdessen wird der gewohnte Status aufrecht erhalten, obschon die Ausgaben längst höher sind als die Einnahmen. Wenn die Miete mehr als 30 Prozent des Nettoeinkommens beträgt, bewerten Finanzexperten das als „bedenklich“, ab 40 Prozent als „problematisch“. Angesichts steigender Immobilienpreise gerät mancher Haushalt in Schieflage. Vor allem für Ruheständler birgt das eine Gefahr.

Doch unterm Strich seien es multiple Problemkonstellationen, die ins finanzielle Desaster führen können. Fehlen Deutschkenntnisse, kann die Post nicht gelesen werden. Fehlt die Kompetenz im Umgang mit den Finanzen, ist die Steuerung in einer zunehmend digitalisierten Welt problematisch. Fehlt die psychische Betreuung, kann der Spielsüchtige zwar seine Schulden abtragen, aber seine Sucht wird ihn wieder in die Falle locken.

Sprechstunden im Stadtteilbüro

Dimpker: „Schuldnerberatung muss neue Wege gehen.“ Das Beratungsangebot dürfe sich nicht nur auf die Sanierung der wirtschaftlichen Situation beschränken, sondern müsse auch die psychosoziale Stabilität des Hilfesuchenden unterstützen. „Es muss niederschwellig und nicht-diskriminierend sein.“ Erst wenn nichts anderes mehr geht, würden sich Betroffene auf den Weg zur Schuldberatung in der Stadt machen. „Um sie buchstäblich früher abzuholen, bieten wir auch Sprechstunden im Stadtteilbüro Medinghoven an.“ Indes, jedermann sollte nach seiner Auffassung mehr über Armutsrisiken, Faktoren der Überschuldung und Präventionsmaßnahmen wissen, ist sein Plädoyer in Vorträgen.

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