Meinungen von Eltern und Experten Wie geht Bonn mit dem Rechtsanspruch auf Platz im Offenen Ganztag um?

Bonn · Den Rechtsanspruch auf einen Platz in der Offen Ganztagsschule ab 2026 begrüßen Eltern und Träger in Bonn sehr, zumal auch in diesem Schuljahr wieder viele Kinder keinen Platz erhalten haben. Das stellt so einige Familien vor ein Riesenproblem.

 Ab 2026 gilt ein Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz. Dabei gehen bereits jetzt einige Kinder in Bonn leer aus.

Ab 2026 gilt ein Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz. Dabei gehen bereits jetzt einige Kinder in Bonn leer aus.

Foto: dpa/Patrick Seeger

Endlich i-Dötzchen: Doch für die meisten Familien ist der erste Schultag nicht nur ein Freudentag. Denn wenn der Nachwuchs von der Kita auf die Grundschule wechselt und keinen Platz in der Offenen Ganztagsschule (OGS) erhalten hat, stellt das zahlreiche berufstätige Mütter und Väter in Bonn vor neue Probleme. Wie Anne Ittman-Wahl und ihren Mann. Beide waren bisher in Vollzeit als Lehrer beschäftigt. Doch weil die älteste Tochter jetzt ins erste Schuljahr geht und beim Wettlauf um einen OGS-Platz leer ausging, haben die Eltern Stress.

Die Familie ist von Endenich nach Dransdorf umgezogen, weil sie dort ein Haus gefunden hat. Die Tochter ging in eine Kita in Endenich und wollte natürlich mit den Freunden in die Matthias-Claudius-Schule gehen, erzählt die Mutter. Sie stehe nun auf dem letzten Platz der Warteliste für die OGS. Grund: Erstes Kriterium für die Aufnahme – darauf haben sich die OGS-Träger in Bonn verständigt – ist die Wohnortnähe. Laut Ittmann-Wahl haben aber auch Familien aus Endenich keinen Platz bekommen. Denn die Plätze reichen wie auch an anderen Grundschulen generell nach wie vor nicht aus.

Zwar soll ab 2026/27 ein Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz gelten. Doch das tröstet Anne Ittmann-Wahl und ihren Mann nicht. Die Kunst-und Religionslehrerin arbeitet am Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium in der Weststadt, ihr Mann an einem Gymnasium in Rösrath. Da sie den kürzeren Arbeitsweg habe, der praktisch an der Schule vorbeiführe, habe sie nun von Vollzeit auf halbe Stelle umgestellt, damit sie die Tochter rechtzeitig abholen und betreuen kann. Doch dieser Plan haut nicht ganz hin, sagt die Lehrerin. An den meisten Tagen endet der Unterricht für die Erstklässler um 11.20 Uhr, zudem müsse sie aus organisatorischen Gründen teilweise auch an Nachmittagen unterrichten. Somit ist sie auf die Unterstützung der Oma sowie auf ihre eigene Improvisationskunst angewiesen. Hinzu komme, dass ihre Tochter gerne bei den Freundinnen nachmittags in der Schule wäre. „Diese Spielzeit fehlt ihr natürlich sehr.“

Für die junge Mutter ist es unverständlich, dass Eltern zwar ein Recht auf freie Schulwahl haben, beim OGS-Platz dann aber die Wohnortnähe zähle. „Natürlich bin ich gerne für meine Kinder da. Ich liebe aber auch meinen Beruf und werde da auch sehr gebraucht“, sagt sie. Und: „Wenn eine Familie ein Haus haben möchte, kommt man nicht drumherum, dass dann beide Elternteile arbeiten müssen.“

Dramatische Situation an Förderschulen

Stephan Dülberg ist Vorsitzender des Vereins Jugendfarm, der die OGS an der Endenicher Grundschule und weiteren Grundschulen in Bonn betreibt. Allein in Endenich, sagt er, stünden 20 Kinder auf der Liste. Dramatisch sehe es an den Förderschulen aus: „An der Astrid-Lindgren-Schule in Duisdorf zum Beispiel haben wir 45 Plätze und über 60 Kinder mit erhöhtem Förderbedarf, denen wir in diesem Jahr keinen Platz anbieten können, weil es an entsprechenden Räumlichkeiten fehlt.“

