Ehrenamtliches Engagement Blinde Bonnerin bietet Telefonsprechstunden gegen Einsamkeit an

Brüser Berg/Ippendorf · Germa Kleinsorge ist blind und gehbehindert. Trotz dieser Einschränkungen will sich die Bonnerin ehrenamtlich engagieren und bietet deshalb Telefonsprechstunden zum Zuhören und Reden an.

„Einfach nur miteinander reden“ könne ein Weg aus der Einsamkeit sein, sagt Germa Kleinsorge.

„Einfach nur miteinander reden“ könne ein Weg aus der Einsamkeit sein, sagt Germa Kleinsorge.

Foto: Stefan Hermes

Das kaum 40 Quadratmeter große Appartement von Germa Kleinsorge in Ippendorf ist spartanisch eingerichtet: Ein Tisch, ein Bett, zwei Stühle und ein Schreibtisch mit Computer und Telefon. Von hier aus möchte die 65-Jährige sich ehrenamtlich engagieren und Menschen am Telefon ein offenes Ohr bieten. Denn ihr Appartement kann Kleinsorge nur unter Schwierigkeiten verlassen. Sie ist nahezu blind und eine Spastik im Knie macht ihr das Laufen nur mit einem Rollator möglich.

Trotz dieser Einschränkungen hadert Kleinsorge nicht mit ihrem Schicksal und strahlt Optimismus aus. „Mir geht es gut“, sagt sie. Seit bald einem Jahr ist die Bonnerin in Rente. An ihre Zeit als Sachbearbeiterin in einem Referat des Arbeitsministeriums in Duisdorf denkt sie gerne zurück. Manchmal fehle ihr heute der Kontakt zu den Kollegen, sagt Kleinsorge.

Mit Beginn der Coronapandemie hatte die 65-Jährige das Bedürfnis, ihren Mitmenschen Hilfe anbieten zu wollen. „Da ich weder Spaziergänge, noch Einkäufe für Hilfsbedürftige machen konnte, habe ich mich zum Gespräch angeboten“, sagt sie. Schon immer habe sie ein Ohr für die Sorgen und Nöte ihrer Mitmenschen gehabt. Ihre Empathie habe letztlich zu dem Satz eines Arbeitskollegen geführt: „Wenn es mir dreckig geht, dann geh’ ich zur Frau Kleinsorge.“

Kleine Erinnerungsstücke sind in Kleinsorges Appartement zu finden. Ein präpariertes Eichhörnchen an der Wand, das sich an eine Baumrinde klammert, ist ein Geschenk von ihrem Ex-Mann, von dem sie sich vor etwa einem Jahr nach 34 Ehejahren scheiden ließ. Ein grün-weißer Gartenzwerg mit Borussia Dortmund-Trikot winkt dem Besucher von einem Kleiderschrank siegesgewiss lachend entgegen. Die Mitgliedsurkunde des Fußballvereins daneben dokumentiert eine längst hinter Kleinsorge liegende Zeit als Fan. Sie ist Ausdruck ihrer Verbundenheit zum „Pott“, wie Kleinsorge ihre Heimatstadt Dortmund liebevoll nennt. Über 40 Jahre lang lebt die Dortmunderin bereits in Bonn. Die letzten zehn Jahre davon in einer Service-Wohnung vom Seniorenhaus Maria Einsiedeln am Haager Weg in Ippendorf.

„Oft ist einfach nur Zuhören schon alles“

Zuhören sei ihr in die Wiege gelegt, betont die Rentnerin. Das sei ihr Naturell. Mit einem Selbstverständnis, das vielen Menschen aus dem Ruhrgebiet zugeschrieben wird, sagt sie: „Ich bin, wie ich bin.“ Und fügt glaubhaft hinzu, niemandem nach dem Mund zu reden. Sie halte sich auch mit Kritik nicht zurück, sagt Kleinsorge. „Wenn mich jemand fragt, wie ich etwas finde, was er oder sie getan hat“, erklärt sie, dann könne man bei ihr auch mit einer unliebsamen Antwort rechnen. Sie sei ehrlich, „offen raus“ und authentisch.

Auf diese Authentizität vertraut Kleinsorge bei ihrem Gesprächsangebot. Die Möglichkeit, sich als Telefonseelsorgerin professionell ausbilden zu lassen, kommt für sie nicht infrage. „Oft ist einfach nur Zuhören schon alles“, sagt die Bonnerin. Gerne empfehle sie ihren Gesprächspartnern, einmal einen Standortwechsel vorzunehmen, die Dinge aus neuer Perspektive zu betrachten. Und wenn sie nicht weiterkäme, würde sie die Menschen an die richtige Stelle weitervermitteln, erklärt Kleinsorge.

Nachfrage nach Gesprächsangebot noch zurückhaltend

Viele Anrufe hat die Rentnerin auf ihr Gesprächsangebot hin noch nicht bekommen. Auch über die Feiertage blieb ihr Telefon stumm. „Die meisten Leute finden meine Idee super“, sagt Kleinsorge, „aber es kommt nichts.“ Trotzdem ist die 65-Jährige davon überzeugt, dass es viele Menschen gibt, die von ihrem Gesprächsangebot profitieren könnten. „Aber die wagen den ersten Schritt nicht“, sagt sie. Zudem würde die Vielzahl der digitalen Medien dazu führen, das Menschen direkte Gespräche miteinander verlernten. „Die Leute sprechen lieber mit Alexa und versenden Smileys mit ihrem Handy, als miteinander zu reden“, sagt die Bonnerin, die selbst lieber am Computer E-Mails schreibt. So wie sie auch vor ihrer Rente drei Posteingänge des Ministerium mit der Sprachsteuerung des Computers bearbeitete.

Im Nachbarschaftszentrum Brüser Berg und in der Auferstehungskirchengemeinde auf dem Venusberg hatte Kleinsorge ihr ehrenamtliches Angebot schon früh publik gemacht und dort auch die Datenschutzgrundverordnungen unterschrieben, die sie zum Schweigen über die Inhalte der Telefongespräche verpflichtet. Wer jetzt ihre Festnetznummer 0228 612585 wählt, kann seinen Gesprächswunsch auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassen und wird von Kleinsorge schnellstmöglich zurückgerufen. Außer montags um 16 Uhr, ist sie jederzeit zwischen 9 und 20 Uhr erreichbar.

Schon seit einigen Monaten hat sich aus ihrem Angebot ein wöchentlicher Gesprächstermin montags mit einer älteren Dame ergeben. Die beiden lernten sich von Mal zu Mal besser kennen und würden vertrauter miteinander, sagt Kleinsorge. Über was man dann spricht ? „Dies und Das“, sagt die Bonnerin mit einem Lächeln und hält sich an ihre Schweigepflicht.

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