Bonner Zusammenschluss bangt um Existenz Städtischer Zuschuss für Gehörlosenverein gefährdet

Ippendorf · Sein 90-jähriges Bestehen feiert der Bonner Gehörlosenverein Einigkeit mit einem Oktoberfest. Es könnte das letzte sein, weil durch die Novellierung des Bundesteilhabegesetzes eine wichtige Einnahmequelle wegbricht. Der Vorstand hofft auf ein kleines Wunder.

 Die Gehörlosen feiern in der Alten Schule Ippendorf das 90-jährige Bestehen des Bonner Gehörlosenvereins Einigkeit.

Die Gehörlosen feiern in der Alten Schule Ippendorf das 90-jährige Bestehen des Bonner Gehörlosenvereins Einigkeit.

Foto: Stefan Knopp

Viele Menschen in einem Raum, alle reden durcheinander, man kann nichts verstehen – aber nicht, weil es so laut wäre, sondern weil sie dazu ihre Hände verwenden. Etwa so kann man sich das Oktoberfest des Bonner Gehörlosenvereins Einigkeit vorstellen, das am Samstag im Untergeschoss der Alten Schule in Ippendorf gefeiert wurde. Anlass war der 90. Geburtstag des Vereins, aber man wollte auch die Gelegenheit nutzen, solange man noch kann.

Denn durch das neue Bundesteilhabegesetz (BTHG, siehe Infokasten) kommt der Verein gehörig ins Schwimmen, so Helga Wallasch. Sie ist hörende Schriftführerin des Vereins und Gehörlosen-Dolmetscherin. Das Gesetz regelt die Zuständigkeit für Beratungsangebote für Menschen mit Behinderung neu: Die übernimmt ab Anfang kommenden Jahres der Landschaftsverband Rheinland.

Beratung in Essen, nicht mehr ortsnah

Der LVR setzt auf die Zusammenarbeit mit der Kontakt-, Koordinierungs- und Beratungsstelle (kurz: Kokobe) für Menschen mit geistiger Behinderung, der Ergänzenden unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) Bonn, dem Integrationsfachdienst (IFD) Bonn und dem „betreuten Wohnen“. Die Kokobe, erklärte Wallasch, habe Erfahrungen mit Gehörlosen, die in der Werkstatt für Behinderte arbeiten möchten. Die EUTB Bonn habe aber niemanden, der Gebärdensprache beherrsche. Die Beratung für Gehörlose werde in Essen beim Landesverband der Gehörlosen angeboten – „nicht besonders ortsnah und für unsere meist mehrfachbehinderten Senioren schwierig zu erreichen“, so die Dolmetscherin.

Der IFD helfe in Sachen Arbeit. Das „betreute Wohnen“ gehe häufig mit einer gesetzlichen Betreuung einher, die aber die meisten Mitglieder des Bonner Gehörlosenvereins Wallaschs Ansicht nach meist nicht benötigten.

„Niederschwellige Beratungen macht der LVR nicht“, ist Wallasch überzeugt. Dazu zählt sie einfache Dinge, etwa dass jemand mit den Gehörlosen ihre Post liest, die sie oft nicht verstehen, und Antworten formuliert. Oder dass ihnen jemand die Corona-Verordnungen erklärt oder die Anforderungen, die die Leistungsprüfung durch den LVR mit sich bringt – oder die Mülltrennung.

Da Wallasch und ihr Team der Stadt damit Arbeit abnehmen, gab es bisher eine Leistungsvereinbarung mit der Stadt Bonn, die dafür jährlich 9.008,66 Euro zahlte. Davon wurden die Miete und die Dolmetscher bezahlt. Für Beratung von gehörlosen Bonner Bürgern gab es einen Geldbetrag, der in die Vereinskasse floss. Jetzt ist aber die Stadt an das im Bundestag beschlossene neue Teilhabegesetz gebunden. Die Beratung „auf dem kleinen Dienstweg“ könnte Wallasch ehrenamtlich weiterführen, aber die Gelder fallen weg.

Städtischer Zuschuss für nächstes Jahr mündlich zugesagt

Die Einnahmen durch den Getränkeverkauf bei den regelmäßigen Treffen können alleine nicht die Miete von monatlich 440 Euro für die Räumlichkeiten im alten Schulgebäude decken, abgesehen davon, dass man erst durch den langwierigen Umbau und dann durch die Lockdowns zuletzt auch wenig Gelegenheit hatte, mit dem Getränkeverkauf die Einnahmen etwas aufzustocken. Und der Mitgliedsbeitrag von 30 Euro im Jahr reicht bei derzeit 15 Mitgliedern auch nicht aus.

Wobei, wie Wallasch erzählt, das für die Stadt auch ein Dilemma ist. Denn die vertritt den Standpunkt, dass man die Gehörlosen nicht schlechter stellen darf. Sprich, die Beratungen müssten weitergehen. „Aber die Stadt hat eigentlich keinen Geldtopf mehr dafür.“ Der Verein hat schon viele Hebel in Bewegung gesetzt, die Politiker vor Ort angesprochen und Gespräche mit der Stadt geführt. Die Verwaltung hat die Weiterführung der Leistungsvereinbarung über den Jahreswechsel hinaus mündlich zugesagt, aber was kommt danach? „Für uns ist es eine Ungewissheit.“ Man müsse „auf ein Wunder hoffen“ und darauf vertrauen, dass Wort gehalten wird.

Damit ist der Verein an einem Tiefpunkt seiner Geschichte angelangt. Gegründet wurde er am 12. Mai 1931 von einem Brühler Gehörlosenlehrer. Ab 1940 gab es kriegs- und nachkriegsbedingt eine zehnjährige Pause. Dann wurde der Betrieb wieder aufgenommen und der Bedarf stieg: 2001 war mit mehr als 80 Mitgliedern das stärkste Vereinsjahr. In der Zeit gab es viele Events vom Angelausflug bis zu Fahrten zu Bonner Partnerstädten. Aber es kamen keine jungen Gehörlosen nach, weil sie die Vereinsorganisation scheuen und sich frei organisieren über digitale Medien, die sie stärker nutzen als die Älteren.

Die Vereinsmitglieder feierten am Samstag noch mal unbeschwert, ohne Programmpunkte bis auf eine Tombola: Man wollte einfach etwas miteinander essen und sich austauschen. Es kamen Gehörlose aus der Ahr-Region, aber auch aus Köln, wo laut Wallasch nach den Corona-Lockdowns ein Zentrum nicht wieder eröffnet wurde. Sie befürchtet, dass sich die Situation der Gehörlosen ab kommendem Jahr verschlechtern wird. „Wenn die Stadt die Leistungsvereinbarung auf Null setzt, bleibt uns nur, den Treffpunkt zu schließen.“

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