Brüser Berg Entdeckungen auf dem Bonner Balkon

Brüser Berg · Vom Gangster-Rapper Xatar, der auf dem Brüser Berg mal sein Unwesen trieb, und Negativ-Schlagzeilen über soziale Schieflagen will Martin Neubacher nichts wissen. Für ihn ist das Viertel, das einmal "Bonner Balkon" getauft wurde, in erster Linie eine Fundgrube.

Neubacher ist Architekturhistoriker, schreibt gerade an der Bonner Universität seine Dissertation über Campus-Bauten in NRW und ist aktives Mitglied in der rührigen Bonner Studenteninitiative "Werkstatt Baukultur".

Die hat sich zum Ziel gesetzt, den Bonnern die Augen über Architekturperlen zu öffnen, die gerne übersehen werden. Und da sind wir wieder beim Brüser Berg: "Das ganze Spektrum der Architektur der späten 70er und 80er Jahre" sieht Neubacher hier vertreten und das sogar in "erstaunlich guter Qualität".

Wie innovativ die Planungen seit den 70er Jahre waren, zu denen etwa die Musterhausausstellung Euro-Bau gehörte, erläutert er anhand einer Satelliten-Aufnahme aus Google-Maps: Eine lockere Bebauung, viel Grün, offene Hofkonstruktionen und eine Vielfalt an Stilen, die eher an eine dörfliche, organische Struktur erinnert, denn an eine kompakte Reißbrettarchitektur, charakterisieren den Brüser Berg.

Viele städtebaulichen Fehler seien hier vermieden worden, sagt Neubacher. Geringe Geschosshöhen, Variantenreichtum in der Architektur und nicht zuletzt der breite grüne Boulevard - die Von-Guericke-Allee -, die das Viertel durchzieht, zeugen von planerischem Weitblick. Auch die Entscheidung Mitte der 1980er Jahre, die katholische Holzkirche durch ein Gemeindezentrum mit katholischer und evangelischer Kirche sowie die Zweigstelle der Stadtbibliothek zu ersetzen, war, so Neubacher, ein wichtiger Schritt.

Nicht viele Bonner wissen, dass sich hier ein architektonisches Highlight verbirgt. Den 1987 für das Stadtteilzentrum ausgeschriebenen Wettbewerb gewann das renommierte Architekturbüro Ortner Architekten. Manfred Ortner zählte mit der Künstlergruppe Haus-Rucker-Co. zur Architekturavantgarde der 70er Jahre.

In Bonn hat er mit seinem Bruder Laurids die Blumenhalle am Hochstadenring zum Kunstverein umgebaut. Das Büro Ortner & Ortner baut gegenwärtig die neue Sparkassenzentrale am Friedensplatz. Für den Brüser Berg ließen sich die Architekten ein Ensemble einfallen, das mit postmodernen Elementen und geradezu skulpturalen Bauten - Edith-Stein- und Emmauskirche, Campanile und Gemeindezentrum - gleichermaßen in die Zeit der später 1980er passt, wie sich auch an mediterranen Platzgestaltungen orientiert.

Wer über den Brüser Berg flaniert, gewinnt manchmal den Eidruck eines Experimentierfeldes für Architekten. Die probierten in den 1980ern aus, was im Wohnungsbau möglich ist, stellten sich Wettbewerben. Etliche Bau-Perlen sind da zu finden. So zum Beispiel hübsche, eher konservative Reihenhäuser, die der junge Peter Kulka in der Erfurtstraße baute, bevor mit kühnen Entwürfen, etwa dem MDR-Kubus in Leipzig oder dem Plenarsaal des Sächsischen Landtags bekannt wurde.

Erich Schneider-Wessling ist ein weiterer renommierter Architekt, der im Rahmen des Elementa-Wettbewerbs 1972 den Komplex Riemannstraße/Ecke Fahrenheitstraße errichtete. Ein Hauch Modernismus breitet sich hier aus, während nur eine Ecke weiter, in der Celsiusstraße, das Mehrfamilienhaus eines anderen Architekten wirkt, als habe man ganz tief in die historische Baukiste gegriffen und sogar Elemente der Barockkunst ins 20. Jahrhundert übertragen.

Was dem Architekturflaneur mitunter den Atem verschlägt, versetzt den Experten Neubacher in Begeisterung: Das seien die 80er in Reinkultur, sagt er, dafür will er die Bonner sensibilisieren. 2012 hatte die "Werkstatt Baukultur" eine Führung auf dem Brüser Berg angeboten. Über eine Fortsetzung wird nachgedacht.

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