Neues Pflege-Tarifgesetz Leben mit Demenz: Die Sorgekultur fördern

Brüser Berg · Der Verein „LeA - Lebensqualität im Alter Bonn“ sorgt sich, dass das neue Tarifgesetz in der Pflege die häusliche Betreuungsarbeit für Menschen mit Behinderung gefährdet, und wirbt für ehrenamtliche Helfer, die bereit sind, einen Qualifikationskurs zu machen.

 Sabine Graaf (2.v.l.) im Gespräch mit den WG-Bewohnerinnen Karina Eschweiler (2.v.r.) und Ludmilla Stavreva sowie dem Angehörigen Werner Barth im Gemeinschaftsraum der Celsius-Wohnanlage.

Sabine Graaf (2.v.l.) im Gespräch mit den WG-Bewohnerinnen Karina Eschweiler (2.v.r.) und Ludmilla Stavreva sowie dem Angehörigen Werner Barth im Gemeinschaftsraum der Celsius-Wohnanlage.

Foto: Stefan Knopp

Es ist eine gemütliche Plauderrunde. Man unterhält sich über das Wetter, über die Energiekrise, über die Wohnsituation oder die Zeitung, kurz: über alles im Allgemeinen und nichts im Speziellen. Sabine Graaf weiß nicht, wie viel davon bei ihren Gesprächspartnern hängenbleibt, denn die sind dement. Um das, was hängenbliebt, geht es aber gar nicht. Graaf setzt um, wofür der Verein „LeA – Lebensqualität“ im Alter Bonn steht, und dazu gehört auch das Gespräch, das die Menschen mit Demenz aus ihrem Dämmerzustand herausholt.

Ehrenamtlich im Einsatz

Die Diplom-Pädagogin und Marte-Meo-Supervisorin, die früher ein sozialpsychiatrisches Zentrum leitete, ist im Ruhestand ehrenamtlich für „LeA“ im Einsatz. Marte Meo ist eine Methode zur Entwicklungsunterstützung bei Menschen aus eigener Kraft, wobei auch Videoaufnahmen zum Einsatz kommen: Teilnehmer werden bei Interaktionsmomenten im Alltag gefilmt, damit man ihnen nachher ihre Stärken aufzeigen kann. Eine Methodik, die auch sehr gut beim Umgang mit Demenzkranken zum Einsatz kommen kann, wenn man lernen möchte, mit diesen richtig umzugehen. „LeA“ bietet eine solche Qualifizierung zu Demenzbegleitern an, die in den Wohngemeinschaften, dem Treff und beim häuslichen Entlastungsdienst des Vereins helfen können. Diese Basisqualifikation ist dafür eine notwendige Voraussetzung.

Immer mehr Menschen mit Demenz

„Der Bedarf wächst, da es immer mehr Menschen mit Demenz gibt“, sagt Graaf. Zu Alzheimer, einer Form von Demenz, hatte das Statistische Bundesamt jüngst Rekordzahlen vermeldet und als Grund die gestiegene Lebenserwartung angeführt. „LeA“ beschäftigt Personen, die sich um die Bewohner ihrer Wohngemeinschaften kümmern, aber die haben oft nicht die Zeit, sich mit ihnen hinzusetzen, zu plaudern, Memory oder „Mensch ärgere dich nicht“ zu spielen. Das alles, sagt Graaf, erfordert Zeit und Geduld. Ähnlich wie bei Kindern, man muss sich vollkommen darauf einlassen und sollte nicht durch andere Pflichten abgelenkt werden.

Der Verein sucht neue Betreuer

Deshalb sucht der Verein neue Betreuer, die bereit sind, die Basisqualifikation mitzumachen. Vorkenntnisse werden nicht benötigt, nur sollte man die deutsche Sprache gut beherrschen. Wer sich nicht sicher ist, ob er oder sie dafür geschaffen ist, kann es gern ausprobieren, heißt es vonseiten des Vereins. Man lernt ihm zufolge, mit Demenzkranken zu sprechen, deutlich, freundlich, geduldig. „Das sind Fähigkeiten, die jedem guttun“, so Graaf, die die Kurse leitet.

Wie füllt man einen Treffnachmittag? Dazu bekommen Kursteilnehmer viele Ideen vermittelt. Und man sollte immer sagen, was man tut, „nicht einfach mit einem Waschlappen durchs Gesicht fahren“, und benennen, was man mitbekommt, erklärt Graaf.

In Not und bei rechtlichen Fragen

Auch über Verhalten in Notsituationen und Rechtliches wird man aufgeklärt. Ein solcher Kurs beginnt am 7. Oktober und umfasst vier Einheiten sowie ein mögliches Praktikum. Wer mitmachen möchte, meldet sich unter ☎ 01 77/3 13 62 07 an oder schreibt an info@lea-bonn.de.

Das Problem mit den angestellten Pflegekräften wird sich wohl noch verstärken, prognostiziert die „LeA“-Vorsitzende Birgit Ratz. Grund ist ihrer Ansicht nach das Tarifgesetz in der Pflege, das inzwischen in Kraft getreten ist. „Das gilt auch für einen großen Teil unserer Mitarbeitenden.“ Gemeint sind die Pflegekräfte in den Wohngemeinschaften. Ihnen müssen jetzt Tariflöhne gezahlt werden, was ja nicht grundlegend verkehrt sei. Man werde jetzt also wie ein normaler Pflegedienst behandelt. „Aber das ist halbgar, weil die Refinanzierung der erhöhten Kosten nicht über die Aushebung der Mittel der Pflegeversicherung erfolgt ist“, so Ratz.

Ein Risiko für den häuslichen Pflegedienst

„Für uns als häuslicher Pflegedienst, der in den WGs tätig ist, ist das ein Risiko.“ Normale Pflegedienste könnten Kunden ablehnen oder deren Zahl reduzieren. „Das führte dazu, dass uns ganz plötzlich der Pflegedienst gekündigt hat, der sich bisher um die Bewohner gekümmert hat.“ Da die aber auf Betreuung angewiesen sind und „LeA“ die Wohngemeinschaften auch nicht einfach schließen kann und möchte, hat der Verein die Mitarbeiter dieses Pflegedienstes übernommen.

Die Leistung werde teurer, Ratz erwartet eine Steigerung von 30 bis 40 Prozent, aber „LeA“ könne sie nicht reduzieren. „Es kann nicht sein, dass wir durch das Tarifgesetz unsere Pflegebedürftigen so belasten, dass sie bis 700 Euro mehr zahlen müssen.“ Das gefährde alle alternativen Wohnformen. Deshalb hofft Ratz, dass da noch mal nachgebessert wird und die Leistungen der Pflegeversicherungen angehoben werden. Sie appelliert außerdem an die Stadt Bonn, „dass eine Sorgekultur gefördert wird“.

Ehrenamtler werden immer wichtiger

Wegen dieser Situation würden Ehrenamtler immer wichtiger. Das Celsius-Wohnprojekt war eigentlich auf nachbarschaftliches Miteinander ausgerichtet: Man sollte sich umeinander kümmern, aber dazu brauche man Kümmerer, der die Nachbarn aktivieren, erklärt Ratz.

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