Geflüchteter aus Bonn berichtet von seiner syrischen Heimat Das hässliche Gesicht der Diktatur
Lessenich/Meßdorf · Ahmad Khaled aus Syrien ist in der Heimat nur knapp dem Tode entronnen. Seine Erlebnisse in der Diktatur verarbeitet er bei der Bildhauerei.
„Man kann sofort sehen, was es bedeutet“, sagt Ahmad Khaled (48). Der syrische Schreiner hat im Pfarrgarten von St. Laurentius eine Skulptur geschaffen, von der er hofft, dass sie den Betrachtenden das hässliche Gesicht der Diktatur zeigt. Auch wenn der auf Totenschädeln thronende Diktator sein Gesicht nicht zeigt und damit für alle Gewaltherrscher dieser Welt stehen soll, ist er in Kenntnis des erlittenen Schicksals von Khaled unschwer als der syrische Präsident Baschar al-Assad zu sehen, dessen Land 22 Jahre nach seinem Amtsantritt in Trümmern liegt.
Jeder zweite Syrer ist auf der Flucht, Hunderttausende verloren ihr Leben. In der Sorge, durch die kritische Plastik erneut sein und das Leben seiner Familie zu gefährden, taucht Khaled an dieser Stelle weder mit seinem richtigen Namen auf, noch wollte er auf dem Foto mit seinem Gesicht zu erkennen sein. Zu groß ist die Angst, dass sich wiederholen könnte, was er nur durch einen glücklichen Zufall überlebte.
Bis 2012 lebte Khaled mit seiner Frau und den vier Töchtern unter den Oppositionellen Baschar al-Assads in einem dafür bekannten Stadtteil von Damaskus. Seit 2011, dem Beginn des syrischen Bürgerkriegs, war es Khaled nur unter Lebensgefahr möglich, die Kontrollen zu umgehen, die seine Zone von der Innenstadt von Damaskus abriegelten. Dass er es dennoch versuchte, wurde durch den Überfall der sogenannten „Monster der 4. Division“, der Präsidentengarde Assads ausgelöst, die sein Siedlungsgebiet aufsuchte, um die dort lebenden Oppositionelle zu töten.
„Das ist mein Freund, er hat nichts gemacht“
Auch Khaled wurde von dem Militär vor die Türe seines Hauses gezerrt, um erschossen zu werden. Nur der Aufschrei eines Soldaten, der im letzten Moment „nicht töten“ rief, rettete ihm das Leben. „Das ist mein Freund, er hat nichts gemacht“, rief der Soldat dem Erschießungskommando zu.
Er packte Khaled am Handgelenk, stieß ihn in das Haus zurück und befahl ihm, die Türe geschlossen zu halten. „Auch wenn wir alle töten und wenn hier alles um dich herum niedergebrannt ist“, so der Soldat, „lass die Türe zu“. Der Mann hatte in Khaled seinen ehemaligen Schulkameraden aus Grundschulzeiten wiedererkannt.
„Erst am nächsten Morgen habe ich die Türe aufgemacht“, erzählt Khaled. Unter Tränen erinnert er sich der Bilder, die ihn seitdem nicht verlassen. Alle Nachbarn, alle Menschen, die um ihn und seine Familie herum lebten, waren tot oder schwer verletzt. Die Mannschaft eines Rettungswagens habe behauptet, das die Menschen von den Oppositionellen getötet wurden. „Alle haben Angst darüber zu sprechen, dass es die Männer von Assad waren“, so Khaled.
Wenige Tage darauf gelang es ihm, Ausreisepapiere für seine Familie zu bekommen und nach Ägypten zu fliehen. Acht Monaten später verließ er trotz einer Anstellung in seinem Beruf als Schreiner den Ort in der Nähe Kairos, um mit Teilen seiner inzwischen ebenfalls geflohenen Familie in Jordanien zusammenzukommen.
„Die Menschen sehen Baschar al-Assad im Fernsehen und haben ein falsches Bild von ihm“, sagt Khaled. Seine Skulptur soll Aufklärung leisten, soll zeigen, dass auch die Menschen, die Diktatoren auf ihren Thron verholfen haben, nun als Getötete unter ihnen liegen.
Schmerzvoller Prozess
Es muss ein schmerzvoller Prozess für Khaled gewesen sein, die Totenschädel aus dem Kirschholz zu hauen: „Jeder Kopf ist einem getöteten Menschen aus meiner Nachbarschaft gewidmet“, sagt er. Bei jedem Kopf habe er die Bilder aus Damaskus vor Augen gehabt. Seit drei Wochen besucht er nahezu täglich für einige Stunden den Pfarrgarten, um an seiner Plastik zu arbeiten. Was dabei entstanden sei, bedürfe keiner Erklärung, sagt er. Man könne schnell erkennen, wer da über den Toten sitze.
Gerade noch hat er auf der Rückseite des Throns die Hochhäuser von Damaskus herausgemeißelt und mit einer Gasflamme angebrannt. Dieses Schaffen und die damit verbundene Zeit, die für ihn einer Meditation gleichkommt, scheinen ihm hilfreich in der Verarbeitung seines Traumas zu sein. Khaled macht einen ausgeglichenen und dankbaren Eindruck. Nach 15-tägiger Flucht aus Jordanien über die Türkei und das Mittelmeer kam er 2015 nach Deutschland.
Gemeinde und Caritas ermöglichten eineinhalb Jahre später für seine Frau und die vier Töchter den Flug von Jordaniens Hauptstadt Ammann nach Frankfurt. Vor zweieinhalb Jahren wurden – bereits in Deutschland – die Zwillingsmädchen der Familie geboren. Die älteste Tochter studiert in Heidelberg Germanistik, und die beiden Nächstälteren haben oder machen gerade ihr Abitur.
Auch wenn Khaled bisher noch keine Anstellung in seinem Beruf als Schreiner gefunden hat und immer noch im Schichtdienst als Produktionshelfer arbeitet, ist er zutiefst dankbar, was ihm und seiner Familie in Deutschland bisher widerfahren ist.
Auch dem Diakon und Bildhauer Ralf Knoblauch von der katholischen Thomas-Morus-Gemeinde ist Khaled für dessen Angebot, „Ora et labora – Bildhauern im Pfarrgarten“, dankbar, über das er die Gelegenheit zum künstlerischen Arbeiten bekam. „Wir sind über das Thema Holz sehr schnell miteinander in Kontakt gekommen“, berichtet Knoblauch über das erste Zusammentreffen mit Khaled im Dransdorfer Begegnungscafè der Gemeinde. „Er kam und bat uns um Hilfe.“