„Wat fott es, es fott“ Was hinter dem Sparkästchenverein in Dransdorf steckt

Dransdorf · In der Lambertus-Stube in Dransdorf ist einer der letzten Sparkästchenvereine aktiv, mit 64 Mitgliedern. Wie geht das eigentlich: trinken und sparen? Der GA hat sich diese Tradition einmal genauer angeschaut.

Nur zu zweit können Axel Wagner (rechts) und Ralf Hohmann mit ihren Schlüsseln den Sparschrank zum Öffnen von der Wand nehmen.

Nur zu zweit können Axel Wagner (rechts) und Ralf Hohmann mit ihren Schlüsseln den Sparschrank zum Öffnen von der Wand nehmen.

Foto: Stefan Hermes

Einer leert die Kästchen, einer sortiert das Geld und der Dritte schreibt die Liste. Drei Kassierer oder Kassiererinnen braucht es bei der wöchentlichen Leerung des Sparschranks in der Lambertus-Stube. Genauso, wie der Schrank auch nur durch zwei Vereinsmitgliedern mit je einem Schlüssel zu öffnen ist oder das wöchentlich zur Sparkasse getragene Geld ebenfalls nur von zwei Personen abgehoben werden kann. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Sicher ist sicher.

„Man muss die Leute immer wieder kitzeln, damit solche Traditionen nicht aussterben“, sagt Axel Wagner (45). Seit mehr als zwanzig Jahren steht er hinter dem Tresen des heutigen Restaurants, das sein Vater Ulrich (79) vor bald 50 Jahren als Dorfkneipe übernommen hatte. „Den Sparverein dürfte es schon immer gegeben haben“, sagt der 45-Jährige.

Noch heute nennen sich solche Sparclubs „Immer rin“, „Sparfüchse“, „Millionäre“ oder „Frauenlob“. In Dransdorf ist der Name eher konservativ ausgefallen: „Sparverein Lambertus-Stube“. Auch wenn es kein amtlich eingetragener Verein ist, haben die zurzeit 64 Mitglieder einen Vorsitzenden und sechs Kassierer. Es geht um viel Geld: Bei der Auszahlung am Jahresende können schon mal hohe fünfstellige Summen anstehen. Bis vor der Pandemie zählte der Sparverein noch 98 Mitglieder. So viele, wie der Sparschrank Schlitze zählt. Dahinter sammelt sich in einem Kästchen das wöchentlich einzuwerfende Geld. Der Pflichteinsatz setzt sich aus einem Sparanteil von mindestens fünf Euro zusammen sowie jeweils einem Euro für ein Gewinnspiel und die Gemeinschaft.

Dass man bei dem Sparschrank in vierzehn Reihen mit jeweils sieben Einwurfschlitzen auf genau 98 Kästchen kommt, ist noch der Zusatzzahl der Lotterie „6 aus 49“ zu verdanken: Sie wurde zwar vor zehn Jahren durch eine Superzahl ersetzt, führte aber bis dahin zu einem wöchentlich Gewinn für zwei Sparerinnen oder Sparer, die jeweils das Kästchen mit der gezogenen Zusatzzahl ihr Eigen nennen konnten. Wurde beispielsweise eine 30 gezogen, gewann auch die 79 (30 plus 49). Mit Einführung der Superzahl hat sich der Sparverein darauf geeinigt, die Gewinne an die Kästchen mit der zuletzt gezogenen Lottozahl auszuschütten.

Wer die Einzahlung vergisst, muss eine Strafe zahlen. Letztlich kommt jedoch auch das Strafgeld der Gemeinschaft zugute: Diese unternimmt neben ihren opulenten Sparfesten am ersten Samstag im Dezember, dem Tag der Auszahlung, auch gemeinsame Fahrten oder finanziert geselliges Miteinander. Die unter Älteren noch bekannte Redensart „Wir sind hier doch nicht beim Sparverein“, die auf eine übertriebene Kleinlichkeit der Sparer abzielte, dürfte heute nicht mehr zutreffend sein.

