Rechtsextremistische Morde in Deutschland Angehörige von NSU-Opfer berichtet vom langen Kampf um Anerkennung

Bonn · Gamze Kubaşık, deren Vater vom Nationalsozialistischen Untergrund 2006 in Dortmund ermordet wurde, berichtete in Bonn von ihren Erfahrungen im Umgang mit Behörden, Zivilgesellschaft und der Polizei. Das Amt für Integration und Vielfalt der Stadt Bonn hatte im Haus der Bildung dazu eingeladen.

Gamze Kubaşık und Moderator Ali Şirin bei der Veranstaltung im Haus der Bildung.

Gamze Kubaşık und Moderator Ali Şirin bei der Veranstaltung im Haus der Bildung.

Foto: Michael Reinhard

Auch fünf Jahre nach Ende des größten Prozesses gegen eine rechtsextremistische Terrororganisation in Deutschland stellen sich viele Fragen, die das Verhalten der Behörden, aber auch der Zivilgesellschaft gegenüber den Angehörigen der Opfer betreffen. Zwischen den Jahren 1996 und 2011 brachte die Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) zehn Menschen um, verübte Sprengstoffanschläge und Banküberfälle.

Aufsehen erregte das Verhalten der Polizei und der Medien, weil lange Zeit die Familien der Opfer im Fokus der Ermittlungsarbeiten und der Berichterstattung standen. Erst nach dem Tod des Täterduos Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt und mit der Veröffentlichung des Bekennervideos im Jahr 2011 setzte sich bei den Ermittlern endgültig die Erkenntnis durch, dass die Mordserie von Rechtsextremisten verursacht wurde.

Mehmet Kubaşık kam 1991 nach Deutschland

Einer der Ermordeten war Mehmet Kubaşık, ein türkischstämmiger Kioskbesitzer aus Dortmund und Vater von drei Kindern. Kubaşık war 1991 aus politischen Gründen nach Deutschland gekommen und hatte sich zunächst durch harte Arbeit auf dem Bau eine kleine Existenz errichtet. „Mein Vater hat viele Menschen auf der Straße gekannt, sie gegrüßt und Späße mit ihnen gemacht. Er hatte eine lustige Art und wurde auch von meinen Freundinnen sehr gemocht“, berichtete Tochter Gamze Kubaşık bei der Veranstaltung mit dem Titel „Nationalsozialistischer Untergrund – Der Schmerz und der Zorn der Opfer“ im Bonner Haus der Bildung. Befragt wurde sie von Ali Şirin vom Bündnis Tag der Solidarität, der die Veranstaltung moderierte.

Am 4. April 2006, dem Tag des Mordes, befand sich Gamze Kubaşık nachmittags auf dem Weg zum Kiosk ihres Vaters, als sie eine große Menschenmenge vor dem Geschäft sah und aus dem Getuschel heraushörte: „Da kommt die Tochter.“ Kubaşık sei dann von einem Polizisten zur Seite genommen worden, der ihr versicherte, dass es ihrem Vater gut gehe, bis sie von dessen älteren Kollegen aufgeklärt wurde.

So schockierend diese Nachricht auch war, wirklich seltsam seien die Dinge erst während der Vernehmung gelaufen. Unter anderem hätten die Ermittler Kubaşık gefragt, „ob ich wüsste, dass mein Vater Drogen verkauft hat und dass er Mitglied einer Mafia war.“ Die Tochter ließ nicht locker und wollte wissen, ob die Polizei ihren Vater nicht mit irgendjemand anderem verwechsele. Laut Kubaşık bekam sie als Antwort die Frage „Was soll es denn sonst sein?“ zu hören.

Familie wurde wegen Gerüchten in Dortmund gemieden

Ihrer Mutter habe man hingegen Fotos von angeblichen Geliebten ihres Vaters gezeigt, mit denen er weitere Kinder gehabt haben soll. Kurz darauf verbreiteten sich Gerüchte in der Nachbarschaft, die dazu führten, dass die Kubaşıks Ausgrenzung erlebten. Leute aus dem eigenen Dortmunder Viertel mieden die Familie wegen angeblicher Nähe zur Drogenkriminalität.

Halt und Unterstützung während dieser schwierigen Zeit konnte die Familie bei den Angehörigen der anderen Opfer finden. Auf einem Schweigemarsch in Kassel zur Erinnerung an den Ermordeten Halit Yozgat traf Gamze Kubaşık auf Semiya Şimşek und freundete sich mit ihr an. Bereits damals hätten die beiden den Verdacht gehegt, dass Rechtsextremisten hinter den Taten steckten. Bis zur Rehabilitierung des guten Rufs und Widerlegung der haltlosen Vorwürfe dauerte es aber bis zur Selbstenttarnung des NSU.

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