Zum Muttertag "Sie ist immer für mich da"

BONN · Seit 1990 bittet die Bonnerin Dorothee Hölscher jedes Jahr einmal Zehnjährige in Ost- und Westdeutschland, ihr zu einem bestimmten Thema spontan einen kleinen Brief zu schreiben. Das Thema in diesem Jahr passt zum morgigen Sonntag perfekt: "Mutti ist die Allerbeste".

 Die Kindergedankensammlerin Dorothee Hölscher. Repro: ga

Die Kindergedankensammlerin Dorothee Hölscher. Repro: ga

"Jeden Tag, wenn ich nach Hause komme, freue ich mich auf meine Mutter", schreibt Anna-Lena. Dazu gibt's Herzchen aufs Papier, 14 an der Zahl. Anna-Lena besucht die Gemeinschaftsgrundschule Brüser Berg. Und sie ist ganz offensichtlich mit ihrer Mutter ziemlich zufrieden. Die Zehnjährige ist eine von zahlreichen Schülern in Ost- und Westdeutschland, die in diesem Jahr von Dorothee Hölscher Besuch erhielten. Vor gut 20 Jahren hat die mittlerweile pensionierte Lehrerin die Ost-West-Schülerinitiative gegründet. Und seitdem sammelt sie Kinderwünsche, Kindergedanken, Kindererlebnisse auf Papier.

"Nach dem Mauerfall", sagt Hölscher, "wollte ich einfach wissen, was die Kinder im Osten im Vergleich zu den Kindern im Westen so beschäftigt." Also ging sie hin - als erstes in eine Schule in Sachsen-Anhalt, wo sie das Hauptthema ihrer Schülerinitiative mit Einwilligung eines überraschten, aber wohlwollenden Ost-Schulleiters vor nicht minder überraschten, aber begeisterten Viertklässlern platzierte: "Mein Leben in 20 Jahren ...".

Zukunft. Politik. Heißeste Wünsche. Familie. Egal, welches Thema Hölscher in den Folgejahren an deutschen Grundschulen anbrachte, immer griffen die Kinder spontan zu Papier und Stift und schrieben nieder, was ihnen gerade dazu einfiel. Völlig unredigiert landeten die Briefe dann regelmäßig in einem Buch, das Hölscher zugunsten von Unicef zum Verkauf anbot. Bundespräsidenten und Bundeskanzler wurden auf das Engagement der Lehrerin aufmerksam, erhielten, studierten die Kinderbriefe und schrieben ihrerseits über Hölscher warme Worte an die Schüler. Mittlerweile besitzt die 72-Jährige eine einmalige, in Menge wie Inhalt hochspannende Aufsatzsammlung.

"Sämtliche Kinderbriefe", sagt sie, "sind ganz spontan entstanden. Ich gehe in den Klassenraum, stelle mich und mein Anliegen den Kindern vor, dann verteile ich an alle, die mitmachen wollen, Papier und sammle die Gedanken der Kinder ein." Und sind sie unterschiedlich, die Kindergedanken in Ost und West? Sind sie anders, die Kinderwünsche von 1990 und 2012? "Ja", sagt Hölscher, "in Bezug auf veränderte Dinge in der Umwelt der Kinder. Aber Kinder sind einfach, egal ob aus Bayern oder Sachsen, Bad Neuenahr oder Berlin. Am Ende bewegt sie dasselbe."

Sehr, sehr liebevoll sind die Briefe, die Hölscher zu ihrem Mutterthema erhielt. Und durchaus interessant. "Mutti" ist zum Beispiel "die Allerbeste", weil sie "immer für mich da" ist. Aber auch, weil sie " mir etwas Tolles in Bratpfanne und Topf" kocht. Oder weil sie "mir Spiele" kauft, "die ich mir auch wünsche" - schon klar, das ist ein legitimer Ansatz zur Freude .

Mehr als 80 Briefe hat Hölscher zu dem Thema "Mutti ist die Allerbeste" erhalten. Und auch nach 22 Jahren noch spürt man tiefe Berührung, wenn sie von ihren Schülererlebnissen erzählt: "Ich finde es toll, dass die Kinder sich so frei äußern, dass sie so einfach heraus lassen, was sie bewegt." Ob aus den 2012er Briefen zu "Mutti" ein Buch wird, weiß Dorothee Hölscher noch nicht. Weg kommen die gesammelten Briefe aber nicht, sie werden liebevoll aufbewahrt.

Anfragen von Archiven, die Sammlung zu übernehmen, hat sie immer wieder. Ein kleiner Teil der Kinderbriefe ist bereits im Besitz des Bonner Hauses der Geschichte. Weil es Zeitgeschichte ist - von Kindern geschrieben.

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