Evangelische Kirche auf dem Hardtberg Johannes Nett ist der „Vikar der lockeren Töne“

Hardtberg · Mit dem Lockdown endete die Elternzeit von Johannes Nett. Seine Ausbildung in der Hardtberggemeinde dauert noch zwei Jahre. Die Pandemie begreift er auch als Chance für die Kirche.

 Vikar Johannes Nett sagt: „Krisen gehören zum Glauben dazu“.

Vikar Johannes Nett sagt: „Krisen gehören zum Glauben dazu“.

Foto: Stefan Hermes

Der Anfang war schwer: „Alles ging schief, was schief gehen kann“, erinnert sich Johannes Nett an seine lange zurückliegende Zivildienstzeit in einer evangelischen Gemeinde zurück. Diese Erfahrung hat den heute 33-jährigen Vikar der Evangelischen Hardtbergemeinde jedoch nicht davon abgehalten, Theologie zu studieren, um Pfarrer zu werden. „Ich war damals Anfang zwanzig und dachte mir, so etwas hat der Verein nicht verdient“, sagt Nett und entschuldigt sich für die „flapsige“ Ausdrucksweise, die Evangelische Kirche, einen Verein zu nennen.

Doch genau dieser legere Ton – so wird es im weiteren Gespräch deutlich – könnte die Chance für die kommende Generation von Kirchenmännern (und -frauen) sein, wieder mehr Menschen den Kirchen zuzuführen, weil man dort beginnt, ihre Sprache zu sprechen. „Uns geht es auf dem Hardtberg ja gar nicht so schlecht“, findet Nett bei Betrachtung der allgemein rückläufigen Zahl von Gemeindemitgliedern.

Schließlich habe man regelmäßig rund 40 bis 70 Gläubige in den zur Gemeinde gehörenden Kirchen Emmaus und Matthäi. „Woanders sitzen manchmal bei deren Gottesdiensten nur noch zwei bis drei Gläubige in den Bänken“, weiß er. Vor diesem Hintergrund strahlt Nett eine große Zuversicht aus. Seine positive Grundhaltung sowie eine tiefe Gläubigkeit erklärt er sich mit einer Prägung, die er bereits durch sein Elternhaus erfahren habe, in dem sein Vater Pfarrer war.

Heute gehören für ihn auch die Begegnung mit Menschen im Stadtbezirk Hardtberg dazu. 2007 hat er mit dem Theologie-Studium begonnen. Ein Auslandsjahr, für das er sich Prag auswählte, weil es ihm gegenüber Paris oder Rom als ein für ihn noch fremder Ort vorkam, den er entdecken wollte, brachte ihn dazu, seine Doktorarbeit über die böhmisch-schlesische evangelische Kirche während des Nationalsozialismus zu schreiben.

Wegen einer inzwischen neue verfassten Promotionsordnung werde er allerdings noch „einen Monat konzentrierter Arbeit“ bis zu ihrem Abschluss benötigen. Nett studierte unter anderem sechs Jahre in Berlin, bevor er vor vier Jahren mit seiner Frau Katharina nach Bonn kam. „Eine gute Entscheidung“, sagt er rückblickend. Dass ihm aktuell auf seinem langen Weg zum Pfarramt nun durch die Corona-Pandemie einige Steine in den Weg gelegt wurden, nimmt er gelassen. Er bedauert, dass die Kasualien, die Gottesdienste, die anlässlich von Taufen, Trauungen und Beerdigungen wochenlang nicht so vollumfänglich begangen werden konnten, wie es für die Menschen wichtig gewesen wäre.

Er erkennt jedoch in den Einschränkungen auch die Chance für die Kirche, sich neue Wege zu den Gläubigen zu suchen. „Ich mache gerade die Erfahrung, dass es als YouTuber nicht wichtig ist, neben einer schön brennenden Osterkerze aufgenommen zu werden, sondern dass man die Menschen mit seiner Predigt berühren muss.“ Überhaupt sei es alles Menschliche, was ihn an seinem Beruf reize. Das Familiäre, was eine Gemeinde ausmache. Zudem mutmaßt er, dass man in Zukunft über die digitalen Möglichkeiten wieder mehr Menschen für die Kirche begeistern könnte. Noch ist er während seiner Ausbildung in der komfortablen Situation, beobachten zu können und daraus seine eigenen Schlüsse zu ziehen.

Seit etwa einem Jahr ist er als Vikar in der Hardtberggemeinde tätig. Ein halbes Jahr davon war er in Elternzeit. Gerade als es für ihn am 1. März wieder richtig losgehen sollte, so Nett, kam der Lockdown. Es sei nicht immer einfach gewesen, seine beruflichen Erfordernisse mit denen seiner Frau und den Ansprüchen des eineinhalbjährigen Sohnes Jakob zu bewältigen. „An der Stelle hat man ja festgestellt“, erkannte der Vikar, „dass der Beruf des Seelsorgers als nicht systemrelevant eingeschätzt wurde.“

Wobei er auch von sich weiß, dass er in Krisensituationen nicht unmittelbar nach Gott fragt. „Gott wirkt zwar in jedem von uns, aber ich möchte ihn nicht für Krisensituationen verantwortlich machen.“ Abwegig sei es, zu behaupten, dass Corona eine Strafe Gottes sein könnte. Christen müssten mit der Erfahrung umgehen lernen, dass Gott in der Corona-Krise schweige.

Nett berichtet von Momenten in dem Lockdown, in denen er mit seiner Frau Andacht gehalten habe und auch Stimmungen erlebt habe, in denen er verärgert gewesen sei. „Da wünschte man schon, man käme einen Schritt weiter und Gott würde zu einem sprechen, aber er hat nicht gesprochen.“ Genau das sei für ihn jedoch eine sehr christliche Erfahrung, diese Kontingenz, diesen Zwiespalt leben und aushalten zu müssen. Das mache letztlich auch das Christentum für ihn aus.

„Krisen gehören zum Glauben dazu. Genauso, wie der Tod auch ein Element des Glauben ist.“ Zu Ostern seien die Kirchen wegen Corona geschlossen geblieben. Die Krisenzeit sei somit so etwas wie eine Ostererfahrung geworden. „Wir wissen, es gibt Leid und Tod, aber als Christen wissen wir auch, dass auf den Tod die Auferstehung folgt.“ Beides gehöre zusammen. In Krisen dächten Menschen über sich nach.

Der Volksmund sage, die Not lerne beten. „Vielleicht“, sinniert Nett, „hätten wir in der Zeit des Lockdowns noch mehr machen müssen.“ Aber keiner habe schließlich gewusst, wie man mit einer solchen Situation umgehen sollte. Es sei gut, dass es in Deutschland – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern – bisher so gut ausgegangen sei. Auch wenn die Not für viele nicht so groß gewesen sei: „Die Botschaft, die wir als Kirche haben, ist wertvoll. Und wer sie für sich annimmt, dem kann sie auch helfen.“

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