Bilanz des Weißen Rings in Bonn 18 Opfer riefen wegen Stalking an

BONN · 200 Opfer von Straftaten suchten seit Januar Hilfe beim Weißen Ring in Bonn. In 18 Fällen ging es um Stalking.

 Alexander Poretschkin, Vorsitzender des Weißen Rings, berät Ratsuchende auch telefonisch...

Alexander Poretschkin, Vorsitzender des Weißen Rings, berät Ratsuchende auch telefonisch...

Foto: Roland Kohls

In der Leitung war wieder der ältere Kollege, der die junge Frau seit Längerem unablässig bombardiert: mit Anrufen, Mails, SMS und weiteren Annäherungsversuchen. „Er müsste sich um sie kümmern, sie brauche doch bestimmt seine Hilfe: So hat er sich der jungen Frau dauernd aufgedrängt“, berichtet Alexander Poretschkin über einen der im vergangenen halben Jahr 18 Stalkingfälle in Bonn und Umgebung.

Der neue örtliche Leiter der Opferschutzorganisation Weißer Ring weiß, wie verzweifelt Stalking-Opfer wie die junge Frau versuchen, aus dem Bannkreis des aggressiven Mitbürgers zu flüchten. „Sie hatte einen großen Fehler gemacht: Sie hat nach dem ersten Nein auch weiter versucht, ihn zu überzeugen, sie in Ruhe zu lassen“, erläutert Poretschkin. Zum Schluss sei die junge Frau mit den Nerven am Ende gewesen: Der Kollege habe ihr immer intensiver nachgestellt. Da habe sie sich endlich Hilfe von außen geholt. Im Beratungsgespräch mit dem Weißen Ring ergab sich die Lösung: Der Kollege bekam von der Firma ein Disziplinarverfahren und wurde weit weg versetzt.

Nicht jeder Fall gehe so relativ glatt aus, berichtet Poretschkin, ein langjähriger Richter, der vor seiner Pensionierung noch als Rechtsberater im Ministerium auf der Hardthöhe arbeitete. 200 Bürger aus Bonn und Umgebung hätten sich im ersten Halbjahr 2016 als Opfer von Straftaten hilfesuchend an den Weißen Ring gewandt, weist die Statistik aus. Darunter waren 53 Fälle von häuslicher Gewalt und anderen Körperverletzungen, 15 Fälle von Vergewaltigungen und 25 Fälle von sonstigen Sexualstraftaten, aber auch elf Fälle von vollendeten oder versuchten Tötungsdelikten. Die 18 Fälle von Stalking lagen gleichauf mit der Zahl von Diebstählen einschließlich Raub und Einbruch. „Den meisten konnte von unseren kompetenten Mitarbeitern geholfen werden“, erläutert Alexander Poretschkin. Wie die weiteren 18 Kollegen von der Jurastudentin bis zum Pensionär arbeitet auch er nach einer besonderen Qualifikation rein ehrenamtlich.

„Opfer von Kriminalität kann jeder werden, jederzeit. Dennoch trifft es die Opfer unerwartet, und nicht selten machen sie sich auch noch unberechtigt Vorwürfe“, so Poretschkin. Es liege aber in der Natur der Sache, dass man für ungewöhnliche Situationen keine Verhaltensmuster habe. „Auch das müssen wir verunsicherten Opfern erklären. Im Vordergrund steht daher für die Mitarbeiter zunächst der menschliche Beistand.“ Hinzu kämen Begleitungen zu Terminen bei den Strafverfolgungsbehörden, die Vermittlung von Opferanwälten und auch schon einmal finanzielle Hilfe. Aber Schadensersatz könne der Weiße Ring nicht leisten, das übersteige die finanziellen Möglichkeiten. „Bei der Betreuung gibt es kein Schema F, sondern das individuelle Opfer steht mit seinen Nöten und Sorgen im Mittelpunkt“, sagt Poretschkin.

Und wer sind beim Stalking die Täter, wer die Opfer? „Überwiegend Männer stalken Frauen, meist sind es Ex-Partner, meist sind es also Beziehungsgeschichten“, weiß der Vertreter des Weißen Rings. Man rate den Bedrohten zum einen, nicht auf die Aggression zu reagieren, stattdessen ein stichwortartiges Tagebuch zu führen, um Beweise zu haben. Eskaliere die Situation, helfe die Polizei, nach dem Gewaltschutzgesetz ein vorübergehendes Annäherungsverbot auf 20 Meter auszustellen. Das könne dann das Amtsgericht verlängern. „Wir beraten gerne. Auch Stalkingopfer sollen wissen: Sie sind nicht alleine“, sagt Poretschkin.

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