 Wie viel Geld wöchentlich in die Kästchen eingezahlt wird, bleibt jedem Sparenden selbst überlassen. Nur mindestens sieben Euro müssen es sein.

Wie viel Geld wöchentlich in die Kästchen eingezahlt wird, bleibt jedem Sparenden selbst überlassen. Nur mindestens sieben Euro müssen es sein.

Foto: Stefan Hermes

Es geht nicht nur ums Sparen, sondern auch um Kontakte

„Wir sind erst seit drei Jahren dabei“, sagt Ralf Hohmann (63), der mit seiner Frau Annette vor fünf Jahren aus Hannover nach Bonn gezogen ist. Gerne wäre man direkt in den Sparverein eingetreten, doch da waren noch alle Kästchen belegt. Das änderte sich erst durch Corona. „Hier geht es ja nicht nur um das Sparen“, sagt Hohmann. Für ihn seien die Kontakte, die man knüpfen kann, ebenso wichtig.

Für seine Frau zählt vor allem, dass die Geldscheine, die sie dort kleingefaltet durch den Schlitz zwängt, weg sind. „Wat fott es, es fott“, sagt sie und lässt dabei ihre kölschen Wurzeln erkennen. Kleinere Beträge, die man wöchentlich einwirft, spüre man gar nicht. Und am Jahresende kämen dann doch beachtliche Beträge zusammen. „Da kaufe ich zum Beispiel meine Weihnachtsgeschenke von“, sagt ihr Ehemann.

Damit erinnert Hohmanns Motivation an die Anfänge der Sparvereine, die Mitte des 19. Jahrhunderts im Norden Deutschlands entstanden. Erste Sparclubs in Hamburg dienten Seeleuten und Hafenarbeitern auch für eine gegenseitige Unterstützung in Notfällen. Später versorgten Banken und Sparkassen die Kneipen mit Sparschränken und boten zur Kundenbindung gute Konditionen für die Konten.

So zählte Mitte der Sechzigerjahre der Deutsche Sparkassen- und Giroverband allein unter seinem Dach 20.000 Sparclubs mit einer geschätzten halben Million Mitgliedern. Nach Angaben des Magazins „Der Spiegel“ gab es zu der Zeit etwa 2400 Clubs in Köln. Alle Sparclubs zusammen legten demzufolge im Jahr 1960 rund 127 Millionen Mark zurück.

Sparvereine sind seltener geworden

Heute lassen sich Sparschränke eher noch bei Ebay ersteigern oder als Rarität in Kleinanzeigen finden, als sie in einer „Kneipe an der Ecke“ aufzuspüren. „Die Zeit ist einfach vorbei“, sagt Renate Wolf (69), die mit dem Ende der Dransdorfer Gaststätte „Zur Post“, wo sie bis vor acht Jahren noch regelmäßig ihr Geld in einen Sparschlitz steckte, nun mit der Lambertus-Stube eine neue „Bank“ gefunden hat.

Jennifer Filter (33) hat diese „Bank“ in der Nachbarschaft erst vor wenigen Monaten für sich entdeckt. „Irgendwie muss man ja sparen, wenn man drei Kinder hat“, sagt sie, steckt am Stichtag einen Schein in den Schlitz und verabschiedet sich. „Normalerweise würde ich auch noch einen Kaffee an der Theke trinken“, sagt sie. Doch heute habe sie keine Zeit und wollte nur schnell vorbeikommen, um die Strafe des Nicht-Einzahlens zu vermeiden. Auch wenn es manchmal umständlich sei, zieht sie den Weg zum Lokal der Spardose zuhause vor. „Da ist die Verführung doch zu groß, das Geld wieder rauszuholen“, sagt sie. Mit der schon gehörten und wenig überraschenden Erklärung „wat fott es, es fott“ wendet sie sich ab und geht.

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