Hermann Neusser Sein Credo: Unabhängigkeit, Qualität, soziale Verantwortung

BONN · Hermann Neusser ist tot. Der General-Anzeiger trauert um seinen langjährigen Verleger und Herausgeber Hermann Neusser, der am 10. Mai im Alter von 84 Jahren gestorben ist.

Wir sind dankbar, dass er so lange das Unternehmen geführt und dem General-Anzeiger trotz aller Stürme und der tief einschneidenden politischen und technischen Veränderungen des vergangenen Jahrhunderts ein sicheres und solides Fundament gegeben hat, das die publizistische Unabhängigkeit und Qualität der Zeitung sichert. Hermann Neusser hat die Revolution des Zeitungswesens, den Abschied vom Gutenberg-Zeitalter und den Weg zu neuen Medien, aktiv mitbestimmt. Aber er hielt stets daran fest, dass die Zeitung auch in der Internet-Ära Zukunft hat. Hermann Neusser war für uns Vorbild und Vaterfigur, ein Herr. Er drängte sich nie ins Rampenlicht. Er verkörperte die Tugend der Zurückhaltung.

Es war ein erfülltes Leben und ein Lebenswerk, dessen er sich selbst nie rühmte. Es war von der Kriegsgeschichte des 20. Jahrhunderts geprägt, noch mehr vom Wiederaufbau und der Einwurzelung der parlamentarischen Demokratie in seiner geliebten Heimatstadt Bonn, die seit 1949 zum Synonym für die glücklichste Epoche der deutschen Geschichte wurde.

Bei Hermann Neusser sind Familien- und Firmengeschichte eng verwoben. Wie seine Vorfahren und sein ältester Sohn wurde er bewusst auf den Namen Hermann in der altkatholischen Kirche getauft, der er später im Kirchenvorstand diente. Hermann Neusser III. - das ist wie bürgerlicher Adel in einer städtischen Gesellschaft, was nichts an seiner vorbildlichen Bescheidenheit änderte.

Als er am 15. August 1917 in der Hohenzollernstraße 28 geboren wurde, stand auf der Seite 1 des General-Anzeigers "Vor neuen Entscheidungen". Eine Schlagzeile, die sich im Nachhinein wie ein Motto zu seinem Leben und Werk liest. Nach dem Abitur am Städtischen Gymnasium wurde er zum Arbeitsdienst nach Rheinbach einberufen. Nach dem frühen Tod seines Vaters Hermann Neusser II. (1879-1937) stand er plötzlich an der Spitze des Unternehmens.

Im November 1938 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Er war Soldat von der ersten bis zur letzten Stunde des Zweiten Weltkrieges. Zuerst im Westen und ab 1941 in Russland. Am 26. Februar 1945 wurde er in Ostpreußen verwundet. Es begann eine Odyssee: Mit dem Bergungsschiff von Pillau nach Stralsund, mit einem Lazarettzug nach Kippsdorf im Erzgebirge, danach ins Lazarett Garmisch-Partenkirchen. Am 19. Juni für einige Tage in amerikanische Gefangenschaft. Am 26. Juni 1945 kam er nach einer zweitägigen Fahrt auf einem offenen Lkw in Bonn an.

Wegen seines Kriegseinsatzes wurde der General-Anzeiger damals von seinem 1982 verstorbenen Schwager Otto Weidert geführt. Diese Zusammenarbeit nannte Hermann Neusser einmal einen "Glücksfall". Das Zeitungshaus an der Bahnhofstraße war am 18. Oktober 1944 beim großen Bombenangriff auf Bonn zerstört worden.

Die Alliierten hatten dem General-Anzeiger nach dem Zweiten Weltkrieg keine Lizenz erteilt. Zum Glück hatte Weidert 1942 eine kleine Druckerei im Florentiusgraben erworben. Damit konnte das Unternehmen wenigstens als Druckerei sofort nach dem Krieg wieder arbeiten. Ab 1. Oktober 1949 erschien der alte General-Anzeiger-Kopf zum ersten Mal wieder. Die Startauflage von 7 000 stieg innerhalb von zwei Jahren auf 30 000. Heute beträgt sie ein Vielfaches davon. Hermann Neusser sagte einmal über jene Aufbauzeit: "Das Wiedererscheinen war hauptsächlich möglich durch den selbstlosen und sehr engagierten Einsatz des ganzen Betriebes, der Techniker, Handsetzer, Maschinensetzer, Drucker und besonders der Redaktion unter der Leitung von Edmund Els. Dafür bin ich bis heute dankbar."

Hermann Neusser und Otto Weidert gelang es, das Unternehmen für den technischen Fortschritt zu öffnen. Im Jahr 1972 zog das Verlagshaus mit Druckerei von der Wesselstraße in der Innenstadt, wo heute noch eine Geschäftsstelle arbeitet, ins Industriegebiet von Dransdorf. 1992 wurde - auch als positives Zeichen für den ungebrochenen Glauben Neussers an die Zukunft der Stadt Bonn - trotz des Umzugsbeschlusses des Bundestages ein neues Druckzentrum gebaut.

Hermann Neusser erlebte und gestaltete den Wandel vom Zeitungs- zum Medienunternehmen mit. "Online ist für mich kein Fremdwort mehr", sagte er einmal lächelnd. Technisch interessiert war er schon als Kind.

Von seiner Lebensleistung ist seine Frau Franziska, geborene Crome, von ihm "Fränze" genannt, und ihr soziales Engagement nicht wegzudenken. Mit ihr war er seit dem 26. November 1949 verheiratet. Für die Familie Neusser gilt der Satz, ohne dass sie ihn selbst je herausstellt: Eigentum verpflichtet. Auch die Hilfsaktion "Weihnachtslicht" ist für das Streben nach sozialem Ausgleich ein sichtbarer Ausdruck. Sie war Hermann Neussers Herzenssache.

Wie er als Kind schon seinen Vater in der Zeitung besuchte, führte er seine drei Kinder an die Zeitung heran. "Aber nicht unter Zwang. Es waren jeweils immer nur Entscheidungen, die sie selbst getroffen haben." Ein für den zugleich liberalen und konservativen Mann bezeichnender Satz. Neusser führte nicht aus der Ferne. Er gab das gute Beispiel. Noch bis ins hohe Alter kam er täglich zur Arbeit - ohne Chauffeur und in kleinem Dienstwagen.

Seine Söhne Hermann, geboren 1951, und Martin, geboren 1953, und seine Tochter Bettina, geboren 1958, arbeiteten nach diesem Vorbild schon in jungen Jahren mit. Viel zu früh starb sein Sohn Martin am 1. September 2000. Nun trägt Hermann Neusser IV. die Verantwortung. Anders als mancher Politiker hat sein Vater das Haus rechtzeitig bestellt.

Wie wir über Hermann Neusser sprachen - auch das charakterisiert ihn. Gerade die Älteren nannten ihn respekt- und liebevoll "Papa Neusser", manche auch "Vater Neusser". Für den Verlagsleiter war er stets "der Senior".

Für alle war er ein Gegenbild zur angeblich "vaterlosen Gesellschaft" oder zum modischen Machotum. Wenn man an ihn denkt, kommen einem Begriffe wie Herzensbildung und Dankbarkeit in den Sinn oder Schillers "Anmut und Würde". Niemals Drängelei in den Vordergrund. Freude am Sport und der Natur in den bayerischen Bergen, an den kleinen Genüssen des Lebens, am Fahrrad fahren, längst bevor es die Grünen in Mode brachten. Er spielte nie eine Rolle, er war stets er selbst.

Hermann Neusser machte Zeit seines Lebens wenig Worte. Darunter aber sind einige, die über den Tag hinaus weisen und uns für die Zukunft verpflichten. So schrieb er nach seinem 80. Geburtstag in das Goldene Buch der Stadt Bonn: "80 Jahre in Bonn, 50 Jahre Demokratie und Freiheit erlebt. Als überzeugter Bonner Bürger wünsche ich der Stadt und ihren Bewohnern eine friedliche und glückliche Zukunft. In Dankbarkeit." Auch solche Sätze bleiben: "Nur das anstreben, was erreichbar ist." "Wir Bonner müssen uns vor allem selbst anstrengen, damit wir in Zukunft bestehen."

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