Daher begrüße er grundsätzlich den Rechtsanspruch, obgleich „er ein bisschen spät kommt“. Jedenfalls mache der Rechtsanspruch für die Familien den Wechsel von Kita auf Grundschule planbarer. Der Umsetzung des Rechtsanspruchs sieht er wie andere Träger allerdings mit Skepsis entgegen: „Das Hauptproblem ist, wir haben jetzt schon nicht ausreichend Räume. Deshalb fragen wir uns, wie das funktionieren soll.“ Die Befürchtung vieler Kollegen aktuell sei, dass zwar mehr Betreuungsplätze geschaffen würden, es aber nicht wirklich mehr Platz drinnen wie draußen geben werde. „Es darf in den Räumen nicht noch enger werden.“ Doch er vermutet, „dass man einfach nicht mit den Baumaßnahmen hinterherkommen wird“. Hinzu komme der „Eiertanz“ mit dem Personal. Es fehlten nicht nur jede Menge Fachkräfte in Schulen und Kitas. Für die OGS komme erschwerend hinzu, dass die Träger dort wegen der zu geringen Betreuungszeit am Nachmittag selten Vollzeitstellen anbieten könnten. „Es müssen Modelle gefunden werden, wie in der OGS mehr Vollzeitstellen möglich sein können.“

OGS ist wichtig für Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Auch Marion Schäfer, Mitglied der Geschäftsführung des Diakonischen Werks und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der OGS-Träger in Bonn, begrüßt den Rechtsanspruch für den offenen Ganztag. „Er war überfällig.“ Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf brauche OGS und auch Kinder mit schlechteren Ausgangsvoraussetzungen dieses Angebot. Wie Dülberg fordert auch sie entsprechende bauliche Maßnahmen, um allen Kindern ausreichend Raum bieten zu können. „Die Kommunen müssen dabei von Bund und Ländern unterstützt werden, sonst ist das nicht zu leisten.“

Oberbürgermeisterin Katja Dörner freut sich ebenso über den beschlossenen Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz: „Es ist wichtig, dass der Rechtsanspruch kommt, wenn auch leider sehr spät.“ Sie sehe die Stadt Bonn auch heute schon gut aufgestellt, denn der Rat habe bereits eine OGS-Quote von 80 Prozent als Ziel beschlossen und die OGS-Plätze würden kontinuierlich ausgebaut.

Länge der Wartelisten für einen OGS-Platz ist nicht bekannt

Mit Beginn dieses Schuljahres kann die Stadt 8988 OGS-Plätze anbieten, teilt Isabel Klotz vom Presseamt mit. Wie viele Kinder insgesamt noch auf Wartelisten stehen, dazu gebe es keine Übersicht, da sich auch bis ins Schuljahr hinein noch Veränderungen an den einzelnen Standorten ergeben könnten. Wie hoch der tatsächliche Bedarf ist, könne nicht verbindlich beantwortet werden. Ausgehend vom letzten Schuljahr – die Oktoberstatistik für dieses Jahr liegt noch nicht vor – lag die OGS-Quote mit Stand Oktober 2020 bei 71,88 Prozent – ausgehend von rund 12.000 städtischen Grundschülern und damals 8625 OGS-Plätzen.

Bei dem seitens des Rates beschlossenen Ausbau von bis zu 300 Plätzen pro Jahr wäre bei konstant bleibenden Schülerzahlen im Schuljahr 2023/2024 mit 9600 Plätzen diese Quote von 80 Prozent erreicht. Bei Einführung des Rechtsanspruchs wären im Schuljahr 2025/26 10.200 Plätze geschaffen, was einer Quote von 85 Prozent entspräche. „Ob der Ausbau in dieser Schrittigkeit tatsächlich gelingen kann, hängt neben dem zur Verfügung stehenden Personal auch davon ab, ob die Schulen insbesondere im Bereich der Mensen entsprechend räumlich ausgebaut werden können“, erklärt Klotz weiter. Dies wiederum sei abhängig von den dafür notwendigen Ressourcen bei der Stadt Bonn für die bauliche Umsetzung.

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