Fahrten für Senioren auf dem Venusberg Die Rikscha als „Geschenk des Himmels“

Venusberg · Der Bonner Verein Radeln ohne Alter und die Auferstehungskirchengemeinde unterstützt ältere Menschen und macht sie mit Rikschas wieder mobil. Ziele können die Waldau sein oder der nächste Supermarkt.

Die neue Rikscha mit (von rechts) Jan Gawol, Heike Jakob-Bartels, Mario Dretschak, Gabriele Conen, Carla Hornberger und Lilo Caemmerer.

Die neue Rikscha mit (von rechts) Jan Gawol, Heike Jakob-Bartels, Mario Dretschak, Gabriele Conen, Carla Hornberger und Lilo Caemmerer.

Foto: Stefan Hermes

Es ist die 13. Rikscha, die vom Bonner Verein Radeln ohne Alter betrieben wird, um damit ältere und mobilitätseingeschränkte Menschen durch Stadt und Natur zu fahren. Insgesamt 25 Einrichtungen profitieren bereits von dem Angebot. „Die Idee, uns eine Rikscha anzuschaffen, kam uns im Gespräch mit einem Fahrer des Vereins, der davon berichtete, wie glücklich seine Fahrgäste bei den Ausfahrten sind“, sagt Heike Jakob-Bartels von der Evangelischen Auferstehungskirchengemeinde am Haager Weg.

Eine Ausschreibung der Evangelischen Kirche, bei der man Projektanträge für Angebote zur nachbarschaftlichen Vernetzung stellen konnte, brachte Jakob-Bartels und Carla Hornberger vom Gemeindebüro dazu, das ebenfalls am Haager Weg liegende katholische Cellitinnen-Seniorenhaus Maria Einsiedeln für die Anschaffung einer Rikscha zu gewinnen. „Wir waren schon zuvor mit Radeln ohne Alter in einem regelmäßigen Austausch“, sagt Jan Gawol.

Da die Anschaffung mit bis zu 12.500 Euro für eine gut ausgestattete Rikscha jedoch nicht „so mal eben“ zu stemmen gewesen sei, so der Seniorenhausleiter, sei man gerne in die ökumenische Konstellation mit der Auferstehungskirchengemeinde und dem Verein Radeln ohne Alter eingestiegen. Nun ist die Rikscha zur allseitigen Verfügung in einer Garage des Seniorenheims untergebracht. Regelmäßig werden jetzt einmal in der Woche Rikschafahrten angeboten. „Inzwischen stehen unsere Seniorinnen und Senioren bereits Schlange oder melden sich schon frühzeitig für die Ausfahrten an“, so Bettina Lülsdorf von Maria Einsiedeln.

„Meist fahren wir hier oben durch den Kottenforst und besuchen die Waldau oder die Tiergehege“, sagt Mario Dretschak. Der 62-Jährige ist seit bald zwei Jahren einer der rund 100 Piloten genannten Rikschafahrer des fast 300 Mitglieder zählenden Vereins, der bundesweit vertreten ist und sich zum Ziel gesetzt hat, dem „Social Distancing“, der sozialen Vereinsamung älterer Menschen, etwas entgegenzusetzen.

Gerade in den Coronazeiten habe die Risikogruppe der Seniorinnen und Senioren nur wenig Nähe und gesellschaftliche Teilhabe erfahren, heißt es auf der Webseite des Vereins, der dort über seine Ziele und Wirkung informiert und für Piloten sowie Unterstützung wirbt. Mit dem Motto „Jeder hat das Recht auf Wind in den Haaren!“ möchte der Verein Menschen mit eingeschränkter Mobilität Zeit, Beweglichkeit und Lebensfreude durch die kostenlosen Rikschafahrten schenken.

„Dabei wollen wir kein alternatives Taxiunternehmen sein, sondern es geht uns vielmehr darum, alters-, geschlechts- und schichtübergreifenden Austausch zu ermöglichen und unsere Quartiere lebenswerter und inklusiver zu gestalten“, ist die formulierte Prämisse des Vereins, der zudem die Gesellschaft für die alltäglichen Barrieren älterer und mobilitätseingeschränkter Personen sensibilisieren möchte und so auch die Politik langfristig von der Wichtigkeit nachhaltiger Stadtplanung überzeugen will.

„Jedes Mal, wenn ich unterwegs einer Fahrradrikscha von Radeln ohne Alter begegne, geht mir das Herz auf“, sagt Annette Quaedvlieg, die Erste Vorsitzende des ADFC Bonn/Rhein-Sieg. Eine Erfahrung, die Gabriele Conen (80) bestätigen kann, die sich als Bewohnerin von Haus Maria Einsiedeln an ihre erste Fahrt mit der Rikscha erinnert: „Zuerst habe ich gedacht, welch ein Rückschritt in die Kolonialzeit“, sagt sie lachend: „Die Herrschaft sitzt vorne und der Kuli schuftet sich hinten ab.“

Das habe sie bis zu dem Zeitpunkt gedacht, an dem sie erkannte, dass ihre Rikschafahrerin von einem Elektromotor unterstützt wurde. Letztlich habe sie es sehr genossen, von Heike Jakob-Bartels als Pilotin bis nach Schweinheim in den Skulpturenpark der Beikirchers chauffiert worden zu sein. „Ich habe den Zuschauenden wie die Queen Elisabeth zugewinkt“, erinnert sie sich amüsiert. Schlussendlich ist sie voll des Lobes und fasst das Rikschafahren als einen „großen Spaß“ zusammen.

Ganz im Gegenteil zu ihrer Mitbewohnerin Lilo Caemmerer: Die Seniorin würde sich „nie und nimmer“ in eine Rikscha setzen. „Ich bewundere die Leute, die da mitfahren“, sagt sie. „Aber ich möchte so nicht gesehen werden“, so die 94-Jährige. Da würden die Leute ja denken, dass sie nicht mehr laufen könne und jetzt durch die Gegend gefahren werden müsse. „Das ist eine schöne Sache für jeden, der sonst nicht mehr aus der Hütte kommt“, sagt sie und fügt noch hinzu, dass die Rikscha für diese Menschen ein Geschenk des Himmels sei.

„Wir fahren bei nahezu jedem Wind und Wetter“, sagt Dretschak, der sichtlich Gefallen an seiner ehrenamtlichen Tätigkeit gefunden hat. „Die hart gesottenen Mitfahrenden sind auch im Winter dabei.“ Dann sei man in warme Decken eingepackt und habe beispielsweise den Weihnachtsmarkt auf dem Münsterplatz als Ziel.

So ist das Rikschafahren nicht nur für das Seniorenhaus eine Bereicherung, sondern auch Jakob-Bartels und Hornberger freuen sich darüber, ihren Gemeindegliedern einen Hol- und Bring-Service zum Gottesdienst, eine Unterstützung beim Einkaufen oder auch eine kleine Spazierfahrt per Rikscha zu ermöglichen.

Wer die am Haager Weg stationierte Rikscha nutzen oder unterstützen möchte, kann Julia Winterberg vom Haus Maria Einsiedeln telefonisch unter 0228/91 02 70 erreichen.

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