Start-up mit 68 Rentner aus Endenich will Wartezeit beim Arzt abschaffen

Endenich · Statt in den Ruhestand zu gehen, hat Wolfgang Gawlitta mit jungen Kollegen lieber das Start-up „Zeitlotse“ gegründet. Ziel des Unternehmens: Das Warten beim Arzt abschaffen.

 Alt und Jung ziehen an einem Strang: Wolfgang Gawlitta und Jonas Emde tüfteln an der „Zeitlotsen“-App.

Alt und Jung ziehen an einem Strang: Wolfgang Gawlitta und Jonas Emde tüfteln an der „Zeitlotsen“-App.

Foto: Benjamin Westhoff

Eigentlich hätte Wolfgang Gawlitta bald viel Zeit, um seinen Enkel zu verderben, wie er scherzhaft sagt. Sein erstes Unternehmen gibt der 68-Jährige am Ende des Jahres endgültig ab. Wäre da nur nicht diese andere Firma: Seit 2019 arbeitet er mit ein paar Dreißigjährigen daran, das Warten abzuschaffen.

„Ich kann es mir nicht vorstellen, nur im Sessel zu sitzen“, sagt Gawlitta über seine Entscheidung. „Die jungen Leute haben Dampf.“ Er könne von ihnen viel lernen und das mache Spaß. „Zeitlotse“ heißt das Projekt, um das er sich mit seinen Partnern Bastian Haeger, Christian Arenz und Jonas Emde kümmert.Emde ist ein Freund von Gawlittas Sohn, der zusammen mit Arenz eine Agentur führt, die Anwendungen für das Internet entwickelt. Um darüber zu sprechen, was sie vorhaben, empfängt Gawlitta in den Geschäftsräumen des neuen Unternehmens an der Endenicher Straße.

Die Idee zum Start-up stammt von Gawlittas Schwiegertochter. Die Ärztin habe mal sehr lange auf einen Chefarzt warten müssen und meinte später zu ihrem Schwiegervater: „Kannst du da nicht mal was erfinden?“ Der hat 2015 seine Personalberatung verkauft und begleitet derzeit den Übergang. Und er hatte Lust auf neue Projekte.

Mitte 2019 begann das Team damit, die Software zu entwickeln. Gerade sind erste Tests abgeschlossen. „Wir wollten das ewige Warten beim Arzt abstellen“, sagt Gawlitta. „Da sitzen die Patienten erst mal eine Stunde rum und haben schon Blutdruck 400, wenn sie drankommen. Das ist nicht zeitgemäß.“

Mit Zeitlotse können die Patienten schon sehen, ob sie pünktlich drankommen, bevor sie die Praxis betreten. Am Rechner zeigt Gawlitta, wie die Software funktioniert: Wenn sich ein Termin verschiebt, kann ein Arzthelfer eingeben, wie viel später es wird. Die Patienten sehen das dann auf ihren Smartphones und können die Zeit anders nutzen, als im Wartezimmer rumzusitzen.“

Keine App nötig

Eine App ist dazu nicht nötig. „Viele Leute wollen keine App mit Registrierung und Passwort“, sagt Gawlitta. Stattdessen rufen sie die Internetseite von Zeitlotse auf. Dort erscheint eine anonyme Liste mit den Terminen und wenn es später wird ein Plus mit 15, 30 oder 45 Minuten. Nicht nur in Deutschland laufen laut Gawlitta gerade Tests des Programms. Auch in anderen Ländern lässt Zeitlotse die Software testen. „Wir müssen uns da schon auf Mentalitätsunterschiede einstellen“, sagt Gawlitta.

In Spanien, Frankreich und Italien müsse die Ansprache der Patienten höflicher sein als hier. Es gebe auch Unterschiede darin, wie lang die Leute zu warten bereit sind. „Polen ist da wie Deutschland“, sagt Gawlitta. „Aber in Italien oder Spanien sind 30 Minuten Wartezeit kein großes Problem.“ Mit der Software will das Unternehmen nicht nur dem Warten beim Arzt ein Ende setzen. „Sie könnte auch am Flughafen, beim Bürgeramt oder im Freizeitpark eingesetzt werden“, sagt Gawlitta. Das soll dann in Zukunft kommen.

In der Vergangenheit hat Gawlitta öfter darauf gewartet, dass die Ampel endlich ausgeht. Denn von 1973 bis 1977 ist er Rennen mit dem Motorrad gefahren. Anfang Zwanzig war er, als er mit der Maschine über den Nürburgring knallte. Die Eltern durften nichts davon wissen.

Seine Rennmaschine, eine Kawasaki, versteckte er deshalb bei einem Freund in der Scheune. „Damit niemand rausfindet, dass ich Rennen fahre, bin ich als Wolfgang Müller an den Start gegangen“, sagt Gawlitta. Froh ist er noch heute, dass er sich dabei nicht einen Knochen gebrochen hat. „Obwohl ich oft geflogen bin“, sagt er. „Damals hieß es: Wer nie fliegt, ist immer zu langsam.“

Sein erstes Motorrad war eine BMW. Bei dem Unternehmen machte er auch eine Lehre als Motorradmechaniker. Später studierte er Physik und Bio in Bonn und Göttingen. Nach der Promotion ging er an die Uni in San Diego. Das mit der Arbeit sei dort allerdings schwierig gewesen, sagt er. „Zu schönes Wetter, zu schöne Landschaft, zu schöne Menschen.“

1994 gründete er dann die Personalberatung, die er bald endgültig abgibt. Das gibt ihm etwas Zeit, sich mehr mit Motorsport und Tennis zu beschäftigen – und natürlich mit seinem Enkel. „Dem bringe ich viel dummes Zeug bei“, sagt er. „Damit er lebensfähig wird.“ Der Enkel begeistere sich auch für Tennis. „Ich habe uns für 2036 schon eine Endspielloge in Wimbledon reserviert“, scherzt Gawlitta – viel Zeit zu warten also.

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