Projekt "Ferien vom Krieg" Israeli und Palästinenser: Mit dem Feind im selben Boot

Bonn · Beim Projekt "Ferien vom Krieg" bringt das Komitee für Grundrechte junge Israeli und Palästinenser zusammen. Der Verein, der sich ausschließlich aus Spendengeldern finanziert, führte bereits mehr als 20.000 Menschen verfeindeter Parteien zusammen

 Abfahrt am Bonner Bundeshaus: Die Gruppe vor ihrer Schiffstour auf dem Rhein.

Abfahrt am Bonner Bundeshaus: Die Gruppe vor ihrer Schiffstour auf dem Rhein.

Foto: Barbara Frommann

Musabs Arme sind gelähmt. Seine Hände ruhen gefaltet auf seinem Schoß. Sie sind nutzlos, die Empfindungen in seinem Rücken und Beinen so stark gestört, dass das Laufen unmöglich ist. Doch sein Blick wandert, über den Rhein, entlang der Uferpromenade, über das Siebengebirge, während sich das Schiff langsam Königswinter nähert. Musab stammt aus dem von Israel besetzten Palästinensergebiet im Westjordanland.

Seit er vor elf Jahren von einem israelischen Soldaten angeschossen wurde, sitzt der 30-Jährige im Rollstuhl. Zwei Wochen lang lebt er mit Angehörigen der "anderen Seite" in der Jugendakademie Walberberg unter einem Dach. Gemeinsam veranstalten die 30 Palästinenser und 30 Israeli dort Seminare, führen Gespräche und unternehmen Ausflüge. So auch am Dienstag, als die Gruppe zusammen mit zehn Begleitern, Organisatoren und Übersetzern von Bonn aus auf eine Rheinschifffahrt ging.

Bereits vor Betreten des Schiffes, vertrieben sich einige der jungen Teilnehmer am Anleger die Zeit, indem sie sich Lieder auf Gitarre und Flöten vorspielten. In ihrer Heimat sind sie offiziell verfeindet - auf der Überfahrt auf dem Rhein dürfte dies keinem der übrigen Gäste an Bord aufgefallen sein. Einige der israelischen Jugendlichen leisteten bereits ihren Militärdienst ab, zum Teil auch vor genau elf Jahren. "Ich muss immer daran denken, dass ich hier vielleicht auch demjenigen begegnen könnte, der mir das angetan hat", sagt Musab.

Am 30. September 2000 sieht Musab im Fernsehen die Demonstrationen in Jerusalem, die im Zuge der zweiten Intifada entstanden. Mit seinen Freunden geht er zum nächstgelegenen Checkpoint in seiner Heimatstadt Dschenin. Er war neugierig. Die Kugel sei aus dem Nichts gekommen, erzählt Musab. Sie traf ihn im Gesicht, durchschlug seinen Hals und verletzte die Nerven an der Halswirbelsäule.

"Mein Zorn ist mal stärker, mal schwächer", sagte Musab. Ich bin mit der Politik nicht einverstanden und doch kann ich akzeptieren, dass diese Menschen neben uns existieren. Ich will einfach Frieden, das ist alles."

Ein Erlebnis, das er während des Projekts in Deutschland hatte, werde er nicht vergessen, sagt er: Die Begegnung mit Hadas. Die 27-Jährige stammt aus dem Norden Israels. Sie selber diente ein halbes Jahr in der israelischen Armee, ihr Ehemann war 14 Jahre Soldat, ihr Bruder ist es noch. Deren Sichtweise - das Verlangen nach Sicherheit und einem Leben ohne Angst - kennt sie sehr gut. Doch wolle sie nun auch die andere Seite kennenlernen.

Ihre offene Art habe ihn beeindruckt, gibt Musab zu. Hadas war zunächst etwas enttäuscht von dem Projekt. Sie habe erst lernen müssen, dass eine Lösung des Konflikts innerhalb des Projekts nicht möglich sei, und dass der Dialog trotzdem nicht vergeblich sei. "Der Austausch ist wirklich aufregend und sehr intensiv", betont sie. Was Musab und Hadas hier in Deutschland genau machen, weiß zu Hause niemand, höchstens die Familie. Das verbindet die beiden. Den Feind zu kennen, ihm zuzuhören und mit ihm zu sprechen, wird in Israel nicht gerne gesehen, unter Palästinensern kommt es sogar dem Verrat nahe, erklärt Musab.

Organisiert wird die Aktion "Ferien vom Krieg" von dem deutschen Komitee für Grundrechte und Demokratie. Bereits seit 1994 bietet der Verein verfeindeten Gruppen aus Kriegsgebieten, die Möglichkeit aus ihrer Krisenregion heraus zukommen und Angehörige der jeweils anderen Seite kennen zu lernen - zuerst für Flüchtlingskinder aus dem ehemaligen Jugoslawien, seit 2002 auch für Betroffene des Nahost-Konflikts.

Mit dem Projekt "Ferien vom Krieg" führte der Verein, der sich ausschließlich aus Spendengeldern finanziert, bereits mehr als 20 000 Menschen verfeindeter Parteien zusammen. Für den querschnittsgelähmten Musab bittet Helga Dieter um Spenden unter dem Verwendungszweck "Musab". Durch teure Behandlungen im Ausland bestehe die Möglichkeit, seine Situation zu verbessern. Weitere Infos hierzu unter www.ferien-vom-krieg.de.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort