Kittel statt Krawatte

SPD-Bundestagsabgeordneter Ulrich Kelber hospitiert einen Tag lang als Pfleger im Sankt-Marien-Hospital.

Kittel statt Krawatte
Foto: Barbara Frommann

Bonn. Von öffentlichen Auftritten im Bundestag kennt man ihn mit Anzug und Krawatte, aber man erkennt ihn auch als Hospitant mit Dienstkleidung im Krankenhaus. "Sind Sie nicht Ulrich Kelber?", rief eine Patientin. "Stimmt genau", antwortete der Enttarnte. Der SPD-Politiker hatte am Montag einen Arbeitstag als Pflegepersonal im St.-Marien-Hospital auf dem Venusberg absolviert.

Einmal im Jahr ruft die SPD-Bundestagsfraktion ihre Mitglieder zu einem Praxistag auf. "Diese freiwillige Aktion ist wichtig, damit wir mal in der Praxis erleben, worüber wir in der Theorie entscheiden", sagte Kelber. 146 und somit alle Bundestagsabgeordnete der SPD sind in dieser Woche in ihren Wahlkreisen in Krankenhäusern und Pflegeheimen als Hospitanten unterwegs.

Zur Person Ulrich Kelber wurde 1968 in Bamberg geboren, wuchs jedoch in Bonn auf. Er ist verheiratet und hat fünf Kinder. Seine politische Karriere begann er 1987 im Bonner Umweltausschuss. Seit 2000 sitzt er im Bundestag. Seit sechs Jahren ist er stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Seine Themen: Energie, Gesundheit, Umwelt- und Naturschutz.6.30 Uhr war Dienstantritt: Wecken und Erstversorgung der Patienten auf der Station Sebastian stand als erste Aufgabe an. Kelber packte auf Zuruf mit an, verteilte das Frühstück. Er war an diesem Tag sozusagen der Schatten von Pflegedienst-Gruppenleiter Horst Untch.

Der Politiker stellte schnell fest, dass der Job eine Art "Wettrennen gegen die Uhr" ist. Kelber musste sich erst einmal an das Tempo von Untch gewöhnen: "Er hat mir von einem Arbeitstag mit einem Schrittzähler berichtet. Abends zeigte das Gerät 18 000 Schritte an."

Die Patienten wurden stets gefragt, ob sie etwas gegen den Besuch Kelbers einzuwenden hätten. Die Mehrzahl hatte nichts dagegen, freute sich sogar über die Abwechslung im Krankenhausalltag. Kelber registrierte, dass einige Patienten - vor allem ältere - eine hohes Mitteilungsbedürfnis haben: "Das kostet Zeit, die dem Pflegepersonal in der Regel fehlt."

Plötzlich klingelte Untchs Telefon. Die beiden wurden in den OP-Saal gerufen. Es galt einen frisch operierten Patienten abzuholen. Kelber erkannte den Mann. Beide hatten früher einmal beruflich miteinander zu tun. Der Patient schlief noch, der Hospitant erkundigte sich nach seinem Wohlbefinden und erfuhr, dass der Bekannte eine mehrstündige schweren Operation hinter sich hatte. Kelber wirkte betroffen.

Nach der Frühschicht setzte sich der Politiker mit Verwaltungsdirektorin Susanne Minten und Pflegedirektorin Carola Tönnemann zu einem Gedankenaustausch zusammen und fragte: "Was kann die Politik für das Pflegepersonal tun?" Die Antwort kam blitzschnell von Tönnemann: "Die Politik muss das Ansehen des Berufsstandes verbessern. Uns fehlen Nachwuchskräfte, weil der Beruf in der Öffentlichkeit als unattraktiv gilt." Und Minten ergänzte: "Die Pflegeberufe haben keine Lobby."

Kelber sagte zu, diese Anregungen und seine Erkenntnisse von der Hospitanz in die Diskussion um die Bürgerversicherung innerhalb seiner Fraktion einzubringen.

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