Inklusion in Bonn Ratskoalition will Spielplätze allen Kindern zugänglich machen

Lessenich · Die Ratskoalition will in Bonn inklusive Spielplätze für alle Kinder. Ein Vater aus Lessenich berichtet, wo für seine halbseitig gelähmte, sportlich fitte Tochter die Probleme mit dem jetzigen Angebot liegen.

Gleichgewicht gefragt: Kinder spielen auf der Schlangenschaukel auf dem Spielplatz der Waldau. Das Spielgerät ist nicht für alle gleich gut geeignet.

Gleichgewicht gefragt: Kinder spielen auf der Schlangenschaukel auf dem Spielplatz der Waldau. Das Spielgerät ist nicht für alle gleich gut geeignet.

Foto: Axel Vogel

Ein Spielplatz soll den Nutzern Spaß, und nicht Stress machen - darüber muss man nicht diskutieren. Ein gravierendes Ausschluss-Kriterium ist aber beispielsweise, ob die Kinder überhaupt auf den Spielplatz gelangen können. Viele Bonner Spielplätze seien für Kinder mit Behinderung nicht erreichbar und damit auch nicht nutzbar, kritisiert die Ratsfraktion von Grünen, SPD, Linke und Volt. Sie fordert daher die Verwaltung auf, bei jedem Spielplatzum- und -neubau dafür zu sorgen, dass jeder für möglichst viele Kinder – auch mit Einschränkungen des Bewegungsapparates, der Sinne und des Geistes zugänglich ist. Mindestens zwei inklusive Spielgeräte sollen künftig angeboten werden. Der Beschluss hat die Gremien passiert; auch die Bezirksvertretung Hardtberg hat dafür gestimmt.

Im Gespräch mit dem General-Anzeiger macht der Vater einer in der Bewegung eingeschränkten Tochter darauf aufmerksam, dass es oft gar nicht die großen Dinge sind, die einen Besuch eines Spielplatzes vermeiden, sondern im Grunde Kleinigkeiten – Achtlosigkeiten der Planer. Eine große, frustrierende Hürde für Rollstuhlfahrer ist zum Beispiel der sandige Untergrund des Platzes. Zuwegung und Beschaffenheit der Oberflächen sind auch bei Blindheit gefährliche Hindernisse.

Spielerisch Lernen

Doch der Lessenicher Ulrich Brocksieper kann weitere Schwierigkeiten aufzählen, die nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Die Familie besucht regelmäßig die Spielplätze in der Umgebung. „Anders als auf dem Land brauchen Stadtkinder einen festgelegten Ort, an dem sie beispielsweise so wichtige Fähigkeiten wie das Klettern erlernen“, definiert er eine Funktion solcher Freizeitgelände. Es gibt noch weitere. Kinder lernen auf dem Spielplatz fürs Leben: Motorik, Sozialverhalten, Kreativität. Während zwei seiner Kinder die Geräte ohne Einschränkungen erkunden, erobern, erklettern, kann die mittlere Tochter das nur bedingt tun. Die neunjährige Marle ist mit einer halbseitigen Lähmung auf die Welt gekommen, verursacht durch einen Schlaganfall. „Wir haben Glück“, sagt Brocksieper, denn Marle habe sich unglaublich gut entwickelt. Prognosen nach der Geburt hätten sich nicht bewahrheitet. „Sie kann klettern, radfahren, schwimmen.“ Aber sie ist gehandicapt – es gibt Dinge, die sie nicht tun kann.

Geräte für Rechtshänder

Marle geht in die 3. Klasse der Matthias-Claudius-Schule in Endenich. „Das heißt, sie orientiert sich in ihrem Alltag an normalen Kindern – aber sie muss sich wegen der körperlichen Einschränkungen deutlich mehr anstrengen“, erläutert der Vater. Marle macht jedem schnell klar, dass sie ehrgeizig ist und mithalten will. Während sich die anderen rasch die Kletterwand hinaufhangeln, muss sie rasch eine Lösung entwickeln, wie sie das mit einem Arm schaffen kann. Bei den Laufbrücken mit den beweglichen, schwingenden Tritthölzern kann Marle jedoch nicht mithalten, weil man beide Hände einsetzen muss. Ein Spielplatz sei für dieses Kind eine weitaus größere Herausforderung als für seine Geschwister oder die Klassenkameraden. Da frage er sich als Vater auch, was für das Kind noch Spiel und Spaß und was zu viel und entmutigend sei.

Es seien oftmals Kleinigkeiten, eine Gedankenlosigkeit beim Bau des Spielgerätes, die Kindern mit Einschränkungen den Spaß verderben, sie sogar in Furcht oder Wut versetzen – oder alles drei. Schaue man sich Spielplätze genauer an, werde man feststellen, dass sie im Prinzip für Rechtshänder gebaut seien, stellt Ulrich Brocksieper fest. Marle ist aber Linkshänderin und braucht entsprechend Haltegriffe links. „Also wäre es hilfreich, solche Haltegriffe auf beiden Seiten anzubringen.“ Zu einer Enttäuschung, kurz vorm Ziel aufgeben zu müssen, führt etwa das Klettergerüst, das oben eine überstehende Plattform hat. Mit einer Hand und dem Haltegriff rechts ist das für Marle nicht zu machen.

Mindestens zwei inklusive Spielgeräte

Insgesamt seien alle Spielplatzerfahrungen auch Lektionen fürs Leben. Brocksieper: „Barrierefreie, behindertengerechte Spielplätze bieten allen Kindern die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln.“ Ob das Geräteangebot entsprechend vielfältiger oder durchdachter sein müsste, das sollen Fachleute beurteilen, findet er. Die Ratsfraktion will die Verwaltung auf mindestens zwei inklusive Spielgeräte festlegen. Doch von dieser Reglementierung hält jedoch die Behinderten-Gemeinschaft Bonn nichts.

„Eine generelle Forderung nach einer bestimmten Anzahl barrierefreier Spielgeräte bringt aus unserer Sicht keinen Nutzen“, heißt es der Stellungnahme der Interessenvertretung. Für gewöhnlich handele es sich im Stadtgebiet um öffentliche Plätze, die Flächen und Geräte nach Altersgruppen differenzieren. Entsprechend müssten die Klassifizierungen auch auf eingeschränkte Kinder übertragen werden, um dann passende Geräte auszuwählen. Die Behinderten-Gemeinschaft warnt vor einer zu „dogmatischen Umsetzung“. Eine Gefahr sei nämlich, dass der Platz für alle anderen Nutzenden an Attraktivität verlieren könnte. Der Verein schlägt eine individuelle Planung der Plätze vor, um vor Ort Angebote für Kinder mit und ohne Behinderung zu schaffen, „statt pauschal zwei inklusive Spielgeräte aufzustellen“.

Die Verwaltung schließt sich der Einschätzung der Behinderten-Gemeinschaft an. Und: Ohnehin würden bei Neuplanungen oder größeren Umgestaltungen „immer“ die Belange von Kindern mit Behinderungen berücksichtigt und die Auswahl der Spielgeräte mit der Behinderten-Gemeinschaft abgestimmt.

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