Erzählcafe auf dem Brüser Berg Erzählen als Selbsthilfe

Brüser Berg · Seit 22 Jahren organisiert und inspiriert Lisa Rädler ein Erzählcafé im Nachbarschaftszentrum. Sie bedauert, dass nicht mehr Männer an dieser Runde teilnehmen.

 Lisa Rädler findet, dass es im Älterwerden wichtig ist, sich die Neugierde zu erhalten.

Lisa Rädler findet, dass es im Älterwerden wichtig ist, sich die Neugierde zu erhalten.

Foto: Stefan Hermes

Vielleicht war es der Satz, „Du heiratest ja doch“, der Lisa Rädler (69) ihr bisheriges Leben lang antrieb, sich weiterzubilden. Den Besuch eines Gymnasiums, den ihre Eltern im unterfränkischen Amorbach für ihre Tochter für unnötig hielten, führte letztlich dazu, dass Rädler im Alter von 39 Jahren das Abitur per Telekolleg nachholte. Da hatte sie bereits ihre Mittlere Reife verspätet abgeschlossen, mit Florian und Julia zwei Kinder geboren und eine Berufskarriere als Pharmareferentin hinter sich. Ihr bei den Lehren Maria Montessoris entlehntes Lebensmotto, „Hilf mir, es selbst zu tun“ wird in ihrem ganzen Lebenslauf sichtbar.

Seit inzwischen mehr als 22 Jahren dürfte dieses Motto auch den monatlich stattfindenden Erzählcafés zugrundeliegen, die Rädler auf den Brüser Berg brachte. Aus einem anfänglich auf nur ein Jahr begrenztes Projekt der Stadt Bonn ist eine kaum mehr wegzudenkende Institution im Nachbarschaftszentrum (NBB) entstanden. Als das Erzählcafé erstmalig seine Türen öffnete, gab es allerdings das NBB noch nicht. Erst seit 2009 kann sich Rädler über die Unterstützung der dortigen Mitarbeiter in Organisation und Bekanntmachung ihres Treffs freuen.

Als sie vor rund 25 Jahren wegen der beruflichen Notwendigkeit ihres Mannes aus Düsseldorf auf den Brüser Berg zog, glaubte sie zunächst ihren ursprünglichen Träumen, Psychologin oder Journalistin zu werden, mit einem Job bei dem von Senioren für Senioren gemachten „Senioren-Echo“ der Stadt Bonn, ein wenig näherzukommen. Dank ihrer Computerkenntnisse konnte Rädler den Senioren helfen, deren Gedanken zu Papier zu bringen.

Daraus ergab sich für sie auch das Angebot, eines der Erzählcafés zu übernehmen, die von der Stadt Bonn in verschiedenen Stadtteilen – auf ein Jahr begrenzt – geplant wurden. „Damals war es das Konzept, Zeitzeugen, die noch den Krieg erlebt hatten, über ihre Jugendzeit miteinander ins Gespräch zu bringen“, erinnert sich Rädler. Zum Ende des erfolgreichen Projektjahrs waren es die Teilnehmer selbst, die Rädler baten, das Erzählcafé über die geförderte Phase hinaus fortzuführen.

Seitdem organisiert und leitet sie ehrenamtlich die Veranstaltung, die erstmalig im März des Jahres durch Covid-19 in eine halbjährige Pause gezwungen wurde. Mit einem Vortrag von der ebenfalls auf dem Brüser Berg ansässigen Antje Dertinger über das „ermutigende Frauenleben der Elisabeth Selbert“, ging im Oktober das Erzählcafé in eine neue Runde: Coronabedingt in größeren Räumen des NBB und unter Einhaltung der erforderlichen Hygieneschutzmaßnahmen.

Auch diese letzte Veranstaltung verfolgte Rädlers Konzept, Frauenthemen in den Mittelpunkt der monatlichen Treffen zu stellen. „Männer kommen auch eher nur als Begleitung dazu“, bedauert sie. Als ein Mann beim letzten Termin erfuhr, dass wegen Corona auf Kaffee und Kuchen verzichtet werden musste, „machte er auf dem Absatz kehrt“, erinnert sich Rädler schmunzelnd. „Auch als wir zu Anfang des Erzählcafés über Konflikte sprechen wollten, kamen vielleicht nur drei, vier Frauen“, so Rädler. Heute sind es meist um die zehn Frauen, die sich um einen großen Tisch setzen und dort ins Erzählen kommen. „Nach anfänglichem Austausch achte ich als Moderatorin jedoch sehr genau darauf, dass zugehört wird“, so Rädler.

„Mich hat schon in jungen Jahren immer interessiert, wo Menschen am Ende ihres Lebens stehen“, sagt sie. Heute habe sie für sich die Erkenntnis gewonnen, dass es gerade im Älterwerden umso wichtiger wird, sich die Neugier zu erhalten. „Nicht zu warten, dass jemand kommt, sondern sich selber auf Menschen zuzubewegen“, solle die innere Haltung sein. Man müsse sich auch im Alter vergegenwärtigen, dass man für sich selber verantwortlich ist und nicht die anderen.

Für sie sei es zudem wesentlich, sich sozial zu engagieren. „Das habe ich wahrscheinlich von meinem Vater, der war auch so ein Vereinsmensch.“ Das Zusammensein in Gruppen hat sie nicht nur als älteste von sechs Geschwistern früh geprägt. Es hat ihren Blick auf Menschen geschärft. „Schließlich ist es immer der Mensch gewesen, der mich vor allem interessiert hat“, sagt Rädler. So sei es auch im Erzählcafé spannend zu erfahren, welche Lebensgeschichten die Menschen auf den Brüser Berg gebracht hätten. Oft sind es ältere Menschen, die ihren Kindern nach Bonn gefolgt sind und sich in dem neuen Stadtteil zurechtfinden müssen.

Schon ist Rädler dabei, die Inhalte der nächsten Treffen festzulegen. „Dabei entsteht inzwischen Vieles bereits aus der Gruppe heraus“, sagt sie und ergänzt, dass es in den Zusammenkünften der Frauen schon fast familiär zugehe. Allerdings werden sie im November wegen der Corona-Maßnahmen nicht zusammenkommen. Bereits bei der letzten Corona-Pause habe man gemerkt, wie sehr der monatliche Treff fehle.

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