Moderne Sternsinger

Glosse von Hans-Dieter Weber

Es klingelt. Vor der Haustür stehen die Heiligen Drei Könige. Nun ja, eigentlich handelt es sich bei näherem Hinsehen um einen König und zwei Königinnen, aber sie stellen sich dennoch als Caspar, Balthasar und Melchior vor.

Die Schutzpatrone der Reisenden, Pilger, Kaufleute, Gastwirte und Kürschner, überragt von einem leuchtenden Stern aus Goldpapier, daher auch als Sternsinger bekannt, werden ihres Beinamens gerecht und starten ihr Lied: "Wir kommen daher aus dem Morgenland..."

Da klingelt es popmusikalisch. Caspar findet ihr Handy unter den Falten ihres königlichen Gewandes und meldet sich: "Jetzt nitt. Mir sin jrad am Singe!" Die beiden nächsten Strophen ertönen dann textsicher und störungsfrei.

Dem Lob des Hausherrn für die Darbietung folgt der Obolus für die Spendendose, die ihm demonstrativ unter die Nase gehalten wird. "Wo soll der Haussegen hin?", fragt Balthasar und zückt ein Stück Kreide.

Der Hausherr deutet auf den oberen Türrahmen mit den verblassten Segensresten vom Vorjahr. Doch der ist selbst für die größte unter den Majestäten unerreichbar. Was tun? Balthasar in die Höhe stemmen? Doch da meldet sich Melchior: "Wir haben das auch als Aufkleber."

Wie bitte? Melchior zeigt stolz eine Folie mit etwa zehn Segensstreifen mit schwarzem Untergrund und täuschend ähnlicher Kreideschrift: "20 * C + M + B + 10". Der Hausherr zögert kurz, entscheidet sich dann jedoch für die Aufkleber-Alternative. Man muss schließlich mit der Zeit gehen.

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