Reizthema: Bonner Umweltzone Ärger liegt in der Luft

Bonn · Die Sozialliberale Fraktion beantragt die Abschaffung. Gleichzeitig klagt die Umwelthilfe mehr Beschränkungen ein.

 Tausende Daten haben Verkehrsexperten des Fraunhofer-Instituts ausgewertet. Das Ergebnis: Ein Effekt der Umweltzonen bei der Feinstaubbelastung ist wissenschaftlich praktisch nicht nachweisbar.

Tausende Daten haben Verkehrsexperten des Fraunhofer-Instituts ausgewertet. Das Ergebnis: Ein Effekt der Umweltzonen bei der Feinstaubbelastung ist wissenschaftlich praktisch nicht nachweisbar.

Foto: Benjamin Westhoff

Der politische Streit über notwendige Schritte zur Verbesserung der keineswegs überall hinnehmbaren Bonner Luftqualität vor allem an den großen Zufahrtsstraßen wird zum Glaubenskrieg unter Experten. In einem Antrag für die Januarsitzung des Umweltausschusses – sowie im Verkehrsausschuss fordert die neue Sozialliberale Fraktion die Abschaffung der Umweltzonen auf Bonner Stadtgebiet. Diese bewirkten keine Verbesserung der Luftsituation. „Daher macht es keinen Sinn, daran festzuhalten“, heißt es in dem Antrag von Felix Kopinski, Sebastian Kelm und Carsten Euwens.

Die drei Ratsherren berufen sich dabei auf eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme (IVI). Schon 2011 hatte die Forschungseinrichtung mit Sitz in Dresden in einer Studie für die Industrie- und Handelskammer Ulm anhand der dortigen Situation den Sinn der Umweltzonen generell in Zweifel gezogen. „Unsere Ergebnisse waren damals politisch nicht gewollt – und sind es bis heute nicht“, sagt IVI-Verkehrsforscherin Elke Sähn auf Anfrage des GA. Ein nennenswerter Effekt der Umweltzonen bei der Feinstaubbelastung durch Dieselfahrzeuge sei wissenschaftlich praktisch nicht nachweisbar.

„Durch das Einrichten einer Umweltzone verbessert sich die Wahrscheinlichkeit der Einhaltung des Kurzzeitgrenzwertes in Abhängigkeit der meteorologischen Einflüsse um 0.1 beziehungsweise 2.5 Prozent“, resümieren die Wissenschaftler in ihrer Studie. Starke Regenfälle könnten die Staubmenge in der Luft um 20 Prozent senken, Sonnenschein mit entsprechend trockener Luft könne hingegen zur Überschreitung der Grenzwerte führen. „Ich habe Tausende Daten dazu ausgewertet. Das ist keine Meinung, sondern Fakt“, sagt Sähn.

Verkehrsforscherin werteteTausende Daten für Studie aus

Auch langfristig sei kein nennenswerter Effekt zu erwarten, weil die Zahl der ausgesperrten Fahrzeuge mit der Anschaffung neuer Autos sinke und der Verkehr innerhalb der Umweltzone nicht in dem Verhältnis abnehme, wie man Fahrzeuge aussperre. Die Verkehrsexperten kommen zu dem Ergebnis: „Man wird davon ausgehen müssen, dass diese geringe Immissionsminderung in den Variationen der meteorologischen Einflüsse kaum wahrzunehmen sein wird.“ Es gebe sogar einen ungewünschten Nebeneffekt: Eine Verringerung des Feinstaub-Ausstoßes von Dieselfahrzeugen sei derzeit nur mit höheren Abgaswerten beim ebenfalls ungewollten Stickstoffdioxid zu erreichen.

Für die Stadt Bonn kommt die Forderung der Sozialliberalen zu einem ungünstigen Zeitpunkt, zumal die Deutsche Umwelthilfe (DUH) mit einer Klage gegen die Stadt Bonn mehr Maßnahmen gegen die Überschreitung der Abgaswerte fordert. Vorläufig ist hier allerdings nicht mit einem Urteil zu rechnen. Nachdem die Organisation in einem ersten Verfahren gegen die Stadt Düsseldorf im Herbst recht bekam, ist dieses Verfahren wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung jetzt beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.

Bei allen Klagen in anderen Städten, darunter auch in Bonn, sind die Entscheidungen deshalb vorerst ausgesetzt. „Wir rechnen mit einem Urteil wohl erst im Sommer 2017“, sagt Dorothee Saar, Abteilungsleiterin für Verkehr und Luftreinhaltung bei der DUH, dem GA. Auch sie bestätigt den höheren Anteil an Stickoxiden in Umweltzonen mit grüner Plakette. Allerdings wisse man aus Untersuchungen in Berlin und Leipzig, dass die Belastung mit sehr kleinen Rußpartikeln in den Umweltzonen deutlich gesunken sei. Da inzwischen die meisten Fahrzeuge ohnehin über die Euronorm 4 und 5 verfügten und damit in die Umweltzonen einfahren dürften, habe auch eine Aufhebung aktuell keinen Effekt.

Stattdessen fordert die DUH auch in Bonn einen besser zugänglichen öffentlichen Nahverkehr, ein Bürgerticket und eine City-Maut. Die Stadt wolle die klagende Organisation nun zu einem Gespräch einladen, heißt es in einer Stellungnahme der Verwaltung aus dem November. Mit der Verbannung von Lkw aus der Reuterstraße, der Umweltzone und weiteren Maßnahmen habe man bereits vieles erreicht. Für die Einführung einer Mautpflicht auf Landes- und Kommunalstraßen gebe es jedoch keine rechtliche Grundlage. Und für die Aufhebung der Umweltzone sei die Bezirksregierung Köln zuständig. Sollte der Stadtrat dafür votieren, werde man dort um eine Stellungnahme bitten.

Gesundheitsschutz alsentscheidendes Kriterium

Weder für die Aufhebung der Umweltzone, noch für Fahrverbote für Diesel-Pkw oder andere Verkehrsbeschränkungen, die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks ins Spiel gebracht hatte, zeichnet sich derzeit in Bonn eine Ratsmehrheit ab. Die Umweltzonen seien umstritten, sie einfach abzuschaffen, sei aber „überstürzt und das falsche Signal“, erklärt CDU-Fraktionsgeschäftsführer Georg Fenninger. Auch Hendricks' Ideen halte man für „wenig zielführend“, werde ihren Referentenentwurf aber gründlich prüfen.

Der grüne Koalitionspartner wird etwas deutlicher. „Wenn wir es nicht mit anderen Maßnahmen schaffen, die Stickstoffdioxidbelastung in Bonn entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu senken, müssen wir letztendlich ernsthaft eine Differenzierung zwischen Diesel- und Benzinfahrzeugen prüfen“, sagt Fraktionssprecherin Brigitta Poppe. Der Gesundheitsschutz der Menschen sei das entscheidende Kriterium. An der Umweltzone werde man festhalten, „bis die Gesetzgebung konkrete, belastbare und kommunal umsetzbare Instrumente vorgibt“.

Dass etwas passieren muss, hält Verkehrsforscherin Sähn indes für unausweichlich. Vor allem bei Großfahrzeugen wie Baumaschinen, Schiffsantrieben und städtischen Bussen könne eine Nachrüstung von Filteranlagen helfen. Extrem effektiv seien Straßenbegrünung und -beschattung und die Beseitigung von Staus – und der Ausstieg aus der Diesel-Technologie. „Dass die Euro-6-Norm technisch nicht zu halten war, haben wir schon vor Jahren gesagt. Aber das wollten weder die Politik noch die Automobilhersteller hören.“

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