Notfallseelsorger berichtet von seinem Einsatz „Am Ende ist nichts mehr wie vorher“

Interview | Bonn · Seit Mittwochabend, 23 Uhr, ist der Bonner Albrecht Roebke als Notfallseelsorger im Katastropheneinsatz. Er war in Heimerzheim, Euskirchen, Schleiden und Kall. Im Interview spricht er am Samstagabend über seine Erlebnisse in diesen Tagen.

 Ein Bild der Zerstörung: Helfer gehen am Sonntag durch den Ortskern von Bad Münstereifel.

Ein Bild der Zerstörung: Helfer gehen am Sonntag durch den Ortskern von Bad Münstereifel.

Foto: dpa/Oliver Berg

Was ist das Besondere an dieser Katastrophe gewesen?

Albrecht Roebke: Dass die Menschen ohne Vorwarnung aus der Normalität gerissen wurden. Am Mittwoch um 16 Uhr war ihre Welt noch in Ordnung, nur der Wetterbericht hat ein bisschen gestört. Um 21 Uhr hingegen kämpften viele von ihnen um ihr Leben und ihr Besitz war weg. Am Ende ist nichts mehr wie vorher. Das ist ein ganz hoher Stressfaktor, eine Grunderschütterung des Urvertrauens in die Welt. Der Gedanke bei vielen: Worauf kann ich mich in dieser Welt überhaupt noch verlassen?

Sie haben die Menschen unter anderem an Sammelplätzen, in Notunterkünften getroffen. Wie haben Sie sie dort erlebt?

Roebke: Obwohl sie in Sicherheit waren, war ihre Belastung noch längst nicht vorbei. Die seelische Krise ist in diesen Situationen sehr tief. Ganz wichtig ist deshalb die Versorgung. Die Helfer haben schon am Mittwochabend angefangen, Margarine, Marmelade, Brötchen und Kaffee für den nächsten Tag zu organisieren. Das hört sich zwar total banal an, ist aber eine ganz wichtige psychische Akutmaßnahme, denn es zeigt den Menschen, dass wenigstens für die kurze Zeit des Kaffeetrinkens die Welt wieder halbwegs in Ordnung ist.

Was haben Sie als Notfallseelsorger tun können?

Roebke: Den Menschen erst mal nur zuzuhören. Innerpsychisch passiert Folgendes: Auch wenn es ganz schlimm ist, was rausgekommen ist. Wenn ich es einem anderen erzählen kann, ist es akut vorbei. Meine Seele merkt: Die Gefahr ist weg.

Das heißt, es geht gar nicht darum, den Menschen Trost zu spenden.

Roebke: Da gibt es nichts zu trösten. Wir helfen ihnen dadurch, dass wir nicht anfangen zu weinen oder zusammenbrechen, wenn sie zum Beispiel von ihrer Todesangst erzählen.

Und was haben Ihnen die Menschen berichtet?

Roebke: Ganz viele haben den Ablauf ähnlich erzählt: Es regnet stark. Jetzt ist Wasser im Keller, das ist aber doof. Wasser in meinem Wohnraum. Telefon fällt aus. Ich stehe mit den Hüften im Wasser. Das Wasser steigt weiter und bis zur Decke ist es nicht mehr weit. Aber jetzt raus. Die Gedanken im Nachhinein zu sortieren, ist ganz wichtig für die Betroffenen, weil sie dann die ganze Geschichte wieder ins Bild kriegen.

Mussten Sie auch Todesnachrichten überbringen?

Roebke: Eine oder zwei, aber das kennen wir ja in gewisser Weise aus unserem Alltag. Bei dieser Katastrophe war es so, dass die Betroffenen meist keine Leichen gesehen haben. Sie haben vielleicht jemanden gesehen, der vom Wasser mitgerissen wurde. Hat er überlebt? Oder nicht? Das wussten sie oft nicht. Furchtbar war, dass fast jeder jemanden vermisst hat und deshalb die Ungewissheit so groß war. Auch davon haben die Menschen erzählt.

Haben Sie mit den Menschen manchmal gebetet?

Roebke: Wenn sie danach gefragt haben, dann ja. Oft ist es aber so, dass selbst religiöse Menschen im Angesicht der Katastrophe nicht beten wollen.

Obwohl der Notfallseelsorger ja auch dafür zur Verfügung steht.

Roebke: Richtig. Aber gläubige Menschen glauben oft, dass sie durch ihren Glauben gegen solche Katastrophen gewappnet sind. Stellen dann aber fest, dass das nicht so ist. Denn wenn der Mensch in der Krise ist, ist auch sein Glaube in der Krise. Und dann muss ich aushalten, dass der Mensch an seinem Glauben zweifelt. Ein solches Gespräch habe ich öfter als ein Gebet.

Was macht ein solcher Einsatz mit Ihnen selbst?

Roebke: In seiner Heftigkeit ist das schon ein ganz besonderer. In Heimerzheim sind wir durch die Wassermassen sogar selbst einmal eingeschlossen gewesen. Da hatte ich schon ein mulmiges Gefühl.

Am Donnerstag gab es an der Ahr das Gerücht, dass die Steinbachtalsperre brechen würde. Dutzende flüchteten in die Weinberge, obwohl das Wasser aus der Talsperre niemals über den Höhenzug hätte kommen können. Ganz normal?

Roebke: Das hat damit zu tun, dass es keine Gewissheiten mehr gibt. Das Urvertrauen ist weg und selbst wenn ich weiß, dass es nicht geht, glaube ich daran, dass es passieren kann. Der logische Gedanke, dass der Berg dazwischen liegt, ist im Fluchtreflex und in der Panik nicht vorgesehen.

Nach der Welle des Wassers kam die Welle der Hilfsbereitschaft. Wie bewertet das der Notfallseelsorger?

Roebke: Alle haben ja das Unwetter erlebt und sahen sich in einer großen Schicksalsgemeinschaft. Und so sind Menschen, deren Keller selbst voller Wasser stand, in die Notunterkünfte gekommen und haben geholfen. Wenn es überhaupt etwas Gutes an solchen Krisen gibt, dann ist es, dass die Menschen ganz echt und total solidarisch werden. In der Krise stimmt der Befund nicht, dass die Menschen immer schlechter werden.

Dann gibt es aber auch jene, die die Situation der Betroffenen ausnutzen wollen. Stichwort Plünderungen oder Betrügereien. Es ist nicht jeder gut.

Roebke: Das ist in der Gesellschaft nun mal so. Es gibt eben Menschen, die böse sind. Die sind auch in der Krise böse. Das ist aber nur eine kleine Minderheit. Wenn es richtig hart auf hart kommt – das mag ich an Katastrophen –, dann kann man sich eigentlich darauf verlassen, dass die Guten in der Überzahl sind.

Was sind die nächsten Aufgaben für Sie?

Roebke: Die Betroffenen sind jetzt in Hotels, bei Freunden oder Verwandten untergekommen, die Sammelplätze sind aufgelöst. Jetzt haben wir mit der Betreuung der Einsatzkräfte begonnen. Die haben bisher übermenschlich gearbeitet. Aber jetzt kommt langsam hoch, dass unendlich viele von ihnen selbst in Lebensgefahr waren.

Das war zunächst kein Thema, weil sie funktionieren mussten?

Roebke: Ja, genau. Manch ein Feuerwehrmann erzählt da jetzt erst, wie er vom Bach mitgerissen wurde, gerade noch einen Baumstumpf zu greifen bekam, sich da hochhangelte und wieder zur Einheit zurückging, um die Pumpe weiter zu bedienen. Und dann gibt es die vielen Freiwilligen von der DLRG, die mit ihren Booten zahlreiche Leichen aus dem Wasser bergen mussten. Es ist großartig, dass sie das machen, aber das kommt irgendwann raus.

Und dann ist das Gespräch mit Ihnen besonders wichtig?

Roebke: Früher waren solche Einsatzkräftenachgespräche verpönt. Man meinte: Da geht man erst hin, wenn man mit dem Ereignis nicht fertig wird. Dann ist es aber eigentlich schon zu spät. Wir versuchen, mit den Einsatzkräften die Einsätze aufzuarbeiten. Damit sich nicht langfristig ein Trauma entwickelt. Die Gespräche sind eigentlich Prävention.

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