Lengsdorferin berät Familien Demenz aus der Tabuzone holen

Lengsdorf · Viel Erfahrung hat die Lengsdorferin Kerstin Groenhoff mit den den verschiedenen Ausprägungen von Demenz als Beraterin gesammelt. Sie berät auch zahlreiche Angehörige von Betroffenen. Um ihnen als Gesellschaft zu helfen, wünscht sich Groenhoff eine Enttabuisierung der Krankheit.

 Die Arbeit mit dementen Menschen stellt sich für Kerstin Groenhoff als sehr positiv dar.

Die Arbeit mit dementen Menschen stellt sich für Kerstin Groenhoff als sehr positiv dar.

Foto: Stefan Hermes

Die zahlreichen Formen, Ursachen und Auswirkungen von Demenz haben eines gemeinsam: Die Betroffenen verlieren nach und nach die Kontrolle über ihr eigenes Leben. Und das betrifft die ganze Familie erheblich. „Ich stelle immer wieder fest“, sagt Kerstin Groenhoff, „dass Betroffene und Angehörige mit der Krankheit sehr isoliert sind.“ Die Lengsdorfer Demenzberaterin wünscht sich eine Enttabuisierung der Krankheit, von der nach Angabe des Bundesgesundheitsministeriums rund 1,6 Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind. „Und das sind nur die Menschen, die bereits eine Diagnose erhalten haben“, fügt Groenhoff hinzu.

Viele ihrer Kunden gehörten nicht dazu. Denn die meisten Menschen kämen zunächst mit dem Gefühl zu ihr, dass bei ihren Angehörigen etwas nicht stimmt. „Da gibt es eine hohe Dunkelziffer“, sagt sie. Wer dement ist, kommt in den seltensten Fällen aus eigenem Antrieb, sondern wird gebracht. Man schäme sich für die Krankheit, habe Angst, etwas falsch zu machen. „Am Anfang steht meist eine totale Überforderung“, so Groenhoff.

Demenz entwickelt sich zu einer Art Volkskrankheit

Es sei eben nicht nur die befürchtete Diagnose, die Angst mache, sondern vor allem die Frage, „was kommt da auf mich zu“. Zudem gibt es Fragen, wer hilft, wie man Anträge ausfüllt, und ob die Angehörigen zu Hause bleiben können. Oder konkreter: Ist die erkrankte und allein lebende Mutter möglicherweise Gefahren ausgesetzt, und wie kann man sie davor schützen? Groenhoff betont: „Demenz geht uns alle an.“ Durch die zunehmende Überalterung der Gesellschaft könne man Demenz als eine Volkskrankheit bezeichnen.

Die Erfahrung, die Groenhoff zuletzt in der Mehlemer Senioreneinrichtung Kursana Villa als Fachkraft für Gerontopsychiatrie gesammelt hatte, brachte sie Anfang 2020 dazu, sich mit ihrer Alea Demenzberatung selbstständig zu machen. Der Beratungsbedarf scheint groß zu sein. Groenhoff gibt ein Beispiel. „Wodurch sollte die vielleicht 84-jährige Ehefrau eines 86-jährigen an Demenz erkrankten Mannes in der Lage sein, mit der Krankheit und den Behördengängen umzugehen? Wenn sie in den seltensten Fällen die Möglichkeiten besitzt, sich selber im Internet einzulesen oder zu erfahren, wo sie eine Broschüre herbekommt“, sagt sie.

Verschiedene Arten der Demenz

Im besten Fall könne ein Hausarzt oder Neurologe helfen. Zudem wüssten die wenigsten Menschen, dass man zwar eine demenzielle Erkrankung nicht heilen, aber mit geeigneten Mitteln durchaus verlangsamen könne. Vielen sei auch nicht bekannt, dass es verschiedene Arten der Demenz gibt, die sich unterschiedlich zeigen: Rund 80 Prozent aller Demenzerkrankungen werden durch Krankheiten des Gehirns hervorgerufen, bei denen Nervenzellen allmählich verloren gehen. Ihre Ursachen sind laut der Deutschen Alzheimergesellschaft erst teilweise bekannt. Wobei Alzheimer mit bis zu 70 Prozent aller Fälle die häufigste Erkrankung darstellt. Mit einem Anteil von etwa 20 bis 30 Prozent folgt die vaskuläre (gefäßbedingte) Demenz, bei der es für die Betroffenen „ein bisschen auf und ab“ gehen könne, so Groenhoff. Die Betroffenen erschienen an einem Tag völlig klar und könnten bereits am nächsten Tag kognitiv völlig eingeschränkt sein. Im Gegensatz dazu spreche man bei einer Alzheimer-Demenz von einem stetigen Abwärtstrend.

Wer sagt, er kenne einen Menschen mit Demenz, so Groenhoff, der kenne auch nur genau einen Menschen. Denn eine pauschale Beurteilung sei bei einer Demenz nicht möglich. Darum sei es wichtig, die richtige Diagnose zu erhalten, da die Krankheiten auch medikamentös unterschiedlich behandelt werden. In Bonn sei man jedoch mit den Klinken der Universität und des Landschaftsverbands Rheinland bestens aufgestellt.

Erkrankung mit Angst behaftet

„Leider ist die Demenz für die Leute mit sehr viel Angst behaftet“, sagt Groenhoff. Darum dauere es meist recht lange, bis man den ersten Schritt zum Hausarzt, Neurologen oder Psychiater macht. Die Beraterin empfiehlt eine frühe Diagnose, um das Leben möglichst lange lebenswert zu erhalten. Bei ihren Beratungen in der Coronazeit habe Groenhoff allerdings oftmals festgestellt, dass die scheinbar Betroffenen nicht dement, sondern durch die Isolation depressiv geworden seien. Wobei sich eine beginnende Demenz auch an depressiven oder aggressiven Zügen der Erkrankten zeigen könne, die sich mit ihrer Krankheit beschäftigen. „Um zu wissen, was passiert, muss dann ein Arzt her“, so Groenhoff.

Die umfassende Beratung im Umgang mit der Demenz führe bei ihren Kunden oftmals zu dem Satz, „hätte ich das doch schon früher gewusst.“ So macht Groenhoff beispielsweise darauf aufmerksam, dass demenziell Erkrankte ihre noch vorhandenen Ressourcen nutzen können sollten. Angehöre oder Betreuer sollten nicht eingreifen, wenn sich ein Betroffener beispielsweise ein Nachthemd über seine Kleidung anzieht. „Alles was man noch selber kann“, sagt sie, sei besser als das, was ein anderer für einen macht. Aber: Auch sie würde einen Menschen mit Demenz nicht im Nachthemd auf die Straße gehen lassen, „dann würde ich ihn ja vorführen.“

Ihren Kunden empfehle sie, „halten Sie das aus.“ Man müsse lernen, solche Konflikte zu vermeiden. Eine Stunde darauf zu verwenden, dass die auf links angezogene Hose wieder ausgezogen werden müsse, sei verschwendete Energie an einer Stelle, an der sie nicht gebraucht werde. Auch wenn es schwer falle, müsse man lernen, den an Demenz erkrankten Menschen in seinem Handeln zu akzeptieren – solange er sich nicht selber gefährdet.

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