Mutmaßlicher NS-Mörder stirbt in Wachtberg

65 Jahre brauchte die Justiz, um einen Mann anzuklagen, der während der NS-Schreckensherrschaft an der Ermordung von mehr als 430 000 Menschen im Vernichtungslager Belzec im heutigen Polen beteiligt gewesen sein und eigenhändig zehn Inhaftierte erschossen haben soll.

Mutmaßlicher NS-Mörder stirbt in Wachtberg
Foto: Max Malsch

Bonn. 65 Jahre brauchte die Justiz, um einen Mann anzuklagen, der während der NS-Schreckensherrschaft an der Ermordung von mehr als 430 000 Menschen im Vernichtungslager Belzec im heutigen Polen beteiligt gewesen sein und eigenhändig zehn Inhaftierte erschossen haben soll.

Anfang nächsten Jahres sollte sich der 89-jährige Samuel Kunz vor dem Bonner Landgericht wegen Beihilfe zum Massenmord und zehnfachen Mordes verantworten - vor der Jugendkammer, weil er zu Beginn der Taten erst 20 war. Doch dazu kommt es nicht mehr: Wie der GA erfuhr, starb der Mann, der an dritter Stelle auf der Liste der meistgesuchten NS-Verbrecher des Simon-Wiesenthal-Zentrums steht, am Freitag in seinem Haus in Wachtberg.

Dort hatte sich der gebürtige Wolgadeutsche als Familienvater ein Leben als unbescholtener Bürger aufgebaut und bis 1970 im Bundesbauministerium als Haushandwerker gearbeitet - unbehelligt von der Justiz, die ihn jahrzehntelang nur als Zeugen in Strafverfahren gegen andere NS-Verbrecher geführt hatte. Bis sein Name im Verfahren gegen John Demjanjuk in München als möglicher Täter genannt wurde.

Wie Demanjuk soll auch Kunz als Wachmann Teil der Mordmaschinerie im KZ Belzec gewesen sein, einem reinen Vernichtungslager des Nazi-Regimes in Polen. In Belzec wurden nach SS-Angaben 434 508 Juden ermordet, zum größten Teil in Gaskammern. Kunz soll dort von 1942 bis 1943 eingesetzt gewesen sein.

Der NRW-Zentralstelle in Dortmund für die Aufarbeitung von NS-Massenverbrechen zufolge, die die Anklage gegen Kunz erhob, hielt der als Wachmann die Maschinerie des Todes mit in Gang.

Er soll daran mitgewirkt haben, dass die Männer, Frauen und Kinder, die in Viehwaggons zum Lager gebracht wurden, mit Peitschen, Holzstöcken und Pistolen in den sicheren Tod getrieben wurden - in den Gaskammern, wo ein Verbrennungsmotor in Gang gesetzt wurde, dessen Abgase die Menschen innerhalb von 15 bis 20 Minuten tötete.

Für die Ermittler machte sich Kunz damit der Beihilfe zum Massenmord schuldig. Nach Anklageerhebung im Juli hatte sein Bonner Verteidiger Uwe Krechel erklärt, sein Mandant habe mit den Tötungen nichts zu tun. Er habe nur als Wachmann Dienst getan und im Lager ab und zu als Übersetzer fungiert.

Es müsse sich um eine Verwechslung handeln. Nun wird die Justiz nie mehr klären können, welche Rolle Samuel Kunz bei dem Massenmord gespielt hat. Bei der Zentralstelle in Dortmund sind den Angaben ihres Sprechers zufolge noch 16 weitere NS-Verfahren anhängig. Das gegen Samuel Kunz soll die größte Dimension gehabt haben.

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