Leere Supermarktregale, ständiger Luftalarm Was Helfer aus Bonn in der Ukraine erlebt haben

Bonn · Die ersten Helfer aus Bonn sind aus der Kriegsregion zurückgekehrt. Sie schildern ihre Eindrücke und berichten von Menschen, die von der Flucht gezeichnet sind. Weitere Hilfstransporte aus der Bundesstadt sind gerade angekommen.

 Die Bonner Ärztin Liesel Ruff (mit Maske) im Gespräch mit Helfern im Grenzgebiet zur Ukraine.

Die Bonner Ärztin Liesel Ruff (mit Maske) im Gespräch mit Helfern im Grenzgebiet zur Ukraine.

Foto: Humedica

Beinahe zwei Wochen nach Beginn des russischen Überfalls auf das Nachbarland Ukraine und der davon ausgelösten Welle der Hilfsbereitschaft sind die ersten Transporte aus Bonn in der Kriegsregion angekommen. Auch Menschen aus der Bundesstadt haben sich in den vergangenen Tagen auf den Weg gemacht, um vor Ort zu helfen. Die ersten Rückkehrer berichten von ihren Erlebnissen, sie sprechen über die am meisten benötigten Dinge – und sie versuchen, Unbeschreibliches in Worte zu fassen.

Wenn man der eigenen Großmutter helfen muss, ihre Heimat von jetzt auf gleich zu verlassen, ist der Alltag maximal außer Kraft gesetzt. So ist es Vitaliy Krusch vor wenigen Tagen ergangen. Der Bonner hatte sich am vergangenen Donnerstag mit seinem Mitstreiter Maik Menke und einer Gruppe Begleiter in einem Konvoi aus rund zehn Fahrzeugen auf den Weg in sein Geburtsland gemacht.

25 Tonnen Hilfsgüter für eine Kleinstadt im Westen

„Wir haben rund 25 Tonnen Hilfsgüter transportiert und verteilt, vor allem medizinische Ausrüstung, aber auch Schlafsäcke, Decken und Schutzkleidung für Sanitäter“, sagt der 32-Jährige kurz nach der Rückkehr. „Die Güter waren für die Kleinstadt Sokal im Westen bestimmt. Wir wussten vorab, was dort benötigt wird.“ Warum Sokal? „Mein Vater ist dort Lokalpolitiker“, sagt Krusch, der seit 2004 in Bonn lebt. Krusch berichtet von langen Schlangen auf ukrainischer Seite der Grenze, von leeren Supermarktregalen, von ständigem Luftalarm – in Deutschland sind diese Szenen aus den Medien bekannt, er hat sie selbst gesehen und Fotos davon seinem Social-Media-Account geteilt.

Der Ingenieur erzählt auch von nervösen Grenzposten, von großer Hilfsbereitschaft in Polen – und von dem schweren Moment, als er sich wieder von seinem Vater verabschieden musste. „Das war furchtbar“, sagt der 32-Jährige, „ich habe ihm angeboten mitzukommen. Er wollte bleiben, seiner Verantwortung nachkommen.“ Dass seine Oma auf dem Rückweg im Auto sitzt, war zunächst nicht wirklich geplant. „Ich musste sie überreden, sie wollte eigentlich nicht. Ich bin froh, dass wir sie mitgenommen haben.“ Insgesamt haben Krusch und seine Mitstreiter auf dem Rückweg neun Menschen mitgenommen, die aus dem Konfliktland geflohen waren. Den nächsten Transport mit Hilfsgütern will er so schnell wie möglich organisieren.

 Zurück vom Einsatz in seinem Geburtsland: Der Bonner Vitaliy Krusch hat mit einem Team von Freiwilligen aus NRW rund 25 Tonnen Hilfsgüter übergeben.

Zurück vom Einsatz in seinem Geburtsland: Der Bonner Vitaliy Krusch hat mit einem Team von Freiwilligen aus NRW rund 25 Tonnen Hilfsgüter übergeben.

Foto: Privat

Menschen sind von der plötzlichen Flucht gezeichnet

Auch Liesel Ruff ist von ihrem ersten Einsatz in der Kriegsregion zurück. Die Bonner Ärztin war für die Hilfsorganisation Humedica im Grenzgebiet der Ukraine zu Rumänien und der Republik Moldau unterwegs, um Informationen über die medizinische Lage zu sammeln. „Wir haben uns ein Bild davon gemacht, was benötigt wird.“ Zu dem Bild gehören auch unzählige Eindrücke aus einer vom Krieg erschütterten Region. Neben „einer unheimlich hilfsbereiten Bevölkerung in zwei Ländern, die eigentlich selbst nicht viel haben“, seien ihr viele Menschen begegnet, die von der plötzlichen Flucht gezeichnet sind.

Vor allem Frauen und Kinder würden in teils kilometerlangen Autoschlangen und nicht selten mehrere tagelang auf eine Ausreise aus der Ukraine warten. „Ich habe auch die Abschiede gesehen, von denen in Deutschland im Fernsehen berichtet wird“, sagt Ruff. Männer blieben zurück, rund um die Uhr würden Familien auseinandergerissen, „es ist eigentlich unbeschreiblich“.

Gefährlich bis dramatisch werde es auch dann, wenn Autos aus der Warteschlange liegen bleiben. „Dann machen sich die Menschen zu Fuß auf den Weg in Richtung Grenze, bei großer Kälte, mit den Kindern auf dem Arm“, sagt die Bonnerin. Vielen Frauen fehle es am Nötigsten, von Kindernahrung bis zu Hygieneartikeln. Ihre Organisation wird vor allem mobile Krankenhäuser errichten lassen. „Gut möglich, dass ich bald wieder hinfahre“, meint die Ärztin.

Telekom-Mitarbeiter bringen Technik ins Kriegsgebiet

Anderswo ist Hilfe aus Bonn gerade erst wieder angekommen. Tim Schiller und sein Kollege Andreas Faller sind am Dienstagnachmittag im polnischen Grenzgebiet nahe der Ukraine unterwegs. Dort treffen sich die Telekom-Mitarbeiter mit Fahrern aus der Ukraine, um medizinische Hilfsgüter abzugeben: Verbandszeug, Medikamente, sogar Beatmungsgeräte. Alles, was Krankenhäuser aktuell brauchen, sagt Schiller am Telefon. Sie fahren mit mehreren ausgebauten Sprintern aus dem Fuhrpark ihres Arbeitgebers.

Die Aktion ist Teil einer Spendenreihe des Konzerns. Die Spenden erhielten sie vom „Blaugelben Kreuz“ in Köln, dem UKB, diversen Krankenhäusern und einem Arzt. Sie geben die Güter an private Helfer aus der Ukraine ab. Die fahren Richtung Lwiw und Kiew weiter. „Viel läuft über Vertrauen“, sagt Schiller darüber, wohin die Spenden gehen. Die Situation vor Ort beschreibt der Telekom-Mitarbeiter als surreal. Sie sind seit dem frühen Morgen unterwegs.

Einen Zwischenstopp legten sie bei Bekannten in Polen ein, schliefen dort wenige Stunden. Dort trafen sie auch auf zwei ukrainische Flüchtlinge, die ebenfalls bei den Bekannten untergekommen waren. Mit Händen und Füßen habe man sich verständigt, sagt Schiller. Sie wirkten gefasst. „Uns wurde gesagt, dass die Flüchtlinge der ersten Welle erst nach der Flucht über die Grenze realisierten, was eigentlich los ist. Davor sind sie mental nur mit dem Flüchten beschäftigt.“ Derweil werde vor Ort Treibstoff rationiert. Schiller und Faller hätten Ärger bekommen, als sie versucht hatten, ihren Diesel vollzutanken.

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