Ausgraben Notfall-Konservierung bei minus 21 Grad

Serie | Bonn · Es ist ein langer und aufwändiger Weg, bis ein archäologisches Fundstück im LVR-Landesmuseum archiviert oder ausgestellt wird. Doch gerade dabei geht es um Zeit. Zum Einsatz kommt Hightech.

 Im LVR-Landesmuseum werden archäologische Funde mit modernster Technik untersucht und konserviert.

Im LVR-Landesmuseum werden archäologische Funde mit modernster Technik untersucht und konserviert.

Foto: Stefan Hermes

Wenn es einen archäologischen Fund gibt, werden meist auch die Restauratoren oder Konservierungswissenschaftler des LVR-Landesmuseums eingeschaltet. „Der Boden ist für uns ein Archiv“, sagt Ute Knipprath. Mit dem Restaurierungsprojekt des vor der tunesischen Küste gefundenen Wracks von Mahdia kam die heutige Leiterin der LVR-Restaurierungswerkstätten 1989 in das Museum an der Colmantstraße. Hier landen viele der Fundstücke aus dem Bonner Raum bei den etwa 20 Expertinnen und Experten für Konservierung und Restaurierung des Museums.

Ausgraben: Notfall-Konservierung bei minus 21 Grad
Foto: Stefan Hermes

Die an ihrem Fundort lediglich kartierten Fundstücke werden je nach Anforderung zunächst mikroskopiert, gescannt und geröntgt oder auch eingefroren. Immer mit dem Ziel, gefundenes Kulturgut als Quelle für die archäologische, kunsthistorische und kunsttechnologische Forschung zu sichern, zu bewahren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Knipprath hebt hervor, dass jeder Fund aus der Vergangenheit für die Archäologie wertvoll ist. Ob es sich dabei um eines der auf mehreren Paletten angelieferten Millionen von kleinsten Bruchstücken einer Wandmalerei handelt, die ganz aktuell im Bereich des Bonner Römerlagers gefunden wurden und nun von Knut Joachimsen in zeitlich kaum abzuschätzender Puzzlearbeit Erkenntnisse über die damaligen Innenräume und deren Wandmalereien sichtbar werden lassen, oder um in Schwarzrheindorf geborgene römische Schankeimer aus Eibenholz, deren metallene Beschläge Frank Willer unter das Mikroskop legt: Es geht den Restauratoren in ihrer weltweiten Vernetzung vor allem um einen Erkenntnisgewinn und die Bewahrung eines historischen Erbes.

Ausgraben: Notfall-Konservierung bei minus 21 Grad
Foto: Repro: Stefan Hermes

Gesprenkelte Mauerreste sorgen für Glücksmoment

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Foto: Stefan Hermes

Während es für Joachimsen zu den großen Glücksmomenten zählt, wenn er in den versprenkelten Mauerresten kleinste Fragmente von Malereien entdeckt, die in der weiteren Forschung Aufschluss darüber geben könnten, wie die römischen Garnisonsunterkünfte ausgestattet waren, scheinen für Willer die Rätsel um Verzierungen und Inhalte der römischen Schankeimer zumindest ansatzweise gelöst zu sein. Es muss sich dabei um prachtvoll geböttcherte Eimer gehandelt haben, die nicht nur für das Met, dem Bier der Römer, genutzt wurden, sondern in einer Grabbeigabe auch die Knochen von Hähnen beinhalteten, was auf bisher in der Region unbekannte Hahnenkämpfe verweisen könnte, die womöglich eine Rolle im Leben des Bestatteten ausgemacht hatten.

Ausgraben: Notfall-Konservierung bei minus 21 Grad
Foto: Stefan Hermes

Fundstücke werden der Restaurationswerkstatt oftmals in Form von Erdblöcken angeliefert, da auf den Baustellen nur wenig Zeit für die Freilegung und Auswertung der vermeintlichen Funde zur Verfügung steht. Mit Hightech-Anlagen zur Materialprüfung wird zunächst von Restaurator Holger Becker im zweiten Untergeschoss des Museums in einem bunkerähnlich abgeschirmten Raum der Erdblock geröntgt und analysiert bevor die restauratorische oder konservatorische Bearbeitung beginnen kann. „Dabei steht das Restaurierungskonzept schon fest, bevor wir mit der Arbeit anfangen“, sagt Knipprath. Man arbeite in der Restauration immer vom Ende her. Früh müsse man wissen, was mit dem Fundstücken passieren soll. Ob sie in der Vitrine eines Museums landen oder im Außenbereich zu sehen sein werden. Dabei spielten die zukünftigen thermischen Bedingungen eine entscheidende Rolle für die zu treffenden Konservierungsmaßnahmen.

Ausgraben: Notfall-Konservierung bei minus 21 Grad
Foto: Stefan Hermes

Die von Frank Willer bearbeiteten Schätze verbergen sich wieder in Transportbehältern, deren teils Jahrtausende alter Inhalt mit individuell angepassten Schaumstoffummantelungen gesichert ist. Für den GA „befreit“ er einen einzigartigen Eimerbeschlag, der kurioserweise einen Krokodilkopf als Verzierung trägt. Der vermutlich um 550 n. Chr. entstandene Eibenholzeimer dürfte aufgrund seines reich mit Tierbildern verzierten Randbleches zu dem es nur wenig Vergleichstücke gibt, aus dem badischen Raum stammen. „Muss wohl ein Soldat auf seinen Reisen mit nach Beuel gebracht haben“, mutmaßt Willer.

Ausgraben: Notfall-Konservierung bei minus 21 Grad
Foto: Stefan Hermes

Eingefroren bei minus 21 Grad

Ausgraben: Notfall-Konservierung bei minus 21 Grad
Foto: Stefan Hermes

Auch wenn seine Metallfunde schon eine Ausstellungsreife erlangt haben, warten noch viele Archivalien bei minus 21 Grad in den Tiefkühlräumen des Museums auf den Moment, wo ihre Zeit einer weiteren Bearbeitung gekommen sein wird. „Das ist eine Art Notfall-Konservierung, die wir vornehmen, damit organisches Material nicht verschimmelt“, so die Leiterin der Restauration. Bauhölzer, Brunnenbauwerke und ganze Schiffskörper befinden sich in Nassholzkonservierung oder werden in einer Gefriertrocknungsanlage auf ihre Zerfallsüberwindung vorbereitet. „Es geht bei uns immer um Zeitgewinn“, erklärt Knipprath. Die Öffentlichkeit nehme immer nur einen kleinen Teil des archäologischen Wissens und Handelns wahr, das hinter den Kulissen des Museums für die Ausstellungen vonnöten ist, die oftmals Vorlaufzeiten von ein oder zwei Jahren bedürfen. „Wir kaufen das Wissen nicht ein, sondern wir generieren es selber“, sagt Knipprath und fügt noch hinzu, dass dies wohl eine „absolute Spezialität“ des LVR-Landesmuseums ist.

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