In einem Bad Godesberger Keller lagert Schallplatten-Schatz

Gesucht: Archiv für 60 000 Schellackplatten - Bei dem bekannten Jazz-Historiker Rainer Lotz lagert ein wahrer Schatz frühester Aufnahmen Europas

In einem Bad Godesberger Keller lagert Schallplatten-Schatz
Foto: Ronald Friese

Heiderhof. Auf den Kellertreppen seines Einfamilienhauses spricht Rainer Lotz noch von seiner "kleinen exquisiten Sammlung". Doch mit jeder weiteren Stufe nach unten wächst die Erkenntnis, dass es sich um eine leichte Untertreibung handeln könnte. Und im Untergeschoss selbst kann es der Betrachter kaum fassen: 60 000 Schellackplatten, rund 20 Tonnen schwer, besonders aus der Frühzeit der Schallplattenproduktion, stehen hier in schmalen Gängen streng geordnet "wie die Zinnsoldaten", so der Hausherr.

Nicht zu reden vom Keller-Refugium der zwangsweise zu den "Schätzchen" hinzugekauften Exemplare, die bei Auktionen an den Liebhaber gebracht werden sollen. Rainer Lotz ist leidenschaftlicher Plattensammler. "Aber wie gesagt, ich habe nur die superben, die sicher meist letzten Exemplare", betont der Mann, der sich seit vielen Jahren als Jazz-Historiker einen Namen gemacht hat. Mehr als 160 Artikel in Fachzeitschriften hat er darüber verfasst und sicher 80 Monografien.

"Das heißt, ich arbeite über meine Platten. Zum Vergnügen höre ich eher die Callas, John Cage oder Weltmusik." Beruflich war Lotz Maschinenbau-Ingenieur, Volkswirt und Bankier - und fand gerade im frühen europäischen Jazz einen Ausgleich für die nüchternen Disziplinen. "Doch ja, das ist schon eine Leidenschaft", gibt der Mann zu, der jetzt fast zärtlich über die Rücken seiner Schätze streicht und mit wachsender Begeisterung Platten mit auch bildschönen Etiketten aus den Regalen zieht.

Vom legendären "Cake-Walk" der Jahrhundertwende erzählt er mit Enthusiasmus, von der frappierenden Offenheit und Internationalität der europäischen Musikszene bis zum Ersten Weltkrieg, als auch schwarze US-amerikanische Interpreten mit frühen Jazztiteln selbstverständlich in den Konzertsälen zwischen Gibraltar und Sibirien auftraten und ihnen die einheimischen Musiker auf Schellackplatten nachzueifern versuchten. Was heute wiederum höchst zahlreich in Rainer Lotz' Archivkeller auf dem Heiderhof gelandet ist.

"Das ist europäisches, ja auch deutsches Kulturgut", betont der Mann mit der Jazz-Passion. Diese Meinung scheint nun aber derzeit keines der deutschen Archive zu teilen, bei denen er angeklopft hat. Lotz hat das 70. Lebensjahr erreicht und sich Gedanken über seine Schätze gemacht. "Ich möchte nicht, dass sie irgendwann auf einer Müllhalde enden." Im Ernst, er versuche sie händeringend "in ein gutes Heim" zu geben.

Es stehe alles zum Verkauf. Aber nicht in der Form, dass sich jemand die Rosinen herauspickt oder die so unverwüstlichen Platten in Restaurants Liebespaaren vorspielt. Angebote dieser Art, wie hoch honoriert sie immer waren, habe er abgewiesen. Auf zwei Millionen Euro haben Experten den Marktwert geschätzt. Lotz schwebt ein Preis von 700 000 Euro vor. "Jetzt geht ein Zehntel der Platten zumindest nach Amerika", weist er auf die vielen Pakete im Keller.

Die renommierte "Library of Congress" in Washington habe im Gegensatz zu den deutschen Archiven postwendend ihren Kurator geschickt. "Die sind begeistert, weil sie damit auch einen Teil ihres Kulturerbes wiederentdecken." Die besten Titel hat er zuvor noch auf CDs gebrannt (siehe Info-Kasten). Aber schmerzt der Abschied nicht? "Ich glucke nicht auf meiner Sammlung. Ich möchte, dass sie weiterlebt".

Seine von seinem Sammeleifer geprüfte Ehefrau dürfte bei Ausgang der Pakete aber natürlich eine gewisse Erleichterung verspüren. Nebenbei zeigt er nun hier eine "kleine Sammlung" jüdischer Kantorenmusik von vor 1933 und dort im "Giftschrank" von Joseph Goebbels veranlasste englischsprachige Nazi-Propaganda. Seine historischen Schauspieler-Aufnahmen hat er gerade ans Literaturarchiv in Marbach geben können. Derzeit bringt er, äußerst spannend, früheste Tonfilme mit ihren Musikkonserven zusammen. Und natürlich schlägt der Sammler in ihm immer mal wieder zu. Lotz lacht. "Die Katze lässt das Mausen nicht."

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