Pädagogin Agnes Otto „Erzieher müssen besser bezahlt werden“

Interview | Ippendorf · Agnes Otto hat fast 45 Jahre eine Kita geleitet. Nun geht sie in Rente. Im Interview spricht Otto darüber, was vor 30 Jahren anders war in der Kita und was sie im Ruhestand vorhat.

 Agnes Otto hat ihr ganzes Arbeitsleben in der Kita verbracht. Die meiste Zeit davon als Leiterin.

Agnes Otto hat ihr ganzes Arbeitsleben in der Kita verbracht. Die meiste Zeit davon als Leiterin.

Foto: Benjamin Westhoff

Frau Otto, wann sind Sie heute Morgen aufgestanden?

Agnes Otto: Um fünf Uhr. Es ist eigentlich immer noch alles so wie vor der Rente. Den Rhythmus umzustellen, das dauert eine Zeit lang, glaube ich. Vor der Arbeit bin ich immer mit der Kaffeetasse aufs Sofa gegangen und habe was gelesen. Das war ein Ritual. So um 6.20 Uhr bin ich dann mit dem Bus losgefahren und war um kurz nach 7 hier.

Erzählen Sie doch mal, wie Sie überhaupt an die Stelle im Familienzentrum gekommen sind.

Otto: Ich habe mir mit einer Freundin Einrichtungen angeguckt, weil wir eine Stelle fürs Anerkennungsjahr brauchten. Aber die Ordensschwestern, die die Einrichtung führten, konnten nur eine von uns nehmen. Und weil meine Freundin ein Auto hatte, ist sie nach Stieldorf gegangen und ich bin hier geblieben. Das war im September 1976.

Das Ende Ihres Arbeitslebens kam ja eher überraschend für Sie. Wie war das?

Otto: Das stimmt. Als ich den Rentenbescheid bekommen habe, habe ich gedacht: Ach, das trifft auf mich gar nicht zu. Ich muss bis 65 arbeiten – plus elf Monate. Da hat mein Sohn gesagt: „Hast du auch da oben den Passus gelesen? Wenn du 45 Jahre gearbeitet hast, kannst du früher gehen.“ Ich bin dann mit meinen ganzen Papieren zur Rentenversicherung und die Frau da hat gesagt: „Sie können am 1. September abschlagsfrei in Rente gehen.“ Danach hab ich gar nicht mehr zugehört, weil ich so perplex war. Dann bin zur Arbeit und habe gesagt: „Ich gehe am 1. Oktober.“

Wenn Sie an Ihr Berufsleben denken: Was würden Sie wieder so machen?

Otto: Ganz nah an den Menschen sein. Das ist das Allerwichtigste. Man muss die Leute annehmen, wie sie sind. Nicht versuchen, sie zu verändern, sondern sie zu begleiten, ihnen Hilfestellungen zu geben. Das habe ich immer total gerne gemacht. Teilweise waren diese Menschen verzweifelt und ich habe versucht, so gut es geht, Ratschläge zu geben oder Institutionen aufzuzeigen, wo sie hingehen können.

 Was würden Sie anders machen?

Otto: Gar nichts.

Wirklich nichts?

 Otto: Nein. Wenn ich was gemacht habe, habe ich mir was dabei gedacht. Das hört sich vielleicht blöd an, aber das ist so.

Wie war Ihr Abschied?

 Otto: Es war super emotional. Die Kinder hatten in der Turnhalle ein Herz gelegt. Das war einfach traumhaft schön. Das kann man gar nicht beschreiben. Eine Freundin hat mir geholfen, all die Blumen nach Hause zu transportieren. Ich habe ein Blumenmeer zu Hause. Überall waren Blumen: in der Küche, im Flur, im Wohnzimmer, im Esszimmer. Es ist einfach schön, dass so viele Leute an einen denken.

Sie haben auch immer wieder mit Kindern aus schwierigen Verhältnissen zu tun gehabt. Ist Ihnen ein besonders bewegender Fall in Erinnerung geblieben?

Otto: Ja, wir kamen mal nach den Sommerferien wieder und eine Mutter hatte sich eine Überdosis Heroin gespritzt. Die hatte schon einige Selbstmordversuche hinter sich. Das Kind war damals im Kinderheim, das zu unserm Haus gehört. Später ist es in ein anderes Heim gekommen und dann in eine Pflegefamilie. Wir hatten ganz viele heroinabhängige Mütter und Väter. Bei einem anderen Fall kam das Jugendamt nach einem Hausbesuch zu mir: Da lag die Mutter in der Ecke und der Vierjährige hat sich praktisch um den Haushalt gekümmert. Das Kind ist nachher in Dauerpflege zum Opa gegangen.

Was ist heute in der Kita anders als vor 20 oder vielleicht 30 Jahren?

Otto: Das kann ich Ihnen genau sagen: Die Kinder sind respektloser geworden. Das ist Tatsache. Die hören nicht, die kennen keine Grenzen. Früher haben die Eltern viel mehr auf Grenzen geachtet, die waren strenger. Ob das jetzt immer gut war, weiß ich nicht. Aber heutzutage dürfen die Kinder alles. Und wenn es den Eltern dann zu viel ist, brüllen die ihre Kinder an. Und das geht auch nicht.

Ist es eigentlich ganz leicht, für die eigenen Kinder einen Kitaplatz zu bekommen, wenn man eine Kita leitet?

Otto: Mein Sohn war ja nicht bei mir im Kindergarten. Damals war es gar kein Problem, einen Platz zu finden. Heute ist das anders. Wir haben immer wahnsinnig viele Neuanmeldungen. Die können wir nicht alle nehmen. Selbst bei Geschwisterkindern müssen wir schon gucken, ob wir die nehmen können.

Was muss passieren, damit genug Kitaplätze da sind?

Otto: Es müssen erst einmal mehr Erzieher ausgebildet werden. Die müssen besser bezahlt werden . Ich kenne ganz viele Einrichtungen aus dem näheren Umkreis, die Betreuungszeiten reduzieren, weil sie keine Leute haben. Wir haben das Glück, dass wir top besetzt sind. Aber ich kenne auch andere Beispiele: Eine Kollegin hat vor zwei Jahren die Leitung einer Kita übernommen und sagt jetzt: „Ich bin fertig, ich kann nicht mehr. Ich komme morgens um sieben und gehe abends um sieben wieder." Die macht Frühdienst und abends Büroarbeit.

Was haben Sie denn jetzt mit Ihrer ganzen Freizeit vor?

Otto: Wandern, vor Kurzem habe ich eine Wandergruppe mitgegründet. Und jeden Morgen geh ich erst einmal bei uns eine Runde mit Nordic-Walking-Stöcken. Es sei denn, es regnet. Und dann: Kochen, Lesen, Freunde treffen – Dinge die sonst zu kurz gekommen sind, weil ich keine Zeit hatte oder einfach k.o. und müde war.

Auch mal ausschlafen?

Otto: Also am Wochenende kriege ich das schon mal hin. Aber ich muss mich zwingen, liegenzubleiben. Ich hab da folgenden Trick: Ich lese ein paar Seiten und dann kann es passieren, dass ich nochmal eine Stunde schlafe – und dann ist 7 Uhr.

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