Runter vom Sofa, rein in den Wald

Siebengebirge, Kottenforst, Rodderberg sowie die Uferlandschaften von Rhein und Sieg bergen ungeahnte Naturschätze. Die Region Bonn bietet die größte biologische Artenvielfalt in NRW.

Rarität im Siebengebirge: der Blaustern.

Rarität im Siebengebirge: der Blaustern.

Foto: Holger Willke

Bonn. Siebengebirge, Kottenforst, Rodderberg sowie die Uferlandschaften von Rhein und Sieg bergen ungeahnte Naturschätze. "Der Großraum Bonn ist einer der Hotspots der biologischen Vielfalt in Nordrhein-Westfalen", betont Wolfgang Schumacher.

Der bekannte Geobotaniker der Universität Bonn weiß, wovon er spricht: In den 90er Jahren hat er gemeinsam mit Studenten das Siebengebirge und den Kottenforst floristisch und vegetationskundlich kartiert. Die Wissenschaftler fanden mehr als 1 100 verschiedene Farn- und Blütenpflanzen. Auch ausgewählte Tierarten wurden bei der Auflistung berücksichtigt.

"Es gibt zahlreiche Pflanzen und Tiere, die in unserer Region ihre nördlichsten Vorkommen haben. Das liegt hauptsächlich an den besonderen klimatischen Verhältnissen im Rheintal und an der unterschiedlichen Geologie. Mindestens 150 Pflanzenarten sind allein deshalb in unserer Heimat nachweislich vorhanden", erklärte Schumacher.

Biologische VielfaltTrotz aller Bemühungen schwindet die biologische Vielfalt weltweit in einer Geschwindigkeit, wie sie in der Geschichte vorher nicht beobachtet wurde. Jährlich wird eine Waldfläche von 13 Millionen Hektar vernichtet - das entspricht einer Fläche von der Größe Griechenlands. Auch in Deutschland ist es um die heimische Natur nicht gut bestellt: 72 Prozent aller Lebensräume sind gefährdet oder sogar akut von der Vernichtung bedroht, so die Rote Liste von 2009. Von den einheimischen Tierarten Deutschlands sind 35 Prozent, von den Pflanzenarten 26 Prozent bestandsgefährdet.

Blaustern, Lerchensporn, Blauschwingel, Goldaster, Karthäusernelke, Hirschzungenfarn und mindestens zehn verschiedene Orchideenarten sind nur einige Raritäten, die zwischen Siebengebirge und Kottenforst zu finden sind.

Eine weitere Besonderheit des Siebengebirges sind die unterschiedlichen Lebensräume der Pflanzen. Die alten Buchenwälder, die Felsvegetation zwischen Rabenlay und Drachenfels, die Schluchtwälder im Herzen des Siebengebirges und die Wärme liebenden Traubeneichenwälder sind die Aushängeschilder in Sachen Artenvielfalt.

"Dieser Artenreichtum auf einer so kleinen Fläche ist einzigartig. Damit nimmt das Siebengebirge eine ganz besondere Stellung in Deutschland ein. Es ist sozusagen die Keimzelle unserer Naturschutz-Aktivitäten", sagt der Professor.

Schumacher bedauert deshalb auch, dass im Siebengebirge kein Nationalpark eingerichtet wurde. "Klar, es gab auch Gründe, die gegen einen Nationalpark gesprochen haben. Aber die Vielfalt an Fauna und Flora im Siebengebirge ist größer als in manch anderem Nationalpark. Dieses Naturschutz-Instrument hätte die landesweite Bedeutung dieser einzigartigen Region noch mehr hervorgehoben", glaubt Schumacher.

GA-DialogDie Vereinten Nationen haben 2010 zum Internationalen Jahr der biologischen Vielfalt erklärt, um das Thema Biodiversität mit seinen vielen Facetten weltweit stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Das Bundesumweltministerium und das Bundesamt für Naturschutz (BfN) rufen deshalb zu bundesweiten Wanderaktionen auf. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) wird am Pfingstsamstag, um 14 Uhr den Startschuss für die Wanderungen auf der Margarethenhöhe in Königswinter geben. Vorher, ab 13.15 Uhr, wird er gemeinsam mit BfN-Präsidentin Beate Jessel Fragen zum Thema Naturschutz und Biodiversität am Dialogmobil des General-Anzeigers beantworten. Die Gesprächsrunde findet vor dem dortigen Naturparkhaus statt.

Aber er sagt auch: "Ohne die Zustimmung der Menschen in dieser Region wäre ein Nationalpark Siebengebirge nie eine Erfolgsgeschichte geworden. Die Bürger müssen dahinterstehen und den Verzicht auf einige Nutzungsformen und einige Naturzellen akzeptieren."

Umso mehr freut es den Wissenschaftler, dass vor wenigen Wochen im Siebengebirge das erste deutsche Wildnisgebiet installiert worden ist. Die Landesregierung und der Verschönerungsverein für das Siebengebirge (VVS) haben Ende April einen Vertrag unterzeichnet, wonach eine zusammenhängende Fläche von fast 530 Hektar aus der Nutzung genommen wird.

Das Wildnisgebiet wird forstlich auf Dauer nicht bewirtschaftet und der natürlichen Dynamik überlassen. "Das ist zwar nicht mit dem Status eines Nationalparks zu vergleichen, kommt aber der Schutzbedürftigkeit dieser einzigartigen Naturzelle schon sehr entgegen.

Der teilweise 120 Jahre alte Buchenwald kann sich in Ruhe weiterentwickeln und für Insekten und andere Kleinstlebewesen überlebenswichtiges Totholz bilden", erklärt Schumacher. Wie wichtig es sei, diesen Lebensraum für die kommenden Generationen zu bewahren, beweise eine Zahl: "Allein im Siebengebirge haben wir bei unserer Bestandsaufnahme mehr als 750 verschiedene Farn- und Blütenpflanzen gefunden - eine beeindruckende Anzahl für ein von der Größe her so überschaubares Gebiet", sagte der Professor.

Dass das Bundesumweltministerium sich für das Siebengebirge als Auftakt-Region für eine vierwöchige bundesweite Wanderaktion entschieden hat, freut den Naturschutz-Experten aus der Eifel: "Das hat das Siebengebirge verdient. Auch dass Minister Norbert Röttgen am 22. Mai zum Internationalen Tag der Biodiversität an der Auftaktveranstaltung teilnimmt, rückt die Bedeutung des Siebengebirges ins rechte Licht."

VeranstaltungenAm Samstag lädt der Verschönerungsverein für das Siebengebirge zu einem Markt der biologischen Vielfalt rund um das Naturparkhaus auf der Margarthenhöhe ein. Von dort starten um 14 Uhr vier Themenwanderungen: Arzneischätze des Siebengebirges, Was blüht mir da?, Wildnisgebiet Nonnenstromberg und Aus Feld und Wald zur Wildnis. Am Ziepchensplatz in Rhöndorf startet die Wanderung "Auf den Spuren der Zahnwurz", und am Parkplatz Weilberg nahe Heisterbacherrott startet die Wanderung "Klimagrenze Siebengebirge". Auch diese Touren starten um 14 Uhr.

Die Botanischen Gärten der Uni Bonn begehen diesen Tag mit einem "Markt der Möglichkeiten". Mehr als 40 Organisationen werden sich von 10 bis 18 Uhr mit ihren Prodikten in den Gärten in Poppelsdorf, Meckenheimer Allee 171, präsentieren.

Diese und ähnliche Aktionen gelte es zu unterstützen, "weil man Menschen nur dann für die Natur gewinnen kann, wenn sie die natürlichen Abläufe verstehen. Man kann nur schützen, was man kennt".

Deshalb sind die Aktionen und Bemühungen der Biologischen Station Bonn nach Ansicht des Professors auch so wichtig. "Die Mitarbeiter kümmern sich vorbildlich um alte Streuobstwiesen, kleine Naturzellen und andere Ökosysteme."

Aber auch bei der Bewusstseinsbildung in Sachen Naturschutz würden Christian Chmela und Monika Hachtel von der Biologischen Station sehr wertvolle Arbeit leisten: "Die Bildungsangebote dieser Einrichtung sind sehr gut und werden erfreulicherweise auch gerne genutzt. Biologische Stationen gibt es nur in Nordrhein-Westfalen. Ihren Fortbestand zu sichern, ist eine wichtige Aufgabe des Landesumweltministers", so Schumacher.

Gefragt nach seinem Lieblingsplatz im Siebengebirge, gerät der Geobotaniker kurz ins Grübeln und sagt dann aber doch mit Überzeugung: "Die westliche Flanke entlang des Rheins hat wunderschöne Naturplätze zu bieten. Die Felswände zwischen der Rabenlay in Oberkassel und der Domlay in Rhöndorf strahlen für mich persönlich einen ganz besonderen Charme aus. Dort halte ich mich gerne auf, beobachte wärmeliebende Eidechsen, Schmetterlinge und andere Insekten. Aber auch die Felsvegetation begeistert mich."

Den schönsten Blick auf die Buchenwälder hat man laut Schumacher von der Bergstation der Drachenfelsbahn: "Von dort aus muss man den Blick nach Süden und Südosten schweifen lassen.

Dann weiß man, warum das Siebengebirge in der Gunst der Wissenschaftler und der erholungssuchenden Menschen so hoch steht." Übrigens: Der Anteil der Buchen am gesamten Siebengebirgswald macht mehr als 70 Prozent aus.

Zur PersonWolfgang Schumacher wurde 1944 in Mechernich in der Eifel geboren. Von 1967 bis 1973 war er Volksschullehrer in Marmagen. Danach wechselte er zur Pädagogischen Hochschule in Bonn, promovierte im Fach Biologie. Nach seiner Habilitation bewarb er sich 1984 bei der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn für den Lehrstuhl für Geobotanik und Naturschutz. Vor zwei Monaten wurde er in den Ruhestand verabschiedet. Schumacher ist verheiratet, hat zwei Söhne, drei Enkel und lebt in Mechernich-Antweiler.

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