Die Millionenfalle, Teil XXXII Adam Riese im Labyrinth der Baukasse

BONN · Der Nebel legt sich nicht. Die Großwetterlage beim World Conference Center Bonn (WCCB) ist stabil. Ein mächtiges Dauertief kreist seit mehr als sechs Monaten um die simple Frage: Wie viel Geld lag in der Baukasse? Wer nachfragt, erntet Schweigen, Teilantworten, Gegenfragen oder Achselzucken, aber keine Zahl ohne Zweifel.

 Fata Morgana: In einer Fassade des unfertigen WCCB spiegelt sich die Außenhaut des alten Bundestags. Einem Spiegellabyrinth gleicht zurzeit auch die Baukasse des WCCB.

Fata Morgana: In einer Fassade des unfertigen WCCB spiegelt sich die Außenhaut des alten Bundestags. Einem Spiegellabyrinth gleicht zurzeit auch die Baukasse des WCCB.

Foto: Volker Lannert

Solange die einfachste aller Fragen aber im Nebel liegt, verliert sich auch vieles andere im Vagen. Einige Nebelschwaden vertreiben erste Berichte von Insolvenzverwalter Christopher Seagon.

Etwa über die Buchhaltungsqualität in den drei insolventen GmbHs: Bei der Baufirma (SMI Hyundai Europe) und Betreibergesellschaft (WCCB Management GmbH) befand er alles als "ordnungsgemäß", beim Bauherrn (UN Congress Center GmbH), wo alle Millionen ein- und abgingen, ist hingegen (siehe Kasten "Offene Fragen") wenig bis nichts nachvollziehbar.

Die Baukassen-Frage bleibt bedeutend, schließlich lässt sich aus einer Antwort die Dimension von Untreue und Betrug ableiten. Sie ähnelt der Konstellation vor und nach dem Überfall auf ein Juweliergeschäft: Der Inhaber berichtet, was fehlt.

Die Polizei notiert, was der Juwelier über den Wert des gestohlenen Schmucks angibt. Die Versicherung soll zahlen, ist aber aus Prinzip skeptisch, denn es gab Fälle, da sah ein Juwelier den Überfall als Chance - und meldete mehr gestohlene Perlen und Brillanten als im Tresor lagen. Der Juwelier-Überfall hat mit der aktuellen WCCB-Situation insofern etwas gemein, als dass sich Gemenge- und Motivlagen - vorher, nachher - ändern können.

Beim WCCB fällt auf, dass bis heute niemand den rätselhaften Schwund der Millionen aufgeklärt hat. Insolvenzverwalter Seagon hat gesetzlich andere Aufgaben, die Stadt Bonn weiß es nicht genau, die Sparkasse KölnBonn als größter Kreditgeber kennt nur ihre Forderungen. Letzter Hoffnungsträger für den Steuerzahler: die Staatsanwaltschaft.

Nicht ganz: Offenbar entwickelt jetzt auch Seagon Ehrgeiz. Es gebe bisher keine belastbaren Hinweise darauf, "dass substanziell Abrechnungen gefälscht wurden". Aber die Korruption im Baugewerbe ist ein subtiles Feld.

Eine Art Evolutionsdruck, entstanden durch wachsame Fahnder und Anti-Korruptionsprogramme, hat die Tricks raffinierter werden lassen. Und so traut auch Seagon bei der WCCB-Baufirma dem Braten nicht: "Für die SMI Hyundai Europe wurde ein Forensiker beauftragt, der Hinweisen nachgeht und Unregelmäßigkeiten sucht."

Eigentlich gibt es für die Baukasse eine übersichtliche Gleichung: NRW-Fördermittel plus Kredit plus Eigenkapital. Eigentlich. Doch diese Gleichung ist längst zu einem Labyrinth entartet (siehe Grafik: Offene Fragen). Baukasse und Transparenz verhalten sich wie Tageslicht und nachtaktive Tiere.

Nun kann man sich der Antwort auch "von hinten" nähern. Seagon hat nach eigenen Angaben ( siehe Millionenfalle XXVII) einen "Leistungsfeststellungsbericht" erstellen lassen. Ein vereidigter Sachverständiger ermittelte den Wert des WCCB-Baus. Ergebnis: Was da steht, hat rund 136 Millionen Euro gekostet.

Da rund sieben Millionen Handwerker-Rechnungen unbezahlt sind, waren demnach mindestens 129 Millionen in der Baukasse. Folgt man städtischen Verlautbarungen, Verträgen und sonstigen Papieren, enthielt sie nach Adam Riese einst rund 40 Millionen mehr. Wo sind die hin?

Unterdessen äußern sich Insolvenzverwalter und Stadtspitze vor allem zur Zukunft. Denn der Bau muss fertig werden und Erlöse einspielen. Der Preis dafür? 74 Millionen netto bis zur Schlüsselübergabe, haben Seagons Experten ausgerechnet. Das sind Bonner Festspielhaus-Dimensionen. So viel sollte das ganze WCCB mit 180-Betten-Hotel einmal (2005) komplett kosten.

Doch nun rächt sich der Baustopp. Der All-inclusive-Preis berücksichtigt aufgelaufene Stillstandskosten, ausstehende Gläubiger-Forderungen, bereits beauftragte Nachträge, das Wiederhochfahren der Baustelle und vieles mehr. Allein die Baustillstandskosten erreichen einen siebenstelligen Betrag pro Monat.

Seagons Zahlenwerk ist eine Annäherung. Mehr nicht. Er muss an einem möglichst hohen Substanzwert interessiert sein. Das puscht seine Verhandlungsposition gegenüber der Stadt Bonn. Will die irgendwann den Heimfall realisieren, muss sie Seagon eine Summe X als "Heimfallvergütung" bieten.

Gleichwohl regelt der Projektvertrag, dass nicht der Substanz-, sondern der geringere Ertragswert Maßstab sei. In jedem Fall geht es um Millionen und wohl kaum ohne Streit. Denn Seagon kann, muss aber nicht mit der Stadt den Heimfall betreiben. Er muss die beste Lösung für die Gläubiger finden.

Die Stadt bezweifelt Seagons Zahlen öffentlich nicht. Möglicherweise gefallen sie ihr sogar. Ob 129 oder 136 Millionen Euro - immerhin. Nach einem Heimfall, der Rückübertragung des Grundstücks samt Aufbauten, könnte der Kämmerer den Substanzwert in seine Bücher übernehmen.

Das würde nach den neuen Haushaltsregeln neue Luft für neue Schulden bedeuten und das Risiko senken, im Nothaushalt zu landen. Ein hoher Wert des Gebauten könnte auch weniger Stress an der Veruntreuungsfront bedeuten - und allem, was damit zusammenhängt. Seagon ist "zukunftsorientiert", und Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch sagt: "Wir sind auf einem guten Weg." Zurück zur Baukasse:

  • Bund und Land: Am Anfang war das Grundstück. Der Bund spendierte es für das WCCB. Ebenfalls unstrittig: NRW zahlte bisher 25 Millionen Euro. Den Rest (siehe Grafik) überweist das Land erst nach Fertigstellung.
  • Baukredit: 74,3 Millionen Euro. Sparkasse zahlt an UNCC, Stadt bürgt. Auch das ist sicher. Zwischensumme: 99,3 Millionen.
  • Eigenkapital: "Investor" Man-Ki Kim war möglicherweise ein Null-Euro-Mann. Vermutlich bereits das erste Viertel des geforderten Eigenkapitals, zehn Millionen Euro, lieh er sich auf abenteuerliche Weise bei Arazim Ltd. (Zypern). Die restlichen 30 Millionen bekam er von der Sparkasse vorfinanziert. Zwischensumme Baukasse: 139,3 Millionen. Dieser Betrag entspricht auch dem Ratsbeschluss vom 14. Dezember 2005. Davon waren "reine Baukosten" sogar nur 100 Millionen. Im Budget ruhten also Reserven für "Unvorhergesehenes" und sogenannte Pre-Opening-Kosten. Trotzdem hat es, wie die Baustelle am Rhein jedem Spaziergänger zeigt, nicht gereicht.
  • Aufbruch ins Labyrinth: Kims chronische Krankheit, das fehlende Eigenkapital, begleitet das Projekt bis heute. Kim hält sich 2008 nicht an die mit der Sparkasse vereinbarten Rückzahlungsfristen. Er schreibt bereits am 14. Januar 2008 einen mit Demutsgesten gespickten Brief an den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Sparkasse, Dietmar Binkowska - und erklärt, warum er die Fristen nicht einhalten kann. Im Hintergrund strickt er kreative Lösungen, verpfändet und verkauft UNCC-Anteile. Letztlich verheddert er sich und das gesamte WCCB-Projekt gleich mit.

Im Frühjahr 2009 schuldet Kim der Sparkasse aus dem Eigenkapital-Kredit immer noch 12 Millionen plus 2,3 Millionen Zinsen. Sie spielen nach GA-Informationen eine Schlüsselrolle. Die Ermittlungen wegen des Verdachts der Untreue gegen einige städtische Amtsträger könnten auch um diesen Punkt kreisen.

Als der Baustelle im Sommer 2009 das Geld ausgeht, drohen Kim, Hong & Co. mit der Baustopp-Fahne, wohl wissend, dass sie damit für die Stadt ein rotes Tuch hissen. Hinter den Kulissen entwickeln sich hektische Aktivitäten. Die Stadtspitze möchte den Kredit um weitere 30 Millionen aufstocken, im Gegenzug verspricht Kim weitere 30 Millionen durch den von ihm ins Spiel gebrachten Investor Honua. Es bleibt ein Versprechen.

Die Sparkasse KölnBonn reagiert mürrisch. Es geht ihr nicht gut. Auch weil manche politische Kuscheltour in Köln ihr die Bilanz verhagelt hat. Die Bankenaufsicht geht ein und aus. Alle Spielräume für Deals mit "zugedrückten Augen" haben sich verflüchtigt. Das macht es nicht einfacher, aber redlicher und zwingt Politiker in wirtschaftliche Realitäten. Die Sparkasse gehört inzwischen den Kommunen Köln und Bonn.

Die kleine, gut betuchte Sparkasse Bonn und die geschwächte, große Sparkasse Köln hatten fusioniert und der kleine Partner den großen gerettet. Nun fordern Bonns Politiker unbürokratische Hilfe. Doch sie kommen zu spät. Kungeln war gestern.

Die Sparkasse verhält sich ihrem Teil-Eigentümer gegenüber wie eine normale Bank; sie verweist auf Kims Schulden. Bedingung: Nur wenn die Stadt diese übernähme, würde der Baukredit aufgestockt. So erklärt es auch ein Sachstandsberichts der Stadt im September 2009. Doch bald ist der Bericht von der Homepage "www.bonn.de" verschwunden.

Zurück zur Baukasse: Wie viel war drin? Wie viel ist vom 2. Kredit tatsächlich Baugeld gewesen? 30 Millionen? Oder nur 15,7 Millionen? Oder vielleicht gar nichts? Auch für die Null-Variante existieren nach GA-Informationen Indizien, denn zufällig ergeben eine Vielzahl von Forderungen Dritter gegen Kim/UNCC im Sommer 2009 genau die Summe von etwa 15,7 Millionen.

Die Baukasse bleibt ein heißes Eisen. Auch rund 180 Tage nach den ersten SOS-Rauchzeichen von der Baustelle.

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