Schneller schreiben als andere reden Warum viele Bonner Studenten wieder Steno erlernen wollen

Bonn · Während die Stenografie früher im Büro das Mittel der Wahl für Notizen war, interessieren sich heutzutage vielfach Studenten dafür. Wir erklären, was die Kurzschriften besonders macht.

 Dozentin Jutta Beyer-Vollprecht erläutert vor der Tafel mit den vergleichend notierten Schriftzügen desselben Inhalts in Rede-, Verkehrs- und der bekannten Langschrift spezielle Kürzel eines Übungstextes.

Dozentin Jutta Beyer-Vollprecht erläutert vor der Tafel mit den vergleichend notierten Schriftzügen desselben Inhalts in Rede-, Verkehrs- und der bekannten Langschrift spezielle Kürzel eines Übungstextes.

Wer Stenografie lernen, mit bereits erlernter Kurzschrift schneller werden oder in der Vielfalt der Systeme den Überblick behalten möchte, findet beim Stenografenverein Bonn die richtigen Ansprechpartner.

Wenngleich heute die wenigsten Firmenchefs das Fräulein zum Diktat rufen werden, um anschließend die verschriftlichte Form ihrer Briefe zu unterschreiben, ist die Stenografie noch gefragt. „In den Anfängerkursen haben wir unter anderem vermehrt Studenten, die in ihren Vorlesungen schnell genug mitschreiben wollen“, sagte die Vorsitzende des Vereins Edeltraut Cremerius-Meyer. Auch Menschen, die aus beruflichen Gründen viel notieren müssen, von Bürokaufleuten bis zu Managern, fänden den Weg in die Anfängerkurse.

Wie lange man lernt, ist unterschiedlich

Wie lange man lernt, bis man so schnell schreibt, wie andere sprechen, sei sehr unterschiedlich, waren sich die Vorsitzende und Jutta Beyer-Vollprecht, eine der bewährtesten Dozentinnen des Fachs, einig. „Ähnlich wie beim Erlernen einer neuen Sprache braucht es Training und Übung“, so Cremerius-Meyer. Im Anfängerkurs vermittelt der Verein an 16 Abenden die Stenografie so, dass die Teilnehmer jeden Text in Kurzschrift verfassen können. Für diejenigen, die nach dem Erlernen der Verkehrsschrift ihre Fertigkeiten verfeinern und schneller werden wollen, unterrichtet Beyer-Vollprecht die Feinheiten der noch flotteren Schreibvarianten.

„Bei uns basiert die Schrift auf der Gabelsberger Stenografie“, erklärte Cremerius-Meyer. Diese Kurzschrift bannte Franz Xaver Gabelsberger in der Mitte der 1830er Jahre auf Papier. Aus ihr leiten sich die bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelten Systeme der Deutschen Einheitskurzschrift, nämlich Verkehrs-, Eil- und Redeschrift ab. Das Maß aller Bemühungen um die Würze der Kürze ist in der Regel die geschriebene Silbenanzahl pro Minute. „Mit der Verkehrsschrift können Sie in der Regel 50 bis 60, maximal bis 120 Silben pro Minute mitschreiben“, erklärte Cremerius-Meyer. Etwas schneller fixieren Geübte mit der Eilschrift minütlich bis zu 180 Silben aufs Papier. Die Kenner der Redeschrift schreiben mit 350 bis 600 Silben pro Minute problemlos jedes Wort eines Nachrichtensprechers mit. „So schnell sprechen die meisten nicht einmal“, konstatierte Cremerius-Meyer.

Steno ist nicht mehr omnipräsent

Dass die Stenografie in der Gesellschaft nicht mehr omnipräsent ist, rechnete die Vorsitzende dem Bildungssystem zu. Die Auswirkungen der verschiedenen Bildungsstrukturen lernte die heute 76-jährige Beyer-Vollprecht als Schülerin kennen. Als Kind war sie mit ihren Eltern aus Bayern gekommen, wo man im Gymnasium die Kurzschrift ganz selbstverständlich vermittelte. „Das Argument war, dass wir alle irgendwann studieren würden und dann in der Lage sein sollten, die Vorträge und Vorlesungen mitzuschreiben“, erzählte die Ruheständlerin. „Ich war ganz verwundert, als ich nach Nordrhein-Westfalen kam, weil die Stenografie hier an den höheren Schulen nicht gelehrt wurde“, erzählte sie. Ihren Wissensvorsprung nutzte Beyer-Vollprecht für ihre weitere schulische Ausbildung. Heute unterrichtet sie die Stenografie von der Verkehrsschrift bis zur Redeschrift.

Auch in Zeiten allgegenwärtiger elektronischer Hilfsmittel und Mitschnittmöglichkeiten ist die Stenografie in vielen Bereichen sehr gefragt, sagte die Vorsitzende. So gelte in einigen Fällen nach wie vor Dokumentationspflicht und zugleich ein Verbot, Audioaufnahmen anzufertigen. So protokollierten die Stenografen im Bundestag oder würden bei Gericht angefragt, um beispielsweise Urteilsverkündungen wörtlich mitzuschreiben. „Zum Beispiel beim Kachelmann-Prozess“, nannte Cremerius-Meyer ein bekanntes Beispiel aus dem juristischen Bereich. Im Bundestag sorgte ein System, in dem die Stenografen alle fünf Minuten wechselten und das Geschriebene sofort in Langschrift übersetzten, für einen reibungslosen Ablauf des politischen Geschehens. „Die Abgeordneten können in diesem System meistens schon kurz nach ihrer Rede den Text gegenlesen und unterschreiben“, beschrieb die Vorsitzende den Ablauf. „Übrigens inklusive aller Zwischenrufe.“

Ein Ausflug ins Theater

Zur Feier des 150-jährigen Bestehens planen die Aktiven einen Ausflug ins GOP-Theater für die Mitglieder. Zudem richtet der Bonner Verein, der viele Bundestagsstenografen ausbildete, in diesem Jahr den 131. Westdeutschen Stenografentag des Verbandes Rheinland-Westfalen aus. Im Rahmen der Veranstaltung werden sich in Bonn Stenografen aus ganz Deutschland in ihrer Schnellschrift messen. „Da gibt es ganz unterschiedliche, auch englische und französische Kurzschriften“, so Cremerius-Meyer.

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