Reisender in Sachen Demokratie

Philipp von Boeselager, Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, wird 90 Jahre alt

Altenahr. Er ist Reisender in Sachen Demokratie. Alle paar Wochen hält Philipp Freiherr von Boeselager "zwischen Bremen und Regensburg", wie er sagt, Vorträge über den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Vor Schülern und Erwachsenen. Er appelliert an seine Zuhörer, sich politisch zu engagieren, "die Bühne nicht den Extremisten zu überlassen".

Er weiß, wovon er spricht. Denn von Boeselager ist der letzte Überlebende der Widerstandsgruppe um Claus Graf Schenk von Stauffenberg, die am 20. Juli 1944 das Bombenattentat auf Hitler verübte.

Der aus Heimerzheim stammende Freiherr, der seit 1948 mit seiner Frau Rosa auf Burg Kreuzberg bei Altenahr lebt, wird 90 Jahre alt. Ihm fiel in der Vorbereitung des Attentats eine wichtige Rolle zu. Von Boeselager besorgte den guten englischen Sprengstoff, über den nur sein Regiment verfügte.

In einem Koffer übergab er ihn an General Stieff, der ihn kurz vor dem 20. Juli an Stauffenberg weiterreichte. Und der Freiherr sollte nach einem geglückten Attentat Himmler und Goebbels in Berlin verhaften und dort mit seinen 1 200 Reitern für Ruhe und Ordnung sorgen. Doch dazu kam es nicht. Am 18. Juli 1944 hatte er von seinem Bruder Georg den Auftrag bekommen, sechs Reiterschwadronen von der Ostfront nach Berlin zu führen.

Die "Operation Walküre" lief. In 36 Stunden ritten die Männer 200 Kilometer westwärts bis Konopka in der Nähe von Brest-Litowsk an der polnisch-russischen Grenze. Dort, kurz vor dem Abflug nach Berlin, brachte ihm ein Melder seines Bruders einen Zettel: "Alles in die alten Löcher." Von Boeselager: "Da wusste ich, dass das Attentat gescheitert war, wir mussten zurück an die Front." Er lässt nicht den Eindruck aufkommen, ein Held gewesen zu sein, wenn er 63 Jahre nach den dramatischen Geschehnissen von damals detailreich erzählt.

Vielmehr seien es "quälende Fragen" gewesen, die ihn und seine Kameraden bewegt hätten. "Schließlich wussten wir, dass unser Leben und das Leben unserer Familien nicht mehr sicher gewesen wäre, wenn unsere Beteiligung am Umsturzversuch bekannt geworden wäre. Dabei war ich sicher, dass ich geschnappt würde", sagt von Boeselager.

Auf ihn fiel aber kein Verdacht, auch weil seine gefassten Mitverschwörer den Nazis seinen Namen nicht nannten. Bis zum Kriegsende am 8. Mai 1945 trug er eine Zyankalikapsel in der Brusttasche, um sich im Falle einer Festnahme durch die Nazis das Leben nehmen zu können. "Ich habe sie an diesem Tag in den Fluss Mur an der österreichisch-ungarischen Grenze geworfen." Wie wurde aus dem Abiturienten des Bad Godesberger Aloisius-Kollegs und überzeugten Soldaten ein Widerstandskämpfer?

Im Juni 1942 erfuhr der 24-jährige Ordonnanzoffizier Günther von Kluges, dem Chef der Heeresgruppe Mitte, in Russland davon, dass fünf Zigeuner "sonderbehandelt", also erschossen, worden waren. "So habe ich zum ersten Mal selbst mitbekommen, wie Unrecht von oben befohlen wurde. Vergleichbares geschah immer öfter.

Im Oktober 1942 war ich mit dabei", erinnert sich von Boeselager. "Dabei" in der Widerstandsgruppe von Oberst Henning von Tresckow. Er habe sich der Sache nicht mehr entziehen können, berichtet von Boeselager, denn 1944 seien jeden Tag 16 000 Menschen von den Nazis umgebracht worden.

Schon damals wusste er: "Jeder weitere Tag Krieg war ein Verbrechen." Heute hat von Boeselager kein Problem damit, wenn das bekennende Mitglied der Scientology-Sekte, Tom Cruise, im Kinofilm Stauffenberg darstellt. "Das könnte ja helfen, dass die Amerikaner etwas mehr über den deutschen Widerstand erfahren."

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