Pro Familia NRW wird 40

Früher ging es vor allem um Verhütung, heute ist unerfüllter Kinderwunsch oft das Thema - Im vergangenen Jahr 11 880 Beratungen

Bonn. "Meine Freundinnen lassen sich nähen", sagt Rosa (Name geändert). Die gebürtige Kosovarin ist 20, trägt ein Yankees-Käppi, und hatte auch schon mal auf eine Hymen-Rekonstruktion gespart: Dank dieses Eingriffs verwandeln sich immer mehr muslimische Mädchen kurz vor der Hochzeit wieder in Jungfrauen.

Und sei es der Anschein, unberührt in die Ehe zu gehen - in Rosas streng gläubiger Familie hätte er gezählt. Doch ihr kam eine Schwangerschaft dazwischen: "Ein Schock", sagt Rosa, deren Welt von einem Tag auf den anderen ins Wanken geriet: Die Angst vor den Reaktionen des Vaters und der Brüder, die Flucht und das Untertauchen in einer geheimen Wohnung, Geldsorgen - die junge Frau war verzweifelt, als sie der Sozialarbeiterin Brigitte Baumeister in der Pro Familia-Beratungsstelle Bonn zum ersten Mal gegenüber saß.

Die Gynäkologin hatte Rosa an Pro Familia verwiesen. Seit 40 Jahren ist der Landesverband Nordrhein-Westfalen der Pro Familia vor allem durch die Schwangerschaftskonfliktberatung bekannt: Eine schwierige, vom Land und den Kommunen bezuschusste Aufgabe im Gesetzesauftrag. Die Paragrafen 218 und 219 im Strafgesetzbuch schreiben eine solche Beratung vor einem möglichen Schwangerschaftsabbruch vor, damit dieser straffrei bleibt.

Vor diesem Hintergrund hat Pro Familia NRW im Vorjahr 11 880 Beratungen durchgeführt. Dass - wie in Rosas Fall - ein ungeplantes Baby gewissermaßen zum Bruch in der Familie führt, ist heutzutage selten. Zu Gründungszeiten sah die Situation noch anders aus. Damals galten uneheliche Schwangerschaften als Schande, auf Abbrüche standen Gefängnisstrafen. Für Betroffene ein schreckliches Dilemma.

Am Samstag feiert der Landesverband in Wuppertal seinen 40. Geburtstag. Und in mancherlei Hinsicht ist Pro Familia NRW ein Kind der 68er - was das Gründungsdatum und das Ideal einer selbstbestimmten Sexualität angeht. 1968 war das Jahr, in dem die Vereinten Nationen erstmals das Menschenrecht auf Familienplanung verkündeten.

In den Köpfen angekommen waren diese Gedanken jedoch noch nicht. Nur die Freigeister und Jungen lehnten sich gegen die Prüderie der Nachkriegsgesellschaft auf. Sie rebellierten gegen Vorschriften wie den Kuppeleiparagrafen: Der hielt die Bevölkerung an, unverheirateten Paaren keine Gelegenheit zum ungestörten Beisammensein zu lassen - denn ein Liebesleben sollte Ehepaaren vorbehalten sein.

Sexualität aus der Schmuddel-ecke herauszuholen war ein Ziel der Pro Familia. Mit einem Koffer voller Verhütungsmittel besuchten die Beraterinnen Schulen und Jugendheime - und wurden von jungen Mädels immer wieder mit derselben Frage bestürmt: "Wo bekomme ich die Pille her?" In Zeiten, in denen das Gros der Mediziner sie nur Verheirateten verschrieb, machten die Pro Familia-Ärztinnen Ausnahmen für alle anderen.

Mit der Konsequenz, dass die Ärztekammer die Frage juristisch klären wollte, ob und ab welchem Alter Gynäkologen jungen Frauen die Pille verschreiben durften. "Heute können sich die Mädchen gar nicht mehr vorstellen, was für ein großes Ding dieses Verhütungsmittel damals war", erinnert sich eine Zeitzeugin.

"Bei Jugendlichen ist die Pille inzwischen eine Selbstverständlichkeit", sagt Rita Kühn, Geschäftsführerin des Landesverbandes. Die gesellschaftliche Entwicklung und der demografische Wandel haben neue Themen in die 43 nordrhein-westfälischen Beratungsstellen gebracht, wo 2007 35 649 Beratungen stattgefunden haben. So dreht sich fast jede zehnte Beratung um ein modernes Tabuthema: Fruchtbarkeitsprobleme.

In der Bonner Beratungsstelle bieten die Leiterin Elisabeth Wirtz und eine Ärztin die psychologische Kinderwunschberatung einer seit 1998 stetig wachsenden Klientenschar an - seit 2003 in Kooperation mit der Universitätsfrauenklinik. Dienstagabend in der Bonner Beratungsstelle an der Poppelsdorfer Allee 15.

Nach Dienstschluss redet das Doppelverdiener-Paar Andreas und Christiane Stern (Namen geändert) über seine Sehnsucht: "Wenn man draußen spielende Kinder sieht, dann denkt man, das hätten wir auch gerne. Hätten wir es doch nur während des Studiums versucht", sagt Andreas Stern. Doch damals war Familienplanung kein Thema. Heute sind die beiden 40 und 37 Jahre alt und versuchen seit Jahren erfolglos, ein Baby zu bekommen.

Sex nach dem Terminkalender und Schwangerschaftstests geben ihrem Alltag starre Strukturen. Die Sterns teilen ihre Monate in eine Zeit des Wartens und Hoffens und - wenn es wieder nicht geklappt hat - in eine Zeit der Trauer und der Selbstzweifel. Jetzt versuchen sie eine Inseminationstherapie, wobei Mediziner Spermien in Christiane Sterns Gebärmutter spritzen. Über die psychologische Belastung reden die Sterns in der Beratungsstelle.

"In unserer Gesellschaft gibt es die Illusion der Machbarkeit. Wenn man einen guten Abschluss, einen guten Job und eine gute Partnerschaft hat, dann muss es mit den Kindern doch auch klappen", sagt Wirtz. Doch zehn Prozent der Paare bleiben kinderlos.

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