175 Jahre Nutzpflanzengarten der Uni Bonn Alte Bonner Obst- und Gemüsesorten könnten in Zukunft wichtig werden

Poppelsdorf · Den Nutzpflanzengarten der Universität in Poppelsdorf gibt es seit 175 Jahren. Seine Genbank bekommt in der Klima- und Energiekrise eine ganz aktuelle Bedeutung.

 Gartendirektor Maximilian Weigend begutachtet mit dem neuen Revierleiter im Nutzpflanzengarten, Felix Dominik, einen der Olivenbäume.

Gartendirektor Maximilian Weigend begutachtet mit dem neuen Revierleiter im Nutzpflanzengarten, Felix Dominik, einen der Olivenbäume.

Foto: Martin Wein

Der „Bonner Advent“ oder die „Schwarze Poppelsdorfer“ könnten in den nächsten Jahren zu ganz neuen Ehren kommen. Maximilian Weigend, Direktor der Botanischen Gärten der Bonner Universität, kann sich das jedenfalls gut vorstellen. „Wir verlassen uns bei unserer Winterversorgung mit Obst und Gemüse ganz auf Südeuropa und auf Gewächshauskulturen in den Niederlanden“, sagt der Botanik-Professor. Beides sei durch lange Transporte und Heizkosten sehr energieintensiv und teuer und durch die zunehmende Dürre im Süden überdies gefährdet.

Da könnte es gut sein, dass alte Kultursorten wieder auf mehr Interesse stoßen. Solche, die wie der Wirsing „Bonner Advent“ noch später im Jahr geerntet werden können beziehungsweise früher reifen. Oder solche, die wie die „Schwarze Poppelsdorfer“ Sojabohne auch auf Feldern im Rheinland pflanzliches Eiweiß liefern könnten, ohne dass dafür in Südamerika Regenwald kahl geschlagen und Schiffsdiesel für den Überseetransport verbrannt wird. Beide hat der Bonner Nutzpflanzengarten in seinen Beständen – als eingefrorene Samen oder auf dem Gelände zwischen Nussallee und Karlrobert-Kreiten-Straße in Kultur. Nirgendwo sonst in Deutschland gibt es mehr Sorten und Varietäten von Nutzpflanzen als hier.

Kulturelles Erbe und Genvarianten für die Zukunft

„Wir schützen damit nicht nur ein wertvolles kulturelles Erbe. Wir erhalten auch Genvarianten für künftige Züchtungen“, sagt Weigend. Und das 2022 schon seit 175 Jahren, wie ein Blick in die Geschichte zeigt: Anfang des 19. Jahrhunderts sind im deutschsprachigen Raum bereits einige landwirtschaftliche Lehranstalten entstanden. Der in preußischen Diensten stehende Arzt Albrecht Thaer hat sich mit Bodenfruchtbarkeit und Pflanzenwuchs beschäftigt. Weil es an Expertise fehlt, regt Thaer landwirtschaftliche Bildungsstätten an. Ein erster Versuch beginnt in Bonn bereits 1819, ein Jahr nach Gründung der Universität. Aber erst in den 1840er-Jahren nimmt die Idee dauerhaft Gestalt an. Am 17. Mai 1847 beginnt auf Anordnung König Friedrich Wilhelms IV. der Unterricht an der „Landwirthschaftlichen höheren Lehranstalt zu Poppelsdorf“.

Das Poppelsdorfer Schlos und der botanische Garten von Südwesten aus gesehen.

Das Poppelsdorfer Schlos und der botanische Garten von Südwesten aus gesehen.

Foto: Stadtarchiv

Von zentraler Bedeutung sind damals die zwischen dem heutigen Katzenburgweg und der Nussallee gelegenen Versuchsfelder. Ein kleiner Teil davon wird als ökonomisch-botanischer Garten mit 600 Pflanzen eingerichtet. Außerdem beginnen die Mitarbeiter mit Bienen-, Fisch- und Seidneraupenzucht. Ein uralter Maulbeerbaum aus dieser Zeit, der damals Futter für die Seidenraupen liefern soll, steht noch heute am Katzenburgweg.

1913 - im Jahr vor Kriegsbeginn ist der Botanische Garten ein idyllisches Fleckchen.

1913 - im Jahr vor Kriegsbeginn ist der Botanische Garten ein idyllisches Fleckchen.

Foto: Stadtarchiv

Mit der Erhebung der Landwirtschaftlichen Lehranstalt zur „Königlich Preußischen Landwirthschaftlichen Akademie“ 1861 beginnt der eigentliche Aufschwung. Julius Sachs, der später als Begründer der Pflanzenphysiologie berühmt wird, ist erster Professor für Botanik und zugleich Vorsteher des ökonomisch-botanischen Gartens. Die landwirtschaftliche Botanik bringt aber besonders Friedrich August Körnicke von 1867 bis 1898 voran. Er lässt ständig wachsende Sortimente wichtiger landwirtschaftlicher Fruchtarten im Versuchsgarten anbauen, und legt damit Grundlagen für die Genbankarbeit. Als „Altmeister der Cerealien“ geht Körnicke in die Fachliteratur ein.

1904 wird Poppelsdorf Teil der Stadt Bonn. Die Grundstückspreise steigen rasant. So wird das alte Hofgut Poppelsdorf 1905 aufgelöst. Drei Jahre später übernimmt Körnickes Sohn Max bis 1939 das Institut für Botanik und den Garten. Das von ihm gebaute Zwillingsgewächshaus aus der Zeit kurz nach 1918 steht noch immer.

 Blick aus dem Botanischen Garten auf den Südflügel des Poppelsdorfer Schlosses, Lithografie von Henry Aimé vermutlich von 1837.

Blick aus dem Botanischen Garten auf den Südflügel des Poppelsdorfer Schlosses, Lithografie von Henry Aimé vermutlich von 1837.

Foto: Stadtarchiv

Akademie wird Teil der Universität

1934 wird die Akademie als Fakultät Teil der Universität. Im Zweiten Weltkrieg dient der Nutzpflanzengarten dann vor allem der Selbstversorgung der Universitätsangehörigen. Erst ab 1949 kann Gartenmeister Karl-Heinz Kawaletz ihn neu gestalten.

1962 entsteht dann der öffentlich nicht zugängliche Melbgarten am Nachtigallenweg. 2002 werden die drei Botanischen Gärten der Universität als zentrale Einheit außerhalb der Fakultäten direkt dem Rektorat unterstellt. Insofern haben Maximilian Weigend und seine Mitarbeitenden in diesem Jahr gleich drei Jubiläum zu feiern. Sie tun das unter anderem mit dem Herbstfest im Nutzpflanzengarten am 2. Oktober (siehe Info-Kasten).

Dabei bauen die Gärtnerinnen und Gärtner dort längst nicht nur traditionelle Sorten an. Sie testen auch, welche neuen Obstbäume oder Gemüsesorten im sich aufheizenden Rheinland Fuß fassen könnten. Die große Korkeiche aus dem Mittelmeerraum hat zwar – vielleicht eine Folge der langen Trockenheit – gerade den Geist aufgegeben. Aber die sechs jungen Olivenbäume tragen erste Früchte und können nach Weigends Überzeugung einen Bonner Winter anno 2022 gut draußen überstehen. Auch Kakis reifen im Freiland und die runden roten Früchte des Erdbeerbaumes aus Mittelamerika.

Gerne würde Weigend Interessierten auch Obst und Kulturpflanzen der Tropen von Ananas bis Zimt im Original zeigen. Dafür müssen aber zunächst die erwähnten Zwillingsgewächshäuser nach einem Jahrhundert ersetzt werden. Für eine öffentliche Nutzung seien die Glashäuser inzwischen zu baufällig. Die Kosten schätzt Weigend auf zwei bis fünf Millionen Euro. „Das wäre doch ein tolles Geschenk zum 175. Gartenjubiläum“, findet der Direktor.

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