Missbrauchsvorfälle am Ako: "Die haben mein halbes Leben zertreten"

Es ist die Stunde der Opfer. Wenn die Wogen der Entrüstung über die Missbrauchsfälle auch am Bonner Jesuitengymnasium Aloisiuskolleg (Ako) abgeebbt sind. Wenn sich die Täterprofile klären.

Missbrauchsvorfälle am Ako: "Die haben mein halbes Leben zertreten"
Foto: Ronald Friese

Bad Godesberg. Es ist die Stunde der Opfer. Wenn die Wogen der Entrüstung über die Missbrauchsfälle auch am Bonner Jesuitengymnasium Aloisiuskolleg (Ako) abgeebbt sind. Wenn sich die Täterprofile klären. Wenn sich auch innerhalb der Katholischen Kirche Lernprozesse andeuten. Dann pochen gerade die Nachdenklichen unter den Geschädigten darauf, weiter gehört zu werden.

"Ich würde damit aber niemals zu Kirche, Ako, den Jesuiten oder deren Misstrauensbeauftragter gehen", betont der Mann, der unter dem Pseudonym Wilhelm Steiner Anfang Februar in der Süddeutschen Zeitung den Fall Ako ins Rollen brachte.

Jetzt meldet er sich aus Bayern beim GA. "Weil ich hoffe, dass es in Bonn gegen den einzigen noch lebenden Täter zum Prozess kommt. Und weil ich bereit bin, als Zeuge auszusagen, wie sich so eine Wahnsinnstat über Jahrzehnte in allen Lebensbereichen auswirkt."

In einem Zeltlager habe sich der beschuldigte Ako-Pater ihm Anfang der sechziger Jahre genähert, schildert der heute 62-Jährige. "Ich musste mich in seinem Zimmer ausziehen. Ich war ihm ausgeliefert, als er an mir 'rumfummelte." Der Jesuit habe sich selbst befriedigt. Im Ako habe der Junge nicht auf keine Hilfe hoffen können. "Damals waren über 90 Prozent der Lehrer Patres. Es war selbstverständlich, dass die alles durften." Erst viele Jahre später habe er das Horrorerlebnis, das bei ihm viele verkrampfte Verhaltensweisen nach sich zog, seiner Frau erzählt.

"Die haben mir mein halbes Leben zertreten", so der frühere Internatsschüler. In den bisher ans Licht gekommenen Opferprofilen erkenne er sich wieder: Auch seine arme Familie habe sich das Geld für die Eliteschule vom Mund abgespart. "An reichere Schüler oder Kinder von Prominenten hätte sich kein Pater 'rangewagt."

So sieht das auch ein heute 76-Jähriger, der sich beim GA meldete und damit in der Aufarbeitungsliste des Ako einen neuen, wohl siebten Täter nennt. 1946 sei er von einem Pater in Religion unterrichtet worden. Weil er als Flüchtling nicht einmal Schuhe hatte, habe der Jesuit ihn ins Ako mitgenommen, ihm dort Brot zu essen, Schuhwerk gegeben. Dann sollte sich der damals 12-Jährige plötzlich ausziehen. "Es gab eine Rangelei eindeutiger Art. Er wollte mir Gewalt antun."

Doch als Junge, der sich schon im Weltkrieg durchschlagen musste, habe er sich gewehrt, sei weggelaufen. "Erst jetzt ist mir richtig klar geworden, wie der Pater ausgenutzt hat, dass ich mich bei ihm in Sicherheit wähnte. Und was er mir angetan hat." Dem eloquenten Mann versagt die Stimme. Der Pater sei damals irgendwann versetzt worden, kommt dann. "Und ich will heute bezeugen, dass es hier nicht um Einzelfälle geht."

Was letztlich die jüngeren Opfer und ihre Angehörigen nicht trösten wird. Eltern haben sich an den GA gewandt, aus denen immer noch die Verzweiflung über die Taten des heute 82-jährigen Ako-Paters im Pflegeheim herausbricht.

"Die haben meinen Sohn zum Wrack gemacht", klagt ein Vater, den Schuldgefühle plagen, den Jungen nicht aus dem Internat geholt zu haben. Dass die Katholische Kirche einfach sage: "Wir entschuldigen uns", sei für sie skandalös, sagt eine Mutter.

"Die müssten die Opfer um Entschuldigung bitten." Von geduldeten Ekelritualen, bei denen Neuankömmlinge auch in den neunziger Jahren noch mit dem Kopf in der Toilette kirre gemacht wurden, damit sie hernach "parierten", berichten Eltern.

Und immer wieder vom nackten Schulleiter in der Internatsdusche. Der habe sogar alleinstehende Mütter mit Geld gelockt, ihre Jungen ins Internat zu schicken. Es wiederhole sich durchgehend ein Muster des schamlosen Ausnutzens von Abhängigkeiten, kommentiert das der 62-Jährige aus Bayern. "Deshalb stehe ich jetzt dagegen auf. Ich will keine Abfindung. Denn mit Geld können die mir mein Leben nicht zurückholen."

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