Streit mit Krankenkasse Agentur verweigert Zahlung an gelähmten Bonner

Bonn · Ein gelähmter Bonner braucht auf der Arbeit einen Rollstuhl mit Hubsitz. Die Bundesagentur für Arbeit verweigert die Finanzierung, die Krankenkasse sieht sich nicht in der Pflicht.

 Mit einem Hublift könnte Tobias Rost an seinem Arbeitsplatz auch das oberste Regal erreichen.

Mit einem Hublift könnte Tobias Rost an seinem Arbeitsplatz auch das oberste Regal erreichen.

Foto: Martin Wein

Weil einem schwerbehinderten jungen Bonner ein technisches Hilfsmittel nicht ausschließlich an seinem aktuellen Arbeitsplatz helfen könnte, verweigert die Bundesagentur für Arbeit (BA) die Finanzierung. Die Krankenkasse wiederum sieht sich nicht in der Pflicht, weil das Hilfsmittel vordringlich zur Erledigung der Arbeitsaufgaben eingesetzt werden soll. Im Ergebnis sitzt Tobias Rost ganz ohne Hilfe da, obwohl an deren Sinn niemand ernsthaft zweifelt.

Dass es mit der Inklusion im Alltag schwierig werden könnte, hatte Klaus-Peter Rost schon früher geahnt. Doch der pensionierte Verfassungsjurist, der im Bundeskanzleramt und im Bundesinnenministerium tätig war, ist bei der Versorgung seines Sohnes Tobias mit einem funktionstüchtigen Rollstuhl vorerst gescheitert. Von Geburt an ist der heute 29-Jährige spastisch gelähmt und auf einen elektrischen Rollstuhl angewiesen. Den hat die Techniker Krankenkasse (TK) 2015 auch bezahlt – geeignet allerdings nur für den häuslichen Bereich. Weite Wege sind damit nicht möglich.

Trotz seiner Behinderung hat Rost die Handelsschule in Rhöndorf absolviert und in Neuwied eine Ausbildung zur Bürofachkraft geschafft. Nach langer Suche hat ihn die mlg wohnen gemeinnützige GmbH – Verein Haus am Müllestump im Sommer 2016 als Bürokraft für die Integrierte Stadtteilbibliothek Auerberg angestellt, die sie im Auftrag der Stadt Bonn ansonsten mit behinderten ehrenamtlichen Helfern betreut.

Sitzfläche könne sich heben und senken

Vier bis fünf Stunden ist Rost dort jeden Tag im Einsatz. „Ein toller Ort“, findet Rost. Es gibt eine Behindertentoilette und eine elektrische Eingangstür. „Ich kann aber nur meinen linken Arm benutzen“, sagt der junge Mann, „und aus dem Rolli komme ich an die oberen Regale gar nicht dran.“ Beim Einräumen der Bücher oder bei der Kontrolle der Bestände ist Rost deshalb auf Hilfe angewiesen. Und an seinen Schreibtisch kann er den Rollstuhl auch nicht anpassen.

Er bräuchte einen Hubsitz, der die Sitzfläche auf Knopfdruck hebt und senkt. Und weil der Rollstuhl nur für Zuhause gedacht ist, kommt Rost mit dem langsamen Gefährt auf dem Arbeitsweg kaum über breite Straßen und bei Busausfällen überhaupt nicht nach Hause. Nach monatelangen Probefahrten und dem Einholen von Angeboten hat Klaus-Peter Rost im November einen entsprechenden Antrag bei der Bundesagentur für Arbeit gestellt. Er konnte die Kosten dabei von 22 000 auf 10 500 Euro herunterhandeln. Dazu würde der vorhandene Rolli entsprechend umgerüstet, bevor das Modell aus dem Programm genommen wird. Doch die Behörde lehnte ab. Das Hilfsmittel wirke sich „unmittelbar auf die vorliegende Behinderung aus“, urteilte eine Reha-Beraterin.

Auf GA-Nachfrage präzisiert BA-Sprecher Lars Normann schriftlich, Hilfsmittel könne die Behörde nur bezahlen, wenn der Behinderungsausgleich „nur für einen bestimmten Arbeitsplatz bzw. für eine ganz spezielle Form einer Berufsausübung bzw. Berufsausbildung erforderlich ist“. Da die Hubfunktion auch zu Hause und der Rollstuhl auch auf anderen Wegen als zur Arbeit benutzt werden könne, gebe es kein Geld.

Kasse übernimmt Finanzierung

Zuständig ist aus Sicht der BA Rosts Krankenkasse. Bei der TK indessen sieht man das genau umgekehrt. Pressesprecherin Andrea Hilberath aus Düsseldorf sagt: „Familie Rost hat ja ganz konkret begründet, wozu der neue Rollstuhl in der Bücherei gebraucht wird.“ Da man schon 2015 einen Rollstuhl bezahlt habe, sei ein zweiter nicht drin, so der Bescheid vom 2. Januar, in dem der Fall zurück an die BA verwiesen wird. Die werde den Widerspruch von Familie Rost ihrerseits abschlägig bescheiden, so Normann.

In einer Verwaltungsabsprache aller deutschen Reha-Träger, darunter die BA, die Berufsgenossenschaften und die Krankenkassen, heißt es: Die „Ausübung einer beruflichen Tätigkeit“ gehöre „zu den elementaren Grundbedürfnissen des Menschen“. Wie wenig die Absprache gelebt wird, sieht man im Fall Rost. „Ein Kontakt mit der Krankenkasse (…) im Rahmen der Zuständigkeitsklärung ist nicht vorgesehen“, erklärt Normann. Der Vorwurf, die BA sei an der Integration Behinderter nicht interessiert, sei „in keiner Weise berechtigt“.

„Jetzt könnte ich nur noch klagen – und Tobias müsste mehrere Jahre auf Hilfe warten“, sagt Rost entmutigt. Die TK deutet immerhin Gesprächsbereitschaft an. Hilberath erklärt, man habe ein Amtshilfeersuchen an die BA gestellt. So könne der Rollstuhl vielleicht von der Kasse vorfinanziert werden, „und wir holen uns das Geld dann von der BA zurück“. Aus dem BA heißt es, der entsprechende Antrag sei in Bonn nicht eingegangen. Dem widerspricht die TK vehement. „Wir können dokumentieren, was unser Haus verlässt“, sagt Hilberath. Letztlich übernimmt die Kasse dann kurzerhand doch die Kosten für die Umrüstung. „Wir werden nicht hinnehmen, dass unser Versicherter wegen unterschiedlicher Rechtsauffassungen das Nachsehen hat“, erklärt die Kassen-Sprecherin.

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