175 Jahre Haus Maria im Walde Ein sicherer Ort für Kinder
Venusberg · 1848 wurde das Haus Maria im Walde als katholisches Waisenheim gegründet. 175 Jahre später bietet es in Bonn erzieherische Hilfen für Kinder, Jugendliche und deren Familien.
Die soziale Lage der Menschen im Rheinland war zu Beginn des 19. Jahrhunderts katastrophal. Ihr Alltag war oftmals geprägt von bitterer Armut. Besonders hart war das Leben für Kinder, die nicht privilegiert aufwuchsen. Sie hausten in erbärmlichen Verhältnissen, ohne Bildungsmöglichkeiten oder ausreichende Ernährung.
Das Schicksal der Kinder berührte Franz Egon Graf von Fürstenberg-Stammheim und Freiherr Carl von Boeselager besonders. 1848 gründeten sie daher gemeinsam mit dem damaligen Stadtdechanten Gerhard van Wahnem eine Stiftung und errichteten ein Haus, damit „arme katholische Waisen der Stadt Bonn, soweit es Raum und Mittel nur immer gestatten, Aufnahme, Pflege, Erziehung und Unterricht erhalten.“ 2023, 175 Jahre später, präsentiert sich das Haus „Maria im Walde“ als moderne Einrichtung der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe, die an fünf Standorten im Stadtgebiet aktiv ist. „Als ich Anfang des Jahres im Keller ein altes Buch entdeckte, habe ich wirklich Gänsehaut bekommen. Es war das Protokollbuch unserer Stiftung mit den Aufzeichnungen der ersten Kuratoriumssitzungen, beginnend 1848. Dieses Buch ist nahezu unversehrt und hat Kriege sowie Umzüge überlebt“, sagt Andrea Wilke, Einrichtungsleiterin und pädagogische Geschäftsführung. „Heute hat Maria im Walde einen festen Platz in der Jugendhilfelandschaft.“
Breites Hilfe-Spektrum
Verändert hat sich in den vergangenen Jahrzehnten jedoch der Anspruch. Längst werden nicht mehr nur Waisenkinder aufgenommen, sondern der freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe bietet vielmehr ein breites Spektrum von ambulanten, teilstationären und stationären Hilfen an, die ergänzt werden durch ein Familienzentrum und eine Offene Ganztagsschule. Betreut werden aktuell rund 350 Kinder und Familien, in den verschiedenen Häusern leben momentan 140 Kinder in Wohngruppen zusammen.
Während die ersten Waisenkinder zunächst in unmittelbarer Nähe des Bonner Münsters und später in einem Gebäude in der Weststraße nahe der Bahntrasse betreut wurden, stand in den 1950er Jahren fest, dass ein Neubau errichtet werden muss. Mit Konrad Adenauer hatte die Einrichtung einen prominenten Fürsprecher. Er hat nicht nur mehrmals seinen Geburtstag mit den Kindern gefeiert, sondern er besuchte (so wie später Kiesinger und Brandt) das Haus immer wieder an Heiligabend. „Die Kinder müssen an die frische Luft und nicht an den Bahndamm“, kritisierte er den Standort an der Weststraße. Und sein Wort hatte Gewicht: 1958 wurde ein Bauplatz auf dem Venusberg gefunden, 1961 starteten die Arbeiten und im Oktober 1963 wurde das moderne Gebäude am Rande des Kottenforst schließlich eingeweiht.
Nicht nur die Einrichtung hat sich in den Jahrzehnten verändern, sondern auch das pädagogische Konzept. „Früher hat man kaum Kontakt zu den Eltern gehabt. Heute wissen wir, dass wir die Eltern nicht ausgrenzen können und sie einbeziehen müssen. Die Wurzeln kann man nicht kappen“, sagt Andrea Baeßler, die rund 40 Jahre lang als Erzieherin am Gudenauer Weg arbeitete. „Natürlich ist der Schutz der Kinder unser oberstes Gebot. Aber Kinder beurteilen ihre Eltern anders. Daher ist es wichtig, dass der Kontakt beibehalten wird“, ergänzt Wilke. Vor Jahren habe man eher die Defizite betrachtet, heute fokussiert man sich vielmehr auf die Ressourcen, um Kinder zu fördern.
Kinder aus allen Ländern leben hier zusammen
Verändert haben sich auch die Voraussetzungen. Während zu Gründungszeiten ausschließlich „katholische Waisen“ aufgenommen wurden, leben heute Kinder aus allen Ländern und verschiedenen Religionen zusammen. „Wir feiern hier Weihnachten und Zuckerfest“, beschreibt Einrichtungsleiterin Andrea Wilke. Immer wieder finden auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge am Gudenauer Weg eine sichere Bleibe – beispielsweise nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl oder nach dem Kriegsausbruch in Syrien oder der Ukraine. „Wir sind immer offen für jede Religion. Wichtig ist uns, dass wir das Wohl der Kinder im Auge behalten. Egal woher sie kommen“, so Wilke.
Oberstes Ziel der pädagogischen Arbeit sei immer die Rückführung in die Familie. „Bis es so weit ist, wollen wir hier einen guten und sicheren Ort für Kinder schaffen“, betont sie. Wie behütet und wohl sich ihre Schützlinge in der Vergangenheit in der Einrichtung gefühlt haben, das wird sie am Samstag erleben. „Viele unserer ehemaligen Kinder werden kommen“, freut sie sich auf das Sommerfest. „Manche bringen sogar ihren eigenen Nachwuchs mit